Forschung Facebook des Wissens

Researchgate ist ein schnell wachsendes Online-Netzwerk für Wissenschaftler, das Innovationen fördern soll. Investoren überhäufen das Berliner Startup nun mit Millionen.

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Reearchgate-Gründer Madisch: Irgendwann den Nobelpreis gewinnen

Mit 29 Jahren hat Ijad Madisch bereits eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Der in Hannover ausgebildete Doktor der Medizin forscht am Hospital der weltberühmten Harvard-Universität und gewann in den USA einen der renommiertesten Forscherpreise. Quasi nebenher hat Madisch zudem eine Idee verwirklicht, mit der er noch viel größere Aufmerksamkeit in der Wissenschaft erlangen könnte: Vor zwei Jahren gründete der Virologe in Berlin das Startup Researchgate, ein Online-Netzwerk für Forscher – eine Art Facebook des Wissens.

Die Plattform soll Wissenschaftlern über Fachgrenzen hinweg die Möglichkeit zum Austausch bieten und dabei die „Forschung transparenter machen“, sagt Madisch. Forscher können sich bei Researchgate präsentieren, Probleme diskutieren, nach Jobs suchen und vor allem ihre Arbeitsergebnisse mit denen von Kollegen aus aller Welt vergleichen. In rund 2700 Diskussionsforen diskutieren die Researchgate-Mitglieder über unterschiedlichste Aspekte ihrer Arbeit: von künstlichen Gelenken, Erfahrungen mit Schmerzmitteln bis hin zu neuen Methoden in der Laborarbeit.

Die Researchgate-Gründer – neben Madisch der Informatiker Horst Fickenscher und der Mediziner Sören Hofmayer – haben auf dem virtuellen Wissensmarktplatz schon 600 000 Mitglieder versammelt: Sprachwissenschaftler aus Kalifornien, Umweltexperten aus Australien, Physiker aus Deutschland oder Krebsspezialisten aus Russland. Inzwischen melden sich jeden Tag 2000 weitere Nutzer an. Der Überraschungserfolg von Researchgate hat sich nun auch unter Investoren herumgesprochen: Mit Benchmark Capital, dem Finanzier von Ebay, AOL und Twitter, sowie Accel Partners (Facebook) haben gleich zwei hochkarätige Risikokapitalgeber aus dem Silicon Valley mehrere Millionen Dollar in das deutsche Startup investiert. Das gab es noch nie.

Researchgate darf in Berlin bleiben

Weiteres Novum ist, dass Researchgate seinen Sitz in Berlin behalten darf. Normalerweise bestehen Valley-Finanziers darauf, dass von ihnen finanzierte Firmen ins High-Tech-Eldorado umziehen. „Wir haben argumentiert, dass wir in Berlin jede Menge Talente haben und nicht wie im Valley mit Facebook oder Google um sie konkurrieren müssen“, sagt Madisch. Ziel ist, mit Researchgate Innovationen zu erleichtern. So könnte die Netzkommunikation Forschern helfen, Medikamente schneller zu entwickeln. Ein Toxikologe aus Karlsruhe etwa suchte auf der Plattform vor einigen Monaten nach einem Farbstoff zum Markieren von DNA. Einen Tag später kamen Antworten aus Indien und Brasilien.

Doch bei Researchgate werden nicht nur Fragen gestellt, sondern auch fehlgeschlagene Experimente diskutiert, die sonst keiner großen Öffentlichkeit bekannt geworden wären. „Man sagt ja immer, dass man aus den eigenen Fehlern und denen von anderen lernen kann“, sagt Madisch. „Doch in den wissenschaftlichen Journalen werden gewöhnlich nur die Erfolgsmeldungen publiziert.“ Einen solchen Austausch suchten vor zwei Jahren auch die Researchgate-Gründer. Sie stellten fest, dass es im Internet kein intensiv genutztes Wissensnetz für Forscher gab, das auch über Fachgrenzen hinweg funktionierte. „Vor allem war keines der Angebote so einfach zu bedienen wie Facebook“, erinnert sich Madisch. Zwar betrieb das Wissenschaftsjournal „Nature“ ein Netzwerk. Das aber setzte sich nie wirklich durch.

Madisch, der nicht nur Mediziner ist, sondern auch Informatiker, konzentrierte sich beim Aufbau der Plattform daher auf die Wünsche der Nutzer. So verlangte die Community etwa nach einem Werkzeug, mit dem sich Zusammenfassungen von Forschungsergebnissen aus aller Welt in eine Datenbank laden und miteinander vergleichen lassen. Inzwischen gibt es die entsprechende Funktion. Und sie benachrichtigt Mitglieder sogar automatisch, wenn in ihrem Forschungsgebiet neue Arbeiten hochgeladen werden.

Als der Harvard-Wissenschaftler Rajiv Gupta eine zur Publikation eingereichte Forschungsarbeit bei Researchgate einspeiste, stellte er überrascht fest, dass ein deutsches Team parallel an dem gleichen Problem gearbeitet hatte. „Ich hatte von denen nie vorher gehört“, sagt Gupta. In der Regel herrscht zwischen Universitäten in aller Welt ein heftiger Wettbewerb um die Publikation von Forschungsergebnissen. Schließlich geht es um Forschungsgelder und Prestige. Dem widerspricht die Idee von Researchgate nicht, glaubt Gründer Madisch. Die Mitglieder diskutieren gezielt Probleme, „ohne irgendwelche Geheimnisse zu verraten“, hat er beobachtet.

Zudem bietet Researchgate auch Forschungseinrichtungen geschlossene Sub-Netzwerke, in denen Arbeitsgruppen abgeschirmt von der Öffentlichkeit debattieren können. Mit dem Dienst will das Berliner Startup vor allem Großkunden aus der Wissenschaft gewinnen. Bekanntester deutscher Kunde ist die Max Planck Gesellschaft, die via Researchgate das Wissen ihrer Mitarbeiter verknüpfen will. Die Forscher sollen im Netzwerk künftig Erfahrungen publizieren und sie den bundesweit verstreut arbeitenden Kollegen und Nachfolgern zur Verfügung stellen: Wissensmanagement 2.0.

Ähnlich wie viele Online-Angebote ist auch der Basisdienst von Researchgate gratis. Geld verdienen die Berliner – ähnlich wie die US-Online-Anzeigenseite Craigslist – mit Stelleninseraten, die 100 bis 245 Dollar für einen Zeitraum von acht Wochen kosten. Über 1000 Angebote sind bereits gelistet, darunter solche von Nestlé, Sygenta, BASF und Eli Lily.

Demnächst will Researchgate noch einen Marktplatz für Laborgeräte einführen, auf dem Vor- und Nachteile von Produkten besprochen werden und Firmen ihre Dienstleistungen vorstellen können. Madisch hofft derweil, irgendwann einen alten Kindheitstraum zu verwirklichen: Er will einen Nobelpreis gewinnen. Der wird bekanntlich nur für ganz bahnbrechende Leistungen in der Wissenschaft verliehen. Eine wissenschaftliche Leistung, die die Welt verändert, ist Researchgate nicht. Aber die Plattform selbst wird vielleicht zum Wegbereiter für genau so eine Idee.

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