Bakterien fressen Schmutz Superpflanzen sollen Kläranlagen entgiften

Gegen fast alles ist ein Kraut gewachsen. Der Franzose Thierry Jacquet reinigt Industrieabwässer mit Pflanzen. Mit beachtlichem Erfolg.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Entsorgungspark: Unternehmer Jacquet in einer Pflanzen-Kläranlage. Quelle: Laif

Skeptische Blicke ist Thierry Jacquet gewöhnt. „Es klingt ja auch ein bisschen seltsam, wenn einer behauptet, er würde Abwässer mithilfe von Pflanzen so sauber kriegen, dass man darin baden kann“, sagt der 49-jährige Franzose und zwinkert vergnügt durch die runde Brille.

Umwelt-Restaurator nennt er als Berufsbezeichnung, seit er vor zehn Jahren seine Firma Phytorestore gründete. „Phyto“ wie das griechische Wort für „pflanzlich“ und „restore“ für „wieder herstellen“. „In 50 Jahren wird das völlig normal sein. Aber es braucht eben jemanden, der damit anfängt und die Überzeugungsarbeit leistet.“

Jacquet, ursprünglich Städteplaner und Landschaftsarchitekt, wirbt für das Potenzial einer Technik, die bisher vor allem in Naturschwimmbädern zum Einsatz kommt. Dort reinigen Pflanzen das verschmutzte Wasser. Der Ökopionier aber geht noch einen Schritt weiter. Er will beweisen, dass es Pflanzen – bis auf wenige hochgiftige Substanzen – sogar mit stark belasteten Industrieabwässern aufnehmen können, dazu gehören die von Kosmetik- und Waschmittelherstellern. Sogar mit den verseuchten Böden von Tankstellen oder Reinigungsfirmen sollen die Pflanzen zurecht kommen.

Waten im Filtergarten

Wie das funktioniert, zeigt er eine gute Stunde Fahrt südlich von Paris: In La Brosse-Montceaux, einem Ort nahe der Grenze zur Bourgogne, wiegt sich Schilfrohr im Wind, so weit das Auge reicht. Frösche quaken, Vögel zwitschern, ein Biotop, könnte man vermuten. Doch unter dem Pflanzenteppich wabert eine dunkelgraue Brühe.

Grüner High-Tech für Stadt und Land
Schlafkapsel von Leap-Factory Quelle: PR
Prototyp eines wärmespeichernden Grills Quelle: PR
Mini-Windkraftwerk von MRT Wind Quelle: PR
Leuchtendes Kindle-Cover Quelle: PR
Selbstversorgende Insel in der Südsee Quelle: PR
Tomaten in einem Gewächshaus Quelle: dpa
Ein Schild mit der Aufschrift "Genfood" steckt in einer aufgeschnittenen Tomate neben einem Maiskolben Quelle: dpa/dpaweb

Jacquet hat sich Gummistiefel über die Anzughose gezogen. Er watet durch einen Tümpel, greift sich eines der Gewächse und zieht es samt Wurzel heraus. „Die Pflanzen sind nur Mittel zum Zweck. Die Arbeit machen Bakterien, die an den Wurzeln leben und den Schmutz fressen“, erklärt er die biologische Abwasserreinigung.

Das Prinzip, Chemikalien mit Bakterien zu knacken, ist nicht neu. Heute kommt es in modernen Kläranlagen zum Einsatz. Dort werden die Mikroorganismen den Abwässern beigemischt. Sie brechen unter anderem Kohlenwasserstoffketten auf.

Doch wie sich das auch mit Pflanzen realisieren lässt, das hat Jacquet – bisher weltweit einzigartig – umgesetzt: Bei ihm vertilgen Farne Zyanid und Arsen, der breitblättrige Rohrkolben und Ölweiden Salze. Gewöhnlicher Gilbweiderich mag Zucker und Stärke, Miscanthus Schwermetalle. Seggen nehmen sich infektiöser Keime an, Zuckerrohre Pestiziden und Düngemitteln. Sogar gegen radioaktiv belastete Böden sei ein Kraut gewachsen: Wiesenklee.

Und als reiche das nicht, will der Unternehmer mit seinen Filtergärten selbst kommunale Kläranlagen in Naherholungsparks verwandeln. „Die Technik ist absolut vielversprechend“, urteilt Jean-Louis Ducreux, Direktor der Beratungsfirma Atelier d’Ecologie Urbaine (AEU) in Paris.

