Architektur Besser bauen mit schlauen Algorithmen

Die Elbphilharmonie war nur der Anfang: Konzerthäuser, Stadien und Museen kommen immer öfter aus dem Rechner. Architekten setzen auf Algorithmen – mit erstaunlichem Ergebnis.

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Bau der Elbphilharmonie Quelle: Elbphilharmonie, Maxim Schulz / Herzog & de Meuron / bloomimages

Möbel aus Pappe sollten die Studenten entwerfen. Nicht per Bleistift, sondern mit einem Algorithmus. Der Sitz sollte nicht zu breit sein, die Lehne nicht zu schräg, das Material sparsam verwendet werden. Die Studenten schrieben die Vorgaben ins Computerprogramm. Das Ergebnis: Einer der Hocker sah aus wie ein Akkordeon, ein anderer wie ein in sich verdrehtes X. Nicht ein Möbelstück glich dem anderen – obwohl sie alle die gleichen Anforderungen erfüllten.

Ein Algorithmus basiert auf Logik, Architektur auf Kreativität. Schematisches Denken gehört zum Selbstverständnis eines Informatikers so wie es zum Denken eines Architekten gehört, ein Schema zu hinterfragen. Zwei unvereinbare Welten, könnte man meinen. Doch an der Technischen Universität München, wo die Architekturstudenten über den Bau von Pappmöbeln mit Algorithmen vertraut gemacht werden, nähern sich die beiden Welten immer weiter an.

„Architekten gehen an die Grenzen des Möglichen“, sagt Frank Petzold, der den Lehrstuhl für Architekturinformatik an der TU München hält – und Software sei dazu ein wertvolles Werkzeug. Computerprogramme verdrängen die Reißbretter seit den Achtzigerjahren aus den Architekturbüros. Bislang dienten sie nur dazu, einzelne Elemente des Entwurfs, wie etwa eine Linie, darzustellen. Nun spielen die Algorithmen durch, wie diese Linie oder auch damit verbundene Elemente verlaufen könnten, damit das gesamte Objekt bestimmte Wünsche erfüllt. So schafft die Maschine eine Vielfalt von Varianten – auch solche, die der Mensch womöglich gar nicht gesehen hätte.

Ein solcher Wunsch, den Algorithmen gerade erst erfüllten: ein Konzerthaus, das im Inneren die Wellen fortführt, die sein Äußeres prägen – und dessen Plätze allesamt ein brillantes Klangerlebnis bieten. Ein Konzerthaus wie die Elbphilharmonie.

In der Elbphilharmonie bringt der Computer Akustik und Ästhetik zusammen

Akustik und Ästhetik in einem Konzertsaal zu vereinen ist eine komplexe Aufgabe: Jede Kante, jede Ecke, jeder Winkel stellt eine Stelle dar, an der Schallwellen gebrochen oder geschluckt werden. So musste Benjamin Koren, der Mann, der den großen Saal der Elbphilharmonie verkleidete, naturgemäß mehr berücksichtigen als die Studenten beim Entwurf der Pappmöbel. Aber die Methode ist ähnlich.

So sieht gute Architektur aus
Außenansicht Schmuttertal-Gymnasium Diedorf. Quelle: Stefan Müller-Naumann
Innenhof Schmuttertal-Gymnasium Diedorf. Quelle: Stefan Müller-Naumann
Aula Schmuttertal-Gymnasium Diedorf von der Bühne aus fotografiert. Quelle: Stefan Müller-Naumann
Schmuttertal-Gymnasium Diedorf Innenansicht. Quelle: Stefan Müller-Naumann
Außenansicht des "Bremer Punkts". Quelle: Fotoetage/Nikolai Wolff
Altes Hafenamt Hamburg Quelle: Christian Richter
Bremer Landesbank Quelle: Héléne Binet

Das Architekturbüro Herzog & De Meuron hatte bei der Elbphilharmonie den ästhetischen Anspruch, die Wellenform des Daches im Saal fortzuführen. Yasuhisa Toyota hingegen hatte einen akustischen Anspruch. Der Japaner hat in mehr als 50 Konzerthäusern weltweit dafür gesorgt, dass die Bauten Töne weder verschlucken noch verformen; für die Elbphilharmonie erstellte er eine topografische Karte für den optimalen Klang. Benjamin Koren hat nach den Anforderungen der Akustiker und Architekten ein Computerprogramm geschrieben. Wie die Münchner Studenten.

