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Ethik Stammzellforschung: Was deutsche Forscher dürfen - und was nicht

Was hat Vorrang? Der Schutz des Lebens oder die Forschung an neuen medizinischen Therapien? Was deutsche Forscher mit Stammzellen künftig tun dürfen und was nicht, entscheidet der Bundestag jetzt neu.

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Die Entnahme einer einzelnen Quelle: dpa

Für Stammzellforscher Wolfgang-Michael Franz steht die Welt derzeit kopf: Statt am Klinikum der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität im Vorort Großhadern Herzpatienten zu kurieren, hetzt der Kardiologe von einer Diskussionsrunde zur nächsten. Mal soll er einer großen Tageszeitung Rede und Antwort stehen, dann darf er der CSU-Spitze die Finessen der Stammzellkunde näherbringen.

Aufklärung ist gefragt. Denn am kommenden Donnerstag wird der deutsche Bundestag drei Stunden lang neu über das 2002 verabschiedete Stammzellgesetz beraten. Vier interfraktionelle Gesetzentwürfe und ein Antrag liegen vor, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Forderungen reichen von einer Verschärfung bis zu einer weitgehenden Liberalisierung des Gesetzes. Nach sechs Jahren Stillstand zeichnet sich erstmals eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für deutsche Zellforscher ab. Manch ein Parlamentarier überblickt allerdings kaum noch, worüber er entscheiden soll. Denn in den vergangenen Monaten überschlugen sich die wissenschaftlichen Neuigkeiten.

So will eine japanisch-amerikanische Forschergruppe embryonale Stammzellen hergestellt haben, ohne dafür auf Embryonen zurückgegriffen zu haben. Sie funktionierten stattdessen Hautzellen eines Erwachsenen um, hieß es Ende November in einer Mitteilung des Wissenschaftsmagazins „Science“, wo die Arbeit wenig später erschien. Braucht man die umstrittenen embryonalen Zellen also gar nicht mehr, diese Tausendsassas, aus denen alle Zell- und Gewebetypen des Körpers entstehen können? Die sich aber leider nur aus Embryonen gewinnen lassen, indem man sie tötet.

Kaum eine Woche zuvor war der Aufreger noch ein geklonter Affe gewesen: Beim nächsten Verwandten des Menschen war einer Forschergruppe aus den USA das therapeutische Klonen gelungen. Shoukhrat Mitalipov hatte am Oregon National Primate Research Centre einem Rhesusaffen eine Hautzelle entnommen und das Erbgut dieser Zelle in eine Spender-Eizelle eingesetzt. Mit einem Stromstoß wurde das Gebilde dazu angeregt, sich wie eine befruchtete Eizelle zu teilen – ein Verfahren, das erstmals beim Klonschaf Dolly gelang.

Nach einigen Tagen wurden dem geklonten Affen-Embryo die Stammzellen entnommen und seine Entwicklung gestoppt. Wäre der Affenmann, der die Hautzelle spendete, krank gewesen, hätten aus den Stammzellen maßgeschneiderte Ersatzgewebe für ihn gezüchtet werden können, etwa Herzmuskelzellen nach einem Herzinfarkt. Der Vorteil des therapeutischen Klonens: Das Immunsystem des Affen hätte die Ersatzzellen nicht abgestoßen, weil sie – wie Spenderzellen eines eineiigen Zwillings – mit ihm vollkommen identisch gewesen wären.

Das therapeutische Klonen war lange als Möglichkeit betrachtet worden, um die Stammzellen des Menschen medizinisch nutzen zu können. Tatsächlich meldeten Mitte Januar kurz hintereinander zwei US-Unternehmen, dass ihnen genau dies nun erstmals beim Menschen gelungen wäre. Robert Lanza von Advanced Cell Technologies aus Los Angeles war zuvor allerdings schon mehrfach durch Luftbuchungen aufgefallen, die lediglich den Aktienkurs seines Unternehmens beflügelten. Die Gruppe um Andrew French von der kalifornischen Stemagen wird dagegen von Kennern als seriös eingestuft.

