Arznei-Engpässe in Deutschland Wenn lebenswichtige Medikamente knapp werden

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Unkontrollierter Abfluss ins Ausland


Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands (DAV), Fritz Becker, stellt fest, Deutschland sei inzwischen in einzelnen Fällen zu einem Exporteur etwa in Richtung Großbritannien geworden, wo höhere Preise gezahlt würden. Zwar sei der Handel mit Arzneien über Ländergrenzen hinweg in Europa gang und gäbe und könne für den einzelnen Patienten wichtig sein. Die Folge könnten aber auch Marktverzerrungen sein. Becker plädiert daher dafür, die im Sozialrecht verankerte Importförderklausel zu streichen.

Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) verlangt zur Eindämmung unkontrollierbarer Abflüsse ins Ausland ein Handeln der Politik: „Preisbedingte Lieferengpässe lassen sich vermeiden, wenn die direkte Abrechnung erstattungsfähiger Medikamente zwischen Kassen und Unternehmen erfolgt und auf eine öffentliche Listung der Preisrabatte in Deutschland künftig verzichtet wird“, sagt VFA-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. Vertraulichkeit sei in anderen europäischen Ländern Standard.

Im Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung, das in den nächsten Wochen vom Bundestag verabschiedet werden soll, ist Vertraulichkeit zu den Preisen vorgesehen. Die Pharmaindustrie hatte auf die Geheimhaltung gedrängt, weil die deutschen Preise bei Verhandlungen im Ausland als Referenzgröße herangezogen werden.

Doch die Diskussion darüber, wie weit die Vertraulichkeit gehen soll und welche Institutionen des Gesundheitswesens weiter Einblick erhalten, hält bis in die Schlussberatungen zu dem Gesetz an. Die Industrie sorgt sich, dass es am Ende zu einer weichen Vereinbarung kommt, die mit echter Vertraulichkeit wenig zu tun hat. Vermutlich werden die Details am Ende in einer nachträglichen Verordnung geregelt.

Wie problematisch ist der Parallelhandel?

Das Bundesgesundheitsministerium sieht den Parallelhandel dagegen nicht wirklich als Problem an. Vielmehr sei dieser eine Möglichkeit des Handels mit Arzneimitteln im Rahmen des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt. „In erster Linie hiervon betroffen sind die Staaten, aus denen Arzneimittel exportiert werden. Deutschland ist beim Parallelhandel mit Arzneimitteln weit überwiegend Empfängerland“, heißt es aus Gröhes Ministerium.

Die Industrie verweist dagegen auf Zahlen der Europäischen Zulassungsbehörde EMA. Demnach betreffen fast 70 Prozent des geplanten Geschäftes von Parallelhändlern eine Ausfuhr und nur noch rund 30 Prozent die Einfuhr nach Deutschland.

Knappheit droht auch, weil bei Rabattverträgen mit den Krankenkassen meist nur ein Unternehmen einen Zuschlag erhält und dieses damit allein für die Versorgung der Versicherten dieser Kasse zuständig ist. Engpässe entstünden somit nicht nur beim Start eines Rabattvertrags, sondern auch während der zweijährigen Laufzeit, sagt der Chef des Pharmaverbands Pro Generika, Bork Bretthauer.

„Die Unternehmen, die bei den Rabattverträgen nicht zum Zuge kommen, müssen ihre Produktionsplanung entsprechend nach unten korrigieren oder ziehen sich mit dem Medikament vom deutschen Markt zurück“, sagt Bretthauer. Rabattverträge entschieden inzwischen oft gar darüber, ob Medikamente überhaupt für Deutschland produziert würden. Bretthauer fordert daher, Mehrfachvergaben gesetzlich festzuschreiben. Dann würde die Verantwortung für ein Medikament auf mehrere Schultern verteilt.


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