Ernährung Japan als Vorbild gegen Fettleibigkeit

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Wurst mit Pommes: 37 Millionen Quelle: AP

Wer sich den Abnehmritualen verweigert, wird schnell zum Außenseiter. Toyota-Pressechef Paul Nolasco etwa hat deshalb in den zurückliegenden neun Monaten 30 Kilogramm abgenommen. „Ich habe eingesehen, dass ich mit rund 100 Kilogramm einfach zu fett war“, sagt er reumütig. „Es gab zwar keinen Zwang“, versichert Nolasco, aber an dem Thema komme man in der ganzen Firma nicht mehr vorbei. „Überall hängen Plakate mit Angaben zu Idealmaßen sowie mit Sport- und Ernährungstipps. Jeden Tag werden wir per E-Mail aufgefordert, das Gewicht zu beobachten, abzunehmen und die körperliche Fitness zu erhöhen.“

Toyota sieht sich sogar genau an, wie viele Kalorien, Kohlenhydrate und Proteine, wie viel Fett und Salz jeder Mitarbeiter mittags in der Kantine zu sich nimmt – die Kasse bucht die Daten beim Bezahlen auf den elektronischen Betriebsausweis. Vorbildliches Verhalten wird mit Gesundheitspunkten belohnt, die gegen eine Waage oder ein Fitnessgerät eingelöst werden können.

Andere Unternehmen haben sich der Bewegung angeschlossen. So erklärte kürzlich die Fluggesellschaft ANA rund 3000 männliche Mitarbeiter für zu dick. Ihnen wurden gymnastische Übungen und ein Diätplan empfohlen.

In Japan müssen dicke Polizisten zu Fuß oder per Fahrrad auf Streife gehen

Die Deutschen würden wohl solche Eingriffe ins Privatleben kaum akzeptieren. Dennoch plädiert der Ernährungsmediziner und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Adipositas, Manfred Müller, aus eigener Erfahrung für mehr Verbindlichkeit: „Eine Politik, die ausschließlich auf Eigenverantwortung setzt, wird dem gesellschaftlichen Problem Übergewicht nicht gerecht.“

Der Mediziner Michael Stimpel kann dies bestätigen. Mit Unterstützung des saarländischen Gesundheitsministeriums, der Stadt Püttlingen im Süden des Saarlandes und der deutschen Klinik für Naturheilkunde und Präventivmedizin bietet er in Püttlingen seit Mitte 2007 Eltern übergewichtiger Kinder ein kostenloses Coaching über einen Zeitraum von zwei Jahren an. Doch nicht einmal 20 Prozent der angesprochenen Eltern nahmen das Angebot an. Viele glauben: „Der Babyspeck wächst sich aus, wenn die Kinder älter werden.“ Doch das, sagt Stimpel, ist ein Irrtum. Amerikanische Untersuchungen haben gezeigt, dass zehnjährige fettsüchtige Kinder bereits ein Gefäßsystem haben, das dem von 45-Jährigen entspricht. Stimpel befürchtet, dass die Kinder beispielsweise ein erhöhtes Herzinfarkt- oder Diabetesrisiko haben und viel früher aus dem Arbeitsleben ausscheiden werden.

Sollte sich Deutschland also lieber ein Beispiel an Japan nehmen? Ernährungsaufklärung basierte hierzulande bisher auf der Idee, dass vernünftige Botschaften an vernünftige Menschen Wirkung erzielen. „Doch das Prinzip funktioniert im Ernährungsbereich nicht“, hat der Göttinger Ernährungspsychologe und Erfinder der „AOK-Pfundskur“, Volker Pudel, beobachtet. „Das Einzige, was Ernährungsaufklärung bewirkt hat, ist, dass wir bei jeder Tafel Schokolade ein schlechtes Gewissen haben“, spottet Pudel.

Statt auf ein schlechtes Gewissen setzen die Japaner auf gesellschaftlichen Druck – und klare Formen der Motivationsförderung. So werden in der mitteljapanischen Gunma-Präfektur die Dienstpläne der Polizisten neuerdings gewichtsabhängig gestaltet. Dicke Polizisten müssen zu Fuß oder per Fahrrad auf Streife gehen, die Kollegen mit Idealgewicht dürfen im Auto fahren.

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