Ist der Klon als Ersatzteillager damit in greifbare Nähe gerückt? „Wohl kaum“, meint Miodrag Stojkovic, einer der Spitzenforscher auf diesem Gebiet. Denn eine individuelle Zucht von Ersatzgewebe werde „irrsinnig teuer und deshalb wohl Science-Fiction bleiben“, meint der aus Serbien stammende Wissenschaftler. Stojkovic weiß, wovon er spricht: Schon 2004 gelang es ihm, menschliche Zellen zu klonen. Nur konnte er damals keine Stammzellen gewinnen.

Wenn aber das therapeutische Klonen nicht zum Einsatz kommt – warum erschaffen Forscher dann Klone und entnehmen ihnen Stammzellen? „Die Stammzellen sind für Forschung oder für Pharmaunternehmen gedacht, die daran neue Medikamente erproben könnten, statt sie an Ratten oder Menschen zu testen“, erläutert Stojkovic. So will er in Spanien Stammzelllinien für die erblich bedingte Zuckerkrankheit und andere Erbkrankheiten herstellen.

Für die Erforschung dieser Krankheiten wäre das ein echter Meilenstein. Denn statt mühsam Tiermodelle zu entwickeln, haben Gewebe, die aus solchen Stammzellen gezüchtet werden, exakt die Erkrankung, die untersucht werden soll. So stapeln sich bei Stojkovic bereits Anfragen von Forschern aus aller Welt. Und auch die Pharmaunternehmen sind stark interessiert an neuen Testsystemen, welche die Medikamentenforschung effektiver und preisgünstiger machen. Bisher kostet die Entwicklung eines umsatzstarken neuen Medikaments wenigstens 500 Millionen Euro.

Ethische Probleme plagen Stojkovic nicht. Für ihn und die meisten Bio-Wissenschaftler sind die nur wenige Tage alten Embryonen nicht mehr als ein unbeseeltes Zellhäufchen. Denn es hat sich noch nicht in der Gebärmutter eingenistet und beginnt gerade erst Form anzunehmen. Die meisten Menschen finden die Vorstellung jedoch gruselig, dass ein menschlicher Embryo nur für die Forschung erschaffen wird. Der, wenn er seinen Zweck erfüllt und die gewünschten maßgeschneiderten Stammzellen geliefert hat, in der Mülltonne landet.

Die Ideen der Forscher reichen sogar noch weiter. So ist seit Neuestem in England die Schaffung von Mischembryonen aus Tier und Mensch gestattet, um einen Engpass bei den Eizellen zu beheben. Denn um einen Klon zu schaffen, braucht man nicht nur Zellen eines Menschen. Benötigt wird auch eine menschliche Spender-Eizelle. Weil die knapp sind, hat die britische Genehmigungsbehörde gestattet, das menschliche Erbgut in eine tierische Eizelle einzuschleusen. Zum Beispiel in die einer Kuh.

Theologen bringen all diese Versuche in schwere Gewissensnot. Während der evangelische Oberhirte Bischof Wolfgang Huber das Für und Wider gewissenhaft abwägt und eine sanfte Lockerung der deutschen Gesetze für durchaus möglich hält, bezeichnet der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, die Embryonen-Forscher in der Domstadt und im benachbarten Bonn als „Schlächter vom Rhein“. Und sobald CDU-Bundesforschungsministerin Annette Schavan laut über eine vermehrte Nutzung embryonaler Stammzellen nachdenkt, wirft Meisner der Politikerin und katholischen Moraltheologin Prinzipienlosigkeit vor.

Im katholischen Spanien hingegen haben sich Kirche und Menschen sehr gut arrangiert mit einem extrem liberalen Gesetz, das das Klonen erlaubt. Dort betreibt die erzkatholische Laienorganisation Opus Dei sogar ein eigenes Biomedizinzentrum, in dem an Stammzellen geforscht wird.

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  • Stammzellforschung: Was deutsche Forscher dürfen - und was nicht
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