Ernährung Die große Verschwendung

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Ein Mitarbeiter eines Quelle: dapd

Aber es geht auch anders: Thurn und Kreutzberger porträtieren in ihrem Buch Menschen, die die Verschwendung zu stoppen versuchen: sogenannte Mülltaucher, die Nahrungsmittel aus den Abfallcontainern der Supermärkte retten, Verbrauchervereine, die Bauern und Kunden direkt zusammenbringen, und Initiatoren von City-Gärten, der modernen Variante des Schrebergartens.

Kleine Schritte, die dazu beitragen, dass Menschen die Wertschätzung von Nahrung neu erlernen. Würden die Industrieländer ihre Lebensmittelverschwendung nur um die Hälfte reduzieren, hätte das nach Berechnungen von Klimaforschern auf das Weltklima denselben Effekt, als ob jedes zweite Auto stillgelegt würde.

Verschenken statt wegwerfen

Der naheliegendste Gedanke, um den Abfallberg zu reduzieren: Die Händler könnten die noch essbaren Lebensmittel verschenken, statt sie wegzuwerfen. Und das passiert teilweise schon: In Deutschland sammeln 870 sogenannte Tafeln einwandfreie Lebensmittel, die sonst im Müll landen würden, und verteilen sie an sozial und wirtschaftlich Benachteiligte – kostenlos oder zu einem symbolischen Betrag. 15.000 Tonnen Lebensmittel holt allein die Berliner Tafel pro Jahr in Supermärkten und Fabriken ab. Bundesweit versorgen die gemeinnützigen Organisationen regelmäßig rund eine Million Menschen in Obdachloseneinrichtungen, Tagesheimen und Schulküchen gleichermaßen – ein Viertel davon sind Kinder und Jugendliche.

Auch auf dem Großmarkt in Rungis gibt es für Obst und Gemüse eine Sammelstelle der "Epiceries solidaires", dem Pendant der deutschen Tafeln. Ihr Leiter Arnaud Langlais berichtet stolz: "Wir haben 2009 hier auf dem Großmarkt angefangen, seitdem konnten wir 120 Tonnen Gemüse und Obst vor der Mülltonne retten." Allerdings sortieren auch seine Mitarbeiter noch einmal kräftig aus, denn die Tafel-Läden, die er beliefert, legten großen Wert darauf, dass die Auswahl genauso perfekt aussieht wie im normalen Supermarkt, so Langlais: "Sonst fühlen sich die sozial Bedürftigen ein weiteres Mal stigmatisiert."

Noch sinnvoller, als ausrangierte Lebensmittel zu verschenken, wäre es, erst gar keinen Überschuss entstehen zu lassen.

So könnten Kantinen von Schulen, Betrieben und Krankenhäusern Schüler, Mitarbeiter und Patienten auffordern, sich bereits am Vortag für ein Auswahlessen zu entscheiden. Dann könnten sie besser planen. Laut Studien landen bisher zwischen 24 und 35 Prozent der Schulmittagessen im Müll. Auch in Betriebskantinen wird etwa ein Fünftel der Nahrungsmittel verschwendet.

Mitunter haben auch Restaurants und Imbissbuden gute Ideen, um Essensreste von vornherein zu vermeiden. So sind im indischen Mumbai einige Imbissstände dazu übergegangen, ihre Preise nach 20 Uhr zu halbieren. Das garantiert ein junges Abendpublikum und bewahrt die Lebensmittel vor der Tonne. In vielen asiatischen Ländern bieten Restaurants ihre Mahlzeiten ohnehin in drei verschiedenen Größen an: S, M, L. Der Effekt: kein unnütz rausgeworfenes Geld, kein umsonst getötetes Tier. Noch radikaler ist ein nigerianisches Restaurant in London. Dort muss jeder, der seinen Teller nicht leer isst, 2,50 Pfund an die Hilfsorganisation Oxfam zahlen. Und in Chicago haben sich Restaurants zusammengeschlossen, die kleinere Portionen ausgeben und kostenfrei Nachschlag für jeden anbieten, der noch Hunger hat.

Portionen schrumpfen

Das Konzept kleinerer Portionen funktioniert sogar in Bayern im traditionsreichen "Weisses Bräuhaus" in München. Dort waren über Jahrzehnte deftige Portionen üblich, eher passend für Landarbeiter als für Stadtmenschen. "Dann haben wir die Portionsgrößen den modernen Essgewohnheiten angepasst", so Geschäftsführer Otmar Mutzenbach. Im gleichen Zug wurden die Preise auf die geringeren Mengen umgerechnet und gesenkt. Der Effekt: Bei gleicher Essenszahl müssen pro Tag zwei Spanferkel weniger geschlachtet werden. Die Essensabfälle gingen um über 30 Prozent zurück und bescherten dem Brauhaus geringere Entsorgungskosten.

Roland Schüren, Bäckermeister aus Hilden bei Düsseldorf, geht einen anderen Weg. Auch er beobachtet, wie der Abfallberg immer größer wird: "In den Siebzigerjahren gab es vielleicht zehn Brot- und fünf Brötchensorten. Heute haben wir 60 Brot- und ungefähr 30 Brötchensorten. Diese Auswahl wird vom Verbraucher erwartet", sagt der Bäcker. Aber das mache es unglaublich schwierig, die Mengen zu kalkulieren.

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