
WirtschaftsWoche Online: Professor Dodel, Alzheimer, die Demenzerkrankung, die Menschen ihr Gedächtnis raubt, sei ansteckend, schreckte eine aktuelle Studie vor kurzem die Welt auf. Was ist da dran? Stimmt das?
Richard Dodel: Ansteckend ist nicht ganz das richtige Wort. Übertragbar wäre passender. Denn Alzheimer wird definitiv nicht von Viren oder Bakterien weiter verbreitet so wie Grippe, Scharlach oder andere typische Infektions-Krankheiten. Die jüngste Studie, die vor wenigen Tagen erschien, meint allerdings belegen zu können, dass Alzheimer mit Hilfe von menschlichen Wachstumsfaktoren übertragen wurde: Kleinwüchsige Menschen bekamen diese Präparate, die bis 1985 aus dem Extrakt der Hirnanhangdrüse von Verstorbenen gewonnen wurden.





Und diese Menschen erkrankten dann an Alzheimer?
Nein, sie bekamen ein anderes Hirnleiden, das Creutzfeldt-Jakob-Syndrom, das dem Rinderwahn (BSE) sehr ähnlich ist. Deshalb wurden Sie nach ihrem Tod auch obduziert. Dabei stellten die Forscher allerdings fest, dass sich in den Gehirnen von einem Teil der Untersuchten auch solche Proteinablagerungen – sogenannte Plaques – fanden, die typisch sind für Alzheimer. Deshalb die Annahme, diese Menschen hätten später Alzheimer entwickeln können, wenn sie nicht schon zuvor an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben wären.
Und was bedeutet das nun?
Ehrlich gesagt wüsste ich das auch gerne. Seit ich mich von 1996 an intensiv mit Alzheimer befasse, kommen solche Infektionshypothesen in Wellen von vier bis fünf Jahren immer wieder auf. Bisher haben sie sich aber nie belegen lassen. In früheren Jahren wurden Umweltgifte für diese massiv zunehmende Form der Demenz verantwortlich gemacht, doch die ließen sich nicht als Auslöser überführen. Das Problem ist nur: Bis heute wissen wir eben nicht, was Alzheimer verursacht.
Sie sind nach 20 Jahren Forschung immer noch auf der Suche?
Leider ja. Gelernt haben wir inzwischen allerdings: Alzheimer ist – wie die meisten anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie die Parkinson-Krankheit, die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder eben Creutzfeldt-Jakob – eine Faltungsstörung von bestimmten kleinen Proteinstücken im Körper. Diese kettenförmigen Moleküle sind nicht in der richtigen Art und Weise chemisch dreidimensional zusammengelegt, da passiert irgendwo ein Fehler. Salopp gesagt wäre das so, als würden sie eine Serviette nicht ordentlich falten, sondern zerknüllt auf den Tisch legen. Damit hätte sie Funktion als festliche Tischdekoration verloren. So ähnlich ist das mit den kleinen Proteinstücken – den Peptiden – auch: Falsch gefaltet sind sie völlig funktionsuntauglich und lagern sich auf den Nervenzellen ab, was diese wiederum zugrunde gehen lässt.
Und wie soll nun eine Übertragung stattfinden?
Wie bei Rinderwahn und Creutzfeldt-Jakob können diese falsch gefalteten Proteine andere, gesunde Proteine dazu bringen, sich auch falsch zu falten– eine Arte Domino-Effekt entsteht. Der Nobelpreisträger Stanley Prusiner und seine Mitarbeiter schufen ein neues Wort für solche infektiösen Proteine: Prionen. Basierend auf dieser Hypothese zur Krankheitsentstehung gehen wir davon aus, dass dies auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen geschieht, wie etwa der Alzheimer-Krankheit. Wir wissen leider nur noch nicht, was das erste Protein verändert und damit quasi zum Umkippen bringt.
Sind Sie Sich denn sicher, dass diese falsch gefalteten Proteine überhaupt die Ursache für Alzheimer sind? Kritiker wie die Biologin und Buchautorin Cornelia Stolze behaupten ja, dass die Alzheimer-Demenz ein reines Hirngespinst von Forschern und Pharmaindustrie ist – und dass es gerade bei alten Menschen tausend andere Gründe für Verwirrungszustände gibt.
Auch wenn Frau Stolze das sehr einseitig betrachtet, hat sie in einigen Punkten recht: Es gibt viele andere Gründe für eine Demenz. Und ob es die Alzheimer-Krankheit nach der Definition von Alois Alzheimer, dem Entdeckers dieser Krankheit, war, können wir sicher erst nach dem Tod des Patienten sagen, wenn wir sein Gehirn obduzieren. Finden wir dort bei einem Demenz-Erkrankten die typischen Plaques, nennen wir es Alzheimer-Demenz. Aber ja, es gibt auch Studien, wie die Nonnen-Studie aus den 90er Jahren, die zeigen, dass Menschen mit Plaques im Gehirn dennoch völlig klar im Kopf sein können. Sagen wir es so, es gibt eine Korrelation zwischen den Plaques und der Verwirrtheit. Nach dem ursächlichen Zusammenhang suchen wir aber noch.