WirtschaftsWoche: Herr Harari, Sie haben ein Buch über die Vergangenheit unserer Spezies geschrieben, nun nehmen Sie sich unserer Zukunft an. Worauf dürfen wir uns freuen?
Yuval Harari: Die letzten 1000 Jahre haben wir Menschen damit verbracht, zu lernen, wie wir die Wälder, die Tiere und Flüsse um uns beherrschen können. Schritt für Schritt haben wir die Macht über unsere äußere Umwelt ergriffen. Die größte Umwälzung im 21. Jahrhundert wird sein, dass wir auch die Kontrolle über die Welt in uns selbst gewinnen werden.
Es wird in der Zukunft bessere Psychoanalytiker geben?
Es geht um sehr viel mehr. Heute stecken wir nahezu in denselben Körpern und Gehirnen fest wie unsere Vorfahren in der Steinzeit vor 50.000 Jahren. Aber bald werden wir nicht nur immer bessere Autos und Kleidung herstellen, sondern auch neuartige, bessere menschliche Körper und Gehirne und vielleicht sogar ein ganz neues, ein künstliches Bewusstsein schaffen. Das wird die größte Revolution seit Beginn des Lebens auf unserem Planeten.
Zur Person
Yuval Noah Harari, geboren 1976 im israelischen Haifa, lehrt Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem. Sein Bestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ wurde zwei Millionen Mal verkauft. In seinem neuen Buch „Homo Deus“ zeichnet Harari eine Zukunft, in der Menschen zu Maschinenwesen werden.
Das müssen Sie genauer erklären.
Nach vier Milliarden Jahren Evolution sind wir nun an der Schwelle angekommen, ab der wir dank der Verschmelzung von künstlicher Intelligenz und Biotechnologie die natürliche Selektion ersetzen können. Der Homo sapiens, wie er seit Zehntausenden von Jahren existiert, wird in diesem Jahrhundert verschwinden.
Spielen wir Gott?
Ja. Wir werden die Fortschritte der Informationstechnik und Biotechnologie nutzen und uns damit als Spezies ein gewaltiges Upgrade verpassen. Unsere Nachkommen werden sich so stark von uns unterscheiden wie wir uns von Schimpansen. Menschen werden sogar danach streben, unsterblich zu werden.
Die Entwicklungsstufen Künstlicher Intelligenz
Der britische Informatiker entwickelt den nach ihm benannten Test. Er soll ermitteln, ob eine Maschine denken kann wie ein Mensch. Ein russischer Chat-Roboter soll ihn 2014 erstmals bestanden haben.
Experten einigen sich auf den Begriff "Künstliche Intelligenz". Der Rechner IBM 702 dient ersten Forschungen.
Katerstimmung bei den Forschern: Die Fortschritte bleiben hinter den Erwartungen zurück. Computer sind zu langsam, ihre Speicher zu klein, um die Daten von Bildern oder Tönen zu verarbeiten. Budgets werden gestrichen, erst ab 1980 geht es wieder voran.
Der Supercomputer von IBM siegt im Schachduell gegen Weltmeister Garry Kasparov. Die Maschine bewertete 200 Millionen Positionen pro Sekunde. 2011 siegt IBMs Software Watson in der Quizsendung "Jeopardy".
Der KI-Forscher sagt in einem Buch für das Jahr 2045 den Moment der "Singularität" voraus: Die Rechenleistung aller Computer erreicht die aller menschlichen Gehirne. Seit 2012 arbeitet Kurzweil für Google an KI-Systemen.
Ein Google-Programm beschreibt präzise in ganzen Sätzen, was auf Fotos zu sehen ist. Nahrungsmittelkonzern Nestlé kündigt an, 1000 sprechende Roboter namens Pepper in seinen Kaffeeläden in Japan als Verkäufer einzusetzen. Physiker Stephen Hawking warnt: KI könne eines Tages superschlau werden – und die Menschheit vernichten.
Computer sind schlau wie Menschen – und machen sogar Witze. Fabriken, Verkehr und Landwirtschaft sind nahezu komplett automatisiert.
Wie soll das funktionieren?
Wir werden unsere Körper neu designen. Die Fortschritte in der Forschung rund um die DNA-Manipulation sind gewaltig. Bald können wir Prozesse, die in der Evolution Millionen Jahre gedauert haben, auf 20 Jahre abkürzen. Ein ausgezeichnetes Gedächtnis, Intelligenz, sexuelle Potenz werden wir nach Belieben kreieren können. Und das ist nur der erste Schritt.
Es kommt noch mehr?
Der radikalere Schritt wird sein, organische und künstliche Teile zu kombinieren und Cyborgs zu erschaffen. Die Wissenschaft arbeitet gerade daran, Gehirn-Computer-Schnittstellen zu erzeugen. Wenn der Durchbruch gelingt, könnten wir künstliche Gliedmaßen oder Ohren und Augen in unseren Körper so integrieren, dass das Gehirn sie wie unsere natürlichen Gliedmaßen steuert. Mensch und Maschine wären dann eine Einheit.
