Biotechnologie Die nächste Revolution kommt aus dem Labor

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Crispr-Cas9 zur Genveränderung

Churchs Bürotür geht auf, der hochgewachsene Forscher kommt heraus und murmelt eine freundliche Begrüßung in seinen Bart. Die nächste Dreiviertelstunde läuft der 70-Jährige, den das Magazin „Time“ dieses Jahr zu einem der 100 wichtigsten Menschen kürte, im Sekretariat hin und her und redet. Auf den Beinen zu bleiben ist sein Kniff, um nicht plötzlich einzuschlafen. Church hat Narkolepsie. Das weiß jeder, der seine Webseite liest, weil Church sein Genom analysiert und alle Befunde veröffentlicht hat.

Ginge es nach ihm, sollten wir nicht nur mit Hefe und Aromen, Bakterien und Seide experimentieren, sondern mit der Menschheit. Alle sollten wie er über ihre Gene Bescheid wissen. Und die Chance haben, sie mit Crispr-Cas9 zu verändern, um gesund zu werden. „Es ist nahezu ein Verbrechen, dass Menschen heute keinen besseren Zugang zu genetischer Beratung haben, die ihnen Schmerzen ersparen könnte“, sagt er.

Church erzählt von Gentherapien, die Krebs besiegen oder Menschen vor allen Erregern der Welt schützen. Von Versuchen mit Schweinen, die er genetisch umbaut, damit ihre Organe dem Menschen als Ersatzteile dienen: „Nächstes Jahr starten wir präklinische Studien.“ Die ersten Organtransplantationen in Menschen sollen in ein paar Jahren folgen. Auch Erbkrankheiten wie die Muskelschwäche will Church besiegen, mit ein paar Injektionen voller Korrekturgene.

George Church Quelle: Harvard University Stephanie Mitchell

Church sagt, er nehme ethische Bedenken ernst. Aber er nehme es nicht hin, wenn Menschen Gentechnik grundsätzlich ablehnten. Wo liege die Grenze zwischen Therapie und narzisstischer Selbstoptimierung? „Wenn Sie muskulöser werden wollen – ist es mein Recht, Sie daran zu hindern?“, fragt Church. „Arnold Schwarzenegger hat eine ganze Karriere darauf aufgebaut.“

Church hat das Genome Project-Write mit gegründet, das die synthetische Biologie auf die Spitze treiben will. Hatte das Human Genome Project einst zum Ziel, das menschliche Genom komplett auszulesen, so soll GP-Write es bis zum Jahr 2026 künstlich schreiben. Die Forscher hoffen, auf dem Weg dahin vielen Rätseln in den Zellfabriken auf die Spur zu kommen – und die Kosten für die Gensynthese weiter zu verringern.

Bald soll es sogar gelingen, „DNA-Daten von Mikroben per E-Mail zu verschicken“, sagt Andrew Hessel, einer der GP-Write-Gründer, „und die Zelle woanders nachzubauen“. In einem Krankenhaus in Afrika könnten Mediziner heilende Mikroben herstellen, die in Laboren in Harvard entwickelt wurden. Es wäre, als könnte man Leben beamen.

Es ist eine mächtige Technologie, und wer den Schlüssel zu ihr hält, entscheidet bald über Leben und Tod. Eine Bioethikkommission in den USA empfiehlt bereits, Selbstmordgene in Designerlebewesen einzubauen, damit sie sich nicht außerhalb des Labors vermehren. Kürzlich bauten Forscher der Universität von Alberta gar das lebensgefährliche Pockenvirus nach, das als ausgestorben gilt, um gefährliche Erreger besser zu verstehen. Was, wenn Terroristen auf gleiche Art Biowaffen bauen? Das FBI gibt seinen Fahndern schon Grundkurse in Gentechnik.

Vier Milliarden Jahre war die Evolution die treibende Kraft für die Entwicklung des Lebens. Nun ist es der schaffende Mensch. Wenn eine einzige Zelle einen Wal hervorbringe, fragt Forscher Church, warum könne dann aus einem Samen nicht auch ein Haus wachsen? Das Start-up Ecovative, das die Verpackungen aus Pilzen züchtet, arbeitet mit der Forschungsbehörde Darpa des US-Verteidigungsministeriums schon an etwas Ähnlichem.

Ist ein Soldat verwundet, so der Plan, lassen Helfer an Ort und Stelle ein Ärztezelt wachsen: Sie gießen Wasser auf ein Biomaterial – und es entfaltet sich wie eine Blüte zu einem Schutzraum aus lebenden Zellen.

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