Ernährung Tiere müssen Industriemüll fressen

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Eines eint sie alle: Sie sprechen nur ungern über die Zutaten ihrer fraglichen Menüs. Anfragen werden abgeblockt oder nur ausweichend beantwortet. Lediglich von Wissenschaftlern, die im Auftrag der Tierfutterhersteller arbeiten, gibt es weitere Hinweise. Etwa, dass immer öfter auch abgelaufene Lebensmittel unter das Futter gemischt werden. „Neulich haben wir Schweine mit Schokoküssen gefüttert“, sagt Hermann Lindermayer von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub. Es sei schlicht zu teuer, abgelaufene Lebensmittel zu entsorgen.

Der Agrarwissenschaftler führt deshalb regelmäßig Versuche für die Industrie durch, um herauszufinden, was einigermaßen schadlos auf den Speiseplan von Kuh, Schwein und Lamm darf. Gummibären, Chips, Backabfälle und Pommes – all das lässt er die Tiere probieren. Wenn ein neues Fertiggericht oder ein neuer Joghurt auf den Markt kommt, tauchen diese früher oder später bei ihm auf. Selbst Scheibletten-Schmelzkäse nehmen die Säue, referiert Lindermayer. Es sei allerdings unwirtschaftlich, jede Käsescheibe aus der Folie zu ziehen.

Acrylamid in Eiern und Fleisch

Das System kennt kaum Grenzen: Einst füllten die Münchner Brauereien mit ihren Abwässern ein Fünftel des Kanalsystems. „Jetzt“, sagt Lindermayer, „werden die Reste in Futter umgearbeitet.“

Das Problem: Was dem Menschen schmeckt, bekommt dem Vieh noch lange nicht. Schokoküsse etwa sind Schweinen zu süß. Sie erbrechen und bekommen Durchfall. Außerdem lockt das Naschwerk Fliegen in den Stall. Nur zwei Prozent Schokoküsse dürften deshalb laut Lindermayer ins Schweinefutter gemixt werden.

Ein anderes Problem: Krebsverdächtiges Acrylamid, das in altem Brot, Pommes, Chips, Salzstangen und auch Kaffeesatz enthalten ist, landet über den Umweg in Eiern, Milch und Fleisch.

Lindermayer verteidigt die gängige Praxis: „Früher hatte jedes Restaurant drei Schweine im Hof, die die Küchenabfälle fraßen.“ Auch Großkantinen sammelten Essensreste, bevor das Geschirr in die Spülmaschine kam. Doch seit 2007 ist es in der EU verboten, die Reste vom Teller des Gastes in den Futtertrog zu werfen. Zu oft sind die Speisereste mit Keimen belastet – Schweinepest, Salmonellen sowie die Maul- und Klauenseuche waren die Folge.

Doch weil der essbare Müll billiges Futter ist, wird er heutzutage eben nicht an den Garküchen, sondern direkt an den Nahrungsmittel- und Biospritfabriken abgezweigt. Mikrobiell Verdächtiges wird erhitzt und steril gemacht. Teilweise werden die Reste über offener Glut getrocknet, um potenziell gefährliche Keime zu töten.

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