Das klingt alles sehr nach Science-Fiction-Roman.
Viele dieser Dinge werden heute schon erforscht. Und Computerkonzerne wie Google, Apple oder Baidu in China verwandeln sich zunehmend in Biotechunternehmen. Natürlich ist die Zukunft nicht vorhersagbar. Zu welchem Zweck wir neue Technologien wie künstliche Intelligenz einsetzen werden, ist offen. Aber eines können wir nicht tun, wir können den technischen Wandel nicht aufhalten.
Haben Sie noch ein Beispiel für unser neues Leben in der Cyborg-Zukunft?
Forscher entwickeln derzeit Nanoroboter, kleiner als Blutzellen, die sie millionenfach in die Blutbahn injizieren wollen. Dort sollen sie Organe überwachen, Krankheiten entdecken und Krebszellen attackieren. So ein bionisches Immunsystem ließe sich stetig nachrüsten. Viren und Bakterien hätten keine Chance mehr. Und vielleicht erzeugen wir im dritten Schritt sogar komplett künstliche Lebensformen.
Lebewesen aus dem Computer?
Ja, manche Forscher glauben, dass wir in 20, 50, vielleicht 200 Jahren künstliches Bewusstsein in Computern erzeugen. Oder unser eigenes Bewusstsein auf einen Computer laden und durch virtuelle 3-D-Welten laufen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich über eine Gehirnschnittstelle Zugang zu meinen Kindheitserinnerungen verschaffen. Wer bin dann noch ich, und wo fangen Sie an? Unser Konzept von Identität bräche auseinander.
"Vielleicht erleben wir das Aufkommen einer Klasse der Nutzlosen"
Technologie, die selbst unser Inneres überwacht – das klingt nach Orwell’schem Albtraum. Warum sollten wir das zulassen?
Die Menschen werden die Wahl haben zwischen Privatsphäre einerseits und besserer Gesundheit andererseits. Glauben Sie mir, die meisten werden sich für letztere entscheiden. Sie werden Google oder dem Staat Zugang zu ihren Körperdaten geben – im Tausch für ein längeres Leben.
Schneller schlau: So lernen Maschinen das Denken
Mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren erkunden die Maschinen ihre Umwelt. Sie speichern Bilder, Töne, Sprache, Lichtverhältnisse, Wetterbedingungen, erkennen Menschen und hören Anweisungen. Alles Voraussetzungen, um etwa ein Auto autonom zu steuern.
Neuronale Netze, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, analysieren und bewerten die Informationen. Sie greifen dabei auf einen internen Wissensspeicher zurück, der Milliarden Daten enthält, etwa über Personen, Orte, Produkte, und der immer weiter aufgefüllt wird. Die Software ist darauf trainiert, selbstständig Muster und Zusammenhänge bis hin zu subtilsten Merkmalen zu erkennen und so der Welt um sie herum einen Sinn zuzuordnen. Der Autopilot eines selbstfahrenden Autos würde aus dem Auftauchen lauter gelber Streifen und orangefarbener Hütchen zum Beispiel schließen, dass der Wagen sich einer Baustelle nähert.
Ist das System zu einer abschließenden Bewertung gekommen, leitet es daraus Handlungen, Entscheidungen und Empfehlungen ab – es bremst etwa das Auto ab. Beim sogenannten Deep Learning, der fortschrittlichsten Anwendung künstlicher Intelligenz, fließen die Erfahrungen aus den eigenen Reaktionen zurück ins System. Es lernt zum Beispiel, dass es zu abrupt gebremst hat und wird dies beim nächsten Mal anpassen.
Was ist mit der Freiheit? Ist für sie kein Platz mehr in der Zukunft reserviert?
Wir Menschen begannen als eine Spezies, die in sehr kleinen Gemeinschaften lebte und deren Überleben weitgehend von den Fähigkeiten dieser geschlossenen Gruppen abhing. Aber im Laufe der Geschichte – und das beschleunigt sich – agierten wir mehr und mehr wie Ameisen, die in immer größeren Kolonien leben, in denen das Überleben jedes Mitglieds auf konstanter Kooperation mit allen anderen beruht. Sobald Sie ein Immunsystem aus Nanobots haben, hängt Ihr Leben buchstäblich an externen Updates.
Was aber, wenn sich nicht jeder ein bionisches Upgrade wird leisten können? Und welchen Platz werden wir Menschen überhaupt einnehmen in einer Gesellschaft voller künstlicher Superintelligenzen?
Das wird eine der größten Fragen sein. Vielleicht erleben wir das Aufkommen einer Klasse der Nutzlosen. Millionen von Menschen, die nichts besser erledigen können als künstliche Intelligenzen. Sobald selbstfahrende Autos, Doktoren-Bots und Google Translate ihren Job besser machen, brauchen wir keine Taxifahrer, Ärzte oder Übersetzer mehr. Das Problem wird nicht sein, diese Menschen zu ernähren. Das wird einfach mit all den neuen Technologien. Die wirkliche Herausforderung wird darin bestehen, diesen Menschen einen Sinn im Leben zu geben und sie zu beschäftigen.
