Corona-Bekämpfung „Es geht ständig zu holprig, seit Monaten“

Deutschland kämpft verbissen gegen die Pandemie. Doch dabei unterlaufen auch Bund und Ländern Fehler. Quelle: dpa Picture-Alliance

Albrecht Broemme ist einer der angesehensten Experten im deutschen Katastrophenschutz. Im Kampf gegen die Pandemie vermisst er bei Bund und Ländern eine klare Strategie und eine bessere Vorbereitung der Beschlüsse. Aber auch Experten wie er hätten einen Fehler gemacht.

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Albrecht Broemme, 67, leitete bis 2006 die Berliner Feuerwehr und war bis 2019 Präsident des Technischen Hilfswerks. Heute steht der Elektroingenieur an der Spitze des Zukunftsforums öffentliche Sicherheit, einem Verbund von Fachleuten aus Katastrophenschutz, Sicherheitsbehörden, Politik, Verwaltung und Forschung. Ende vergangenen Jahres hat der Berliner Thinktank sein „Grünbuch zur öffentlichen Sicherheit“ vorgestellt. Darin untersuchten die Experten neben möglichen Folgen des Klimawandels und der Digitalisierung der Organisierten Kriminalität auch Deutschlands Widerstandsfähigkeit gegen Pandemien.

WirtschaftsWoche: Herr Broemme, schon Ende 2012 hatte die Bundesregierung für den Bundestag Folgen einer Pandemie mit einem Coronavirus skizziert. Wurden aus dem sogenannten Modi-SARS-Szenario damals die richtigen Schlüsse gezogen?
Albrecht Broemme: Nein, eher nicht.

Warum wurden die in dem Bericht aufgelisteten Probleme denn nicht angegangen?
Aus zwei Gründen. Einmal strömen auf die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung zu viele Informationen ein. Allein in den Fachausschüssen des Bundestages landen monatlich ein paar Hundert vergleichbare Studien und Berichte. Die kann kein Mensch alle durcharbeiten. Wenn das Thema nicht gerade drängt, geht es unter. So war das wohl auch mit Modi-SARS.

Albrecht Broemme ist einer der angesehensten Experten im deutschen Katastrophenschutz. Bild: ZoeS // Jörg Rohne Quelle: Presse

Und der zweite Grund?
… hängt mit der Frage zusammen, warum es nicht drängend genug war. Wir hatten ja in den vergangenen Jahren einige gravierendere Gesundheitsvorfälle. Das EHEC-Bakterium beispielsweise in Lebensmitteln oder die Schweinegrippe. Aber irgendwie hat sich in Politik und Gesellschaft das Gefühl durchgesetzt, dass wir das ganz gut gemanagt haben. Haben wir aber nicht. Wir hatten bloß Glück. Und so hat dieses falsche Gefühl verhindert, dass wir uns angemessen auf eine Pandemie vorbereitet haben, wie sie uns nun getroffen hat.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement von Politik und Behörden?
Bei der Bekämpfung großer Schadenslagen geht es darum, schnell vom Getriebenen zum Handelnden zu werden. Bei Corona ist die Politik aber auch ein Dreivierteljahr nach den ersten Infektionsfällen in Deutschland noch immer zu sehr getrieben und agiert zu wenig strategisch. Natürlich entwickelt sich die Lage dynamisch. Aber es hätte viele Möglichkeiten gegeben, in den vergangenen Monaten strategische Optionen zu entwickeln und vorzubereiten.

Wann denn zum Beispiel? 
Nehmen wir die Diskussion um die FFP2-Masken: Dass die besser schützen als eine OP-Maske, weiß jeder. Ja, da klemmte es am Anfang bei der Beschaffung, aber das ist lange her. Wenn Bund und Länder also nun medizinische Masken in Bussen und Bahnen sowie beim Einkaufen vorschreiben und die besseren FFP2-Masken zumindest empfehlen, dann hätten sie die Versorgung damit in den vergangenen Monaten längst sichern müssen. Da geht es um Hunderte Millionen Stück, die wir im Monat benötigen. Das beschließt man nicht mal einfach so; sagt, die Masken gibt’s beim Apotheker, und dann wissen die Apotheken nicht mal rechtzeitig was davon. Es geht ständig zu holprig, seit Monaten.