Auf seiner Biofarm in La Brosse-Montceaux hat Jacquet 24 Becken ausgehoben. Er hat sie mit einer Geomembrane ausgelegt, um zu verhindern, dass Abwässer ins Grundwasser versickern. Dann folgen je eine Schicht Schlacke, Kalksteine und Kompost, in die er die Pflanzen setzt. Anschließend leitet er die Abwässer in die Becken.

Zu 99 Prozent entgiftet

Zwei bis drei Jahre dauert es, bis aus Abwässern und belasteten Böden Kompost wird, aus dem die Pflanzen 99 Prozent der Schadstoffe abgebaut haben. „Labortests der Unternehmen SGS, Wessling, Eurofins und SAS Laboratoire haben das bewiesen“, versichert der Franzose. Aus den Pflanzen wird am Ende Dämmmaterial oder Substrat für Biogasanlagen. Er wolle nicht behaupten, dass er „für alles eine Zauberformel“ habe. „Es gibt Stoffe, die Pflanzen nicht verarbeiten können.“ Daher lande, was die Bakterien an Gift übrig lassen – etwa die Schwermetalle Quecksilber oder Cadmium –, in einem separaten Becken. Dort sei die Konzentration der Stoffe so hoch, dass Spezialfirmen sie als Ressource herausfiltern und weiter verwenden könnten, erklärt AEU-Berater Ducreux.

„Gute ökologische Lösungen müssen auch finanziell interessant sein“, sagt Jacquet. Bereits als selbstständiger Umweltberater hatte er für Kommunen Konzepte entwickelt, die günstiger waren als das übliche Verbrennen oder Vergraben von Industrieschlämmen. „Was aber fehlte, waren Unternehmen, die solche Lösungen hätten umsetzen können.“ Also gründete Jacquet diese Firma schließlich selbst.

Trotzdem tat sich der Umwelt-Unternehmer mit der Verbreitung seiner Filtergärten lange schwer. Unter anderem, weil die Reinigung so zeitaufwendig ist: „Bauträger etwa, die belastete Böden entgiften müssen, haben selten so viel Zeit“, sagt AEU-Experte Ducreux. Vor allem aber sieht er Phytorestore im Konflikt mit einer Lobby, die wenig Interesse an alternativen Konzepten zur Abwasseraufbereitung habe.

Tatsächlich teilen sich in Frankreich heute zwei große Unternehmen im Wesentlichen den Entsorgungsmarkt – Veolia und Suez Environnement. Deren Angebote würden von Kommunen und Industriekunden praktisch nie in Zweifel gezogen, sagt Jacquet seufzend. In so einem Szenario mit neuen Ideen durchzudringen sei am Anfang extrem schwer gewesen. „Man hat mich angeschaut wie einen Alt-68er und gefragt, ob ich was geraucht habe.“

In Schwellenländern mit weniger starren Strukturen sei der Markteintritt viel einfacher. Der Erfolg von Jacquets Filialen in Brasilien und China weckte schließlich auch das Interesse heimischer Auftraggeber; so etwa beim Kosmetikriesen L’Oréal oder der Lederwarensparte von Louis Vuitton. Auch die Ferienanlage des Club Med auf Mauritius und die zum Hermès-Konzern gehörende Kristallmanufaktur Saint-Louis-lès-Bitche gehören heute zu Jacquets Klärtechnik-Kunden. Inzwischen arbeite sein Unternehmen mit allen Großunternehmen des französischen Aktienindex CAC40 zusammen, berichtet der Pionier stolz. Sie liefern ihre Schmutzwässer nach La Brosse-Montceaux oder geben bei den inzwischen 40 Spezialisten von Phytorestore hauseigene Pflanzenkläranlagen in Auftrag.

Nun nimmt sich Jacquet die Städtebauer vor: Beim Entwurf neuer Quartiere sollten sie 20 Prozent der Fläche für Filtergärten reservieren, fordert er. „Damit können sie 100 Prozent der Abwässer behandeln. Das ist viel billiger als eine herkömmliche Kläranlage – und sieht zudem schön aus.“

Auch das ist längst mehr als eine Vision: Ein Ecoquartier sorgt bereits vor den Toren von Paris für Aufsehen – direkt neben dem Eurodisney-Park.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%