Haben Sie einen Vorschlag?
Niemand hat derzeit ein gutes Modell entwickelt, um diese Situation anzugehen. Manche sagen, Computerspiele werden die Lösung sein: Die Leute werden einfach mehr und mehr Zeit ihres Lebens in virtuellen Welten verbringen. Das werde ihnen viel mehr interessante Beschäftigung und emotionale Anregung bieten als alles, was es in der Realität zu erleben gäbe.
Schneller schlau: Die Robotergesetze
Isaac Asimov (1920-1992), der zu den wichtigsten Science-Fiction-Schriftstellern der Literaturgeschichte gehört, hat mehrere Robotergesetze entworfen. Drei beschrieb der amerikanische Autor („Ich, der Robot“) russischer Herkunft erstmals 1942.
„Ein Roboter darf Menschen nicht verletzen oder durch Untätigkeit dulden, dass Menschen zu Schaden kommen.“
„Ein Roboter hat allen Anweisungen von Menschen zu gehorchen, außer er gerät dadurch mit dem ersten Gesetz in Konflikt.“
„Ein Roboter muss sich selbst schützen, außer er gerät dadurch mit dem ersten oder dem zweiten Gesetz in Konflikt.“
Später fügte Asimov noch das „Nullte Gesetz“ hinzu. Es lautet: „Ein Roboter darf der Menschheit keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit dulden, dass die Menschheit zu Schaden kommt.“
Klingt ziemlich deprimierend.
Die Menschen spielen seit mindestens 2000 Jahren schon ein ganz besonderes Virtual-Reality-Spiel. Wir nennen es Religion, und dieses Spiel gibt Milliarden von Erdenbewohnern Sinn im Leben.
Das meinen Sie nicht ernst.
In Religionen haben sich Menschen schon immer Gesetze gegeben, die nur in ihrer Vorstellung existieren: Wenn du zur Beichte gehst, gewinnst du Punkte, wenn du sündigst, verlierst du Punkte. Und wer im Leben genug Punkte gesammelt hat, erreicht nach dem Tod das nächste Level. So gesehen könnte die Idee, dass Menschen in 50 Jahren hauptsächlich im Cyberspace leben und sich dort mit Spielen die Zeit vertreiben, nicht so neu sein, wie viele denken.
„Jeder Mensch ist an seine eigene Epoche angepasst“
Angenommen, viele Ihrer Prognosen treten wirklich in diesem Jahrhundert ein – dann leben schon die Kinder von heute bald in einer radikal veränderten Welt.
Ja, das wird ein großes Problem für die Heranwachsenden von heute sein. Sie werden sich permanent neu erfinden müssen. Das Tempo des Wandels wird bald so schnell werden, dass vieles, was Sie als Jugendlicher lernen, mit 40 nutzlos sein wird. Und wenn Sie sich nicht verändern, werden Sie irrelevant. Erschwerend kommt hinzu: Sie werden kaum verstehen, was um Sie herum geschieht.
Das klingt nach genug Potenzial für eine ganz andere, gewalttätige Revolution.
Schon jetzt befindet sich die gesamte Welt in einer Identitätskrise wegen der beschleunigten technologischen Entwicklung und der radikalen Veränderungen in der Gesellschaft. Weil die Welt chaotischer und unsicherer wird, verlieren die Menschen die Fähigkeit, zu verstehen, wer sie sind. Sie sehnen sich umso mehr nach Stabilität. Viele Experten deuten den Aufstieg von Donald Trump als eine Reaktion auf diese Entwicklungen. Denn die Bauchreaktion vieler Menschen derzeit ist, an traditionellen Identitäten festzuhalten, seien es religiöse oder nationale, und sie über alles andere zu stellen.
Das spricht eher dafür, dass die Menschheit nicht mitmachen wird beim großen Cyborg-Upgrade.
Im Kapitalismus haben Sie die Freiheit, zu kaufen und zu tun, was immer Sie wollen. Nur eines steht Ihnen nicht frei: Das System zu verlassen. Als die Europäer im 18. Jahrhundert Australien kolonisiert haben, hatten die Aborigines auch keine Chance zu sagen: „Danke, aber wir wollen die moderne Welt nicht.“ Ähnlich wird es mit der Kolonisierung der Welt durch künstliche Intelligenzen und Gentechnik sein.
Würden Sie in diese Hightechzukunft reisen wollen, wenn Sie könnten?
Jeder Mensch ist an seine eigene Epoche angepasst. Wenn ich in die Steinzeit reisen würde, wüsste ich nicht, wie ich etwas zu Essen bekäme, denn ich habe nur gelernt, wie man Lebensmittel im Supermarkt kauft. Genauso würde ich in der Zukunft nicht die Fähigkeiten haben, ja nicht einmal den passenden Körper, um dort zu überleben.