Etwa auch bei den Impfungen, wofür die Politiker viel Kritik einstecken mussten.
Die Impfungen sind ein riesiger Fortschritt für die Medizin und die Menschen. Aber es kann doch nicht sein, dass wir seit Monaten der Verfügbarkeit von Impfstoffen entgegenfiebern und dann muss ein Bundesland bei einem externen Dienstleister Adressen von Senioren kaufen, um die anzuschreiben. Die Daten liegen doch alle in den Meldeämtern. Und wenn sich da Probleme abzeichnen, dann kann man das bei vernünftiger Vorplanung früh genug technisch oder rechtlich regeln. Oder besser, man hätte es regeln können, wenn man strategisch vorgegangen wäre. Wir können von Glück reden, dass Covid-19 so ein vergleichsweise ungefährliches Virus ist.

Ungefährlich? Angesichts von mittlerweile fast 50.000 Toten in Deutschland!
Ich will hier nicht mit dem Leichentuch wedeln, aber es könnten auch noch etliche Zehntausend mehr werden in Deutschland, bis die Pandemie einigermaßen eingedämmt ist. Wo aber stünden wir, wenn wir nicht mit diesem Coronavirus konfrontiert wären, sondern mit einem Erreger, der so tödlich wäre wie etwa das Ebolavirus?



Haben Sie den Eindruck, dass die Experten mit ihren Warnungen inzwischen ernster genommen werden? 
Ich fürchte, einerseits werden sie nicht genug gehört, anderseits gibt es inzwischen zu viele „Experten“. Wenn das Virus am Ende in anderen Ländern schlimmer gewütet haben sollte als bei uns, dann könnte es beim Durchatmen und Schulterklopfen bleiben: dass wir die Krise ja noch ganz gut gemeistert haben. Es gibt genug andere Probleme, die nach Corona gelöst gehören. Vom Arbeitsmarkt bis zum Abbau der Milliardenschulden. Da könnte die Diskussion über die Lehren aus dem holprigen Katastrophenmanagement wieder hinten runterfallen.

Wie wollen das Sie in Zukunft verhindern?
Ich glaube, wir Katastrophenschützer haben es den Verantwortlichen in der Vergangenheit auch nicht richtig erklärt. Ein Beispiel sind die bis zuletzt diskutierten Pläne, die Krankenhausdichte zu reduzieren, um Kosten zu optimieren. Der gesundheitliche Bevölkerungsschutz wurde da nicht mehr ausreichend berücksichtigt. Wie die Bevölkerung im Fall etwa einer Pandemie versorgt werden könnte, hatte keine Relevanz. In solchen Fällen etwa müssen wir uns besser verständlich machen. 

Dass finanzielle Mittel endlich sind, umgehen Sie aber auch nicht mit langen Diskussionen.
Umso wichtiger ist es, die Zusammenhänge aufzuzeigen, beispielsweise bei der Finanzierung der Vorsorge: Vorräte im Wert von Millionen Euro einzulagern, von Schutzmasken bis zu Notfallmedikamenten, das ist aus Sicht der Rettungsexperten eine Selbstverständlichkeit. Ist es aber nicht für Politikerinnen und Politiker, die jeden Euro, den sie uns geben, an anderer Stelle sparen müssen. Also müssen wir erklären, dass das Geld, das heute Prävention fließt, am Ende ein Vielfaches an Schäden zu vermeiden hilft.

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Das sagt sich leicht, aber stimmt es auch? 
Bleiben wir bei den Masken: Sie kosteten vor der Krise ein paar Cent. Aber als die im Frühjahr zur Mangelware wurden, mussten sie für mehrere Euro pro Stück eingeflogen werden, weil es keine Vorräte gab. In der Vergangenheit haben wir mit einer Quote von 1 zu 10 gerechnet, mit der sich die Vorsorge auszahlt. Jeder Euro, den ich vorab in Prävention stecke, vermeidet nachher 10 Euro Schadenssumme, sobald es kracht. Wenn ich mir aber anschaue, wie groß die Summen jetzt bei Corona sind, sehe ich, dass 1 zu 10 viel zu niedrig gegriffen war. 

Nämlich?
Die Quote liegt möglicherweise sogar bei 1 zu 100.000 Euro: Gegen all die nun beschlossenen Rettungspakete wären die paar Millionen Euro ein Klacks, die es etwa gekostet hätte, früh eine konsequente Maskenpflicht festzulegen, die erforderlichen Masken verfügbar zu machen und nun eine schlüssige Strategie zur Verteilung parat zu haben. Dann könnten wir vielleicht sogar den Lockdown in Handel und Gastronomie einschränken, müssten womöglich nicht über die Pflicht zum Homeoffice diskutieren und hätten, günstigstenfalls, schon die zweite Infektionswelle im Herbst deutlich mindern können.

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