Biotechnologie Die nächste Revolution kommt aus dem Labor

Seite 2/4

Abermillionen Proteine, die wie Roboter am Fließband arbeiten

Um zu verstehen, warum nach dem Prinzip auch Plexiglas gefertigt und Pestizide gebraut werden können, stellt man sich am besten vor, auf die Größe eines Proteins zu schrumpfen und in eine Hefezelle zu schlüpfen: Dann triebe man als Winzling durch eine riesenhafte Kugel, zwei Kilometer groß. Darin: Abermillionen Proteine, die wie Roboter am Fließband arbeiten.

Welche Roboter in der Zelle aktiv sind, bestimmt ein Band, das sich durchs Zentrum der Kugel windet: die DNA. Sie besteht aus den Buchstaben A, T, G und C – den Molekülen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Das Prinzip, nach dem diese Buchstaben Informationen verschlüsseln, ist in allen Zellen gleich. Darum fügen sich Pfirsichgene auch in Hefezellen ein und gedeihen darin prächtig – man muss den Code nur entsprechend umprogrammieren.

Tom Knight hat dieses Spiel perfektioniert. „Wir mischen hier DNA-Stränge, 200 Buchstaben lang, mit einem Enzym“, sagt er und zeigt auf einen Automaten, der mit einer Pipette Flüssigkeit in Hunderte kleine Plastiknäpfe tröpfelt. Das Enzym, der Biokatalysator, baue daraus längere Ketten, bis ganze Gene entstünden. Die Maschine könne das viel schneller, billiger und präziser als jeder Mensch.

Es ist nicht das erste Mal, dass Genforscher die Biotechrevolution ausrufen. Viele Start-ups wurden schon in den Neunzigern gegründet, viele verschwanden wieder. Inzwischen sind die Kosten der Gensequenzierung aber derart gesunken (siehe Grafik), dass wieder der Duft des Aufbruchs durch die Labore weht.

Genforscher wie Craig Venter, der schon bei der ersten Welle mit dabei war, prophezeien gar, dass sich bald fast jedes Material synthetisch herstellen lässt – für ein paar Cent oder Dollar pro Kilogramm und auf einem Tausendstel der Fläche, die derzeit Industrie- und Fertigungsanlagen einnehmen. Für ein Kilogramm Rosenöl etwa ernten Bauern eineinhalb Millionen Rosenblüten. Ginkgo Bioworks baut für den französischen Parfümhersteller Robertet Hefezellen, die das Gleiche in einem Tank erledigen, der mitten in der Stadt stehen kann.

Eine neue Wirtschaft wächst so in den Laboren heran, schnell, klein, effizient und grün. Das New Yorker Start-up Ecovative züchtet Bioverpackungen aus Pilzen für Toyota, Dell und IBM. Biomason aus den USA verhärtet mit Bakterien Sand zu Backsteinen, ohne Energie für Backöfen zu verbrauchen. Das britische Start-up Skipping Rocks Lab ersetzt Plastikflaschen durch wassergefüllte Blasen aus Algen, die man essen kann.

Andere wollen per Biotech Tiere aus der Nahrungskette vom Homo sapiens befreien: Das Start-up Finless Foods aus San Francisco möchte Fischzellen in Tanks zu Filets heranzüchten. Konkurrenten arbeiten an tierfreien Steaks, an Milch, Gelatine und Leder. Farmen belegen derzeit 40 Prozent der irdischen Landmasse. Die Lebensmittel aus dem Nährtank könnten der Natur wieder Raum schenken, auch der CO2-Ausstoß der Landwirtschaft ginge massiv zurück.

Sogar das Ölzeitalter könnte beendet werden. Wie, das lässt sich in Herzogenaurach bei Adidas bestaunen. In einem Paar Turnschuhe stecken im Durchschnitt sechs Liter Öl. Ein neuer Schuh des Sportartikelherstellers, noch ein Prototyp, kommt ohne einen Tropfen aus. Denn er besteht aus synthetischer Spinnenseide. Das Material ist, wie Spiderman-Fans wissen, reißfest und leicht. Allerdings konnten es bis vor Kurzem nur Spinnen produzieren.

Die Biotechfirma Amsilk aus Planegg bei München hat nun Kolibakterien Gene eingepflanzt, mit denen sie aus Pflanzenresten das Supermaterial generieren. Es entsteht ein weißes Pulver, aus dem sich Textilien herstellen lassen, die kompostierbar sind. Mit den Biofasern, heißt es bei Adidas, erschließe der Konzern „ein ganz neues Feld der Innovationen“. Nun seien beide Unternehmen in Gesprächen über nächste Schritte. Denn Adidas wolle so schnell wie möglich Schuhe aus komplett biologisch abbaubaren Materialien auf den Markt bringen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%