Der Auftrag für die Elbphilharmonie war einer der ersten für sein Büro One to One. Auch für Skulpturen von Jeff Koons oder die Kantine der Europäischen Zentralbank hat das Unternehmen schon die Pläne in Form von Algorithmen gemacht. „Wir übersetzen all die verschiedenen Vorgaben in eine mathematische Sprache“, beschreibt Koren seine Arbeit. „Anders als bei klassischen Entwürfen sieht man während der Entwicklung des Algorithmus lange nichts. Sobald er fertig ist, drückt man einen Knopf – und hat alles augenblicklich im Rechner.“

Auch das Nationalstadion Peking kommt aus dem Computer

Für die innere Verkleidung im großen Saal der Elbphilharmonie entwickelte Koren eine Million Zellen. Das sind die Vertiefungen in den Gipspaneelen, die wirken, als hätte sie jemand mit einer Muschel ausgeschabt. Doch es war Korens Algorithmus, der sie geformt hat. Jede Zelle hat eine einzigartige Form. Aber jede entspricht klaren ästhetischen wie akustischen Vorgaben. Am Ende habe es keine zwei Stunden gedauert, bis seine Rechner die Zellen gestaltet und auf den Bruchteil von Millimetern genau im Raum platziert haben, sagt Koren. Der Computer lieferte auch den Arbeitsauftrag für die Fräsen, die die 10.000 Paneele gefertigt haben. Nur 20 waren fehlerhaft.

Nicht weil der Algorithmus versagt hätte, wie Koren betont, sondern weil eine der Fräsen stumpf geworden war.

Als Ikone für ein Gebäude aus dem Computer gilt das Nationalstadion von Peking, auch Vogelnest genannt. Denn so wie sich Vögel aus vielen verschiedenen Stöckchen ein stabiles Netz bauen, fügen sich auch die maßgefertigten Teile der stählernen Trägerkonstruktion des Stadions zusammen. Die Statik eines solch komplexen Systems zu berechnen ist für den Menschen nahezu unmöglich. Das schafft nur die Maschine. Auch das Büro der 2016 verstorbenen Architektin Zaha Hadid setzt auf Algorithmen – und hat beispielsweise die Oper in Guangzhou oder das phaeno in Wolfsburg entworfen.

Schon in analogen Zeiten haben Architekten zum parametrischen Design gegriffen: etwa Frei Otto, der für die Olympischen Spiele in München 1972 ein Stadion mit einem geschwungenen durchsichtigen Dach schuf. Er experimentierte dafür mit Seifenlauge, tauchte die Träger seines Modells in die Flüssigkeit und zog diese auseinander, sodass sich die schillernde Lauge spannte und ihre Statik berechnen ließ: Die Lauge stand gleichsam dem Zeltdach Modell. Heute würden Architekten die Konstruktion von einem Computer simulieren lassen.

Auf digitalen Baustellen kommen die Algorithmen voll zur Geltung

Das habe den Vorteil, scherzt der Architekturinformatiker Petzold, dass anschließend niemand matschige Böden putzen müsse. Vor allem aber, ergänzt Christoph Langenhan, der ebenfalls am Münchner Lehrstuhl forscht, spiele der Rechner die Vielfalt der Varianten schneller und unermüdlicher durch, als es jedes Experiment mit Seifenblasen schaffe. „Algorithmen helfen vor allem bei Projekten, die per Hand bislang nicht möglich waren – oder nur unter großem Aufwand“, sagt Langenhan.

Ihre volle Wirkung entfalten die Algorithmen erst, wenn auch Baustellen digitaler werden. Es gibt bereits Ingenieurbüros, die mit Algorithmen auszuloten versuchen, wie sich beim Bau neuer Gebäude möglichst viel Bauschutt aus abgerissenen Gebäuden wieder verwenden lässt. Es gibt Maschinen, die Arbeitsaufträge als Datei entgegennehmen, und 3-D-Drucker, die binnen kürzester Zeit Bauteile schaffen, für die Handwerker Wochen benötigen. In Deutschland ist all dies aber noch kein Alltag. Hier gibt es statt eines Computercodes auf dem Weg vom Entwurf des Architekten bis zur Fertigstellung der Fassade viele Übergaben und Missverständnisse, Pannen und Verzögerungen.

Die Entwürfe ihrer Möbel konnten die Münchner Studenten mit wenigen Klicks an ein computergesteuertes Messer schicken. Das hat die Bauteile nach Maß zugeschnitten. „Der Maschine ist es egal, ob sie 5000 verschiedene Teile oder 5000 gleiche Teile fertigt. Für einen Schreiner aber macht das einen enormen Unterschied“, betont Langenhan. Auf diese Weise ganze Gebäude zu erschaffen ist noch ein Traum. Ein Konzerthaus oder ein Stadion ist ein komplexeres System als ein Hocker. Dennoch forschen Petzold und Langenhan daran, dem Traum näher zu kommen. „Der Algorithmus entmündigt den Architekten nicht, er ist ein weiteres Werkzeug“, sagt Petzold.

Zu Beginn eines solchen Prozesses die Parameter zu bestimmen und am Ende aus der Vielzahl der von der Maschine vorgeschlagenen Entwürfe den entscheidenden auszuwählen – darin liege die Kreativität.

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