Corona-Impfstoffe mRNA-Forschung: Heiße Kandidaten für den Nobelpreis

Ingmar Hoerr, Ugur Sahin und Özlem Türeci. Quelle: imago images

Am Montag entscheidet sich, wer die begehrte Auszeichnung erhält. Einige deutsche mRNA-Forscher wie Ugur Sahin, Özlem Türeci oder Ingmar Hoerr können sich Hoffnungen machen. Sie sind aber nicht die einzigen.

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Ob das Komitee des Karolinska-Instituts in Stockholm am Montag tatsächlich mRNA-Forscher auszeichnet, ist nicht klar – womöglich werden auch Wissenschaftler einer ganz anderen Fachrichtung mit dem Preis bedacht. Aber sicher ist: Die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna haben Millionen Menschenleben gerettet.

Die Forschungen laufen seit knapp dreißig Jahren. Immer ging es darum, wie sich das Botenmolekül mRNA, die biochemische Abschrift der Erbsubstanz DNA, nutzen lässt, um die körpereigene Abwehr zu aktivieren. Die mRNA transportiert dabei den Bauplan für die entsprechenden Proteine – im Falle von Covid-19 für das stachelige Spike-Protein, das die Abwehr dann auslöst. Etliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätten den Nobelpreis verdient. Die Jury darf jedoch nur maximal drei von ihnen auszeichnen. Das sind die aussichtsreichsten Kandidaten:

Pierre Meulien (Frankreich): Die Arbeitsgruppe um Meulien beschrieb 1993 erstmals die Wirkung des Botenmoleküls RNA bei Mäusen. Die Franzosen spritzten den Nagetieren mRNA, die eine Bauanleitung für ein Protein des Grippevirus enthielt. Tatsächlich entwickelten manche Mäuse daraufhin Antikörper gegen das Grippevirus. Nach einem ähnlichen Prinzip arbeiten auch die heutigen mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19. Allerdings funktionierte die Technologie nicht immer: Die mRNA erwies sich als nicht robust genug. Schon ein Jahr später, 1994, stellte Meulien die Forschung ein.

Robert Conry (USA): Die Forschertruppe aus Alabama spritzte Mäusen 1995 krebstypische Proteine mittels mRNA. Fünf von sieben Mäusen entwickelten daraufhin Antikörper. Obwohl vielversprechend, verfolgte Conry den Ansatz nicht weiter.



Ingmar Hoerr (Deutschland): Der Tübinger Biologe entdeckte 1999 im Rahmen seiner Doktorarbeit ebenfalls, dass selbst unverpackte mRNA bei Mäusen eine Immunreaktion auslöst. Hoerr war der erste Forscher, der das Konzept der mRNA-Impfung aufgriff, weiterentwickelte und eine Firma namens CureVac gründete. Die Idee: Heilen (cure) durch Impfstoffe (vaccines). Hoerr glaubte an die Kraft der mRNA – und stand damit ziemlich alleine da.

Die meisten Forscher arbeiteten um die Jahrtausendwende, als gerade das Genom des Menschen entschlüsselt worden war, lieber mit der Schwestersubstanz DNA. Hoerrs Doktorvater Günther Jung sagt: „Ingmar hat nicht lockergelassen und weitergemacht.“ Hoerr erforschte etwa, wie sich das flüchtige Molekül stabilisieren lässt. Erstmals injizierte sich bei Curevac ein Proband mRNA, das Unternehmen produzierte in größerem Stil. Gegen Hoerr als Nobelpreis-Gewinner spricht, dass er die wissenschaftliche Laufbahn verlassen hat, um sich fortan seinem Unternehmen zu widmen. Die Zahl seiner Publikationen ist überschaubar.

Gegen alle Widerstände hat Ingmar Hoerr die mRNA-TechnoIogie entwickelt – und in entscheidenden Momenten womöglich Fehler gemacht. Ein Lehrstück über die Tugenden und Tücken auf dem Weg vom Erfinder zum Unternehmer.
von Jürgen Salz

Katalin Kariko (Ungarn): Die gebürtige Ungarin, die 1985 in die USA zog und an der University of Pennsylvania forschte, arbeitete seit den Neunzigerjahren an mRNA. Ähnlich wie Hoerr musste sie auch gegen zahlreiche Widerstände ankämpfen, ihre Forschung galt lange als Orchideenfach. 2005 entdeckte sie zusammen mit ihrem Kollegen Drew Weissman, welche chemische Modifikation nötig ist, damit die fremde RNA zunächst nicht vom Körper erkannt wird und so die Wirkung behindert. Sie ersetzte einen natürlich (Uridin-) Baustein der RNA durch einen künstlichen (Pseudouridin-) Baustein. Dieses Prinzip war später wesentlich für den Erfolg der Impfstoffe von Biontech und Moderna. Curevac dagegen verzichtete auf den künstlichen Baustein – das gilt als ein Grund dafür, warum der noch nicht zugelassene Wirkstoff von Curevac schlechter wirkt. Seit 2014 arbeitet Kariko für Biontech.

Derrick Rossi (Kanada): Der Forscher der Harvard University griff 2009 Karikos Konzept auf und entwickelte es weiter. Ihm gelang es, aus Zellen mithilfe der modifizierten mRNA embryonale Stammzellen zu schaffen. Daraus wiederum lassen sich, so die Hoffnung, ganze Ersatzzellen oder Gewebe nachzüchten. Rossi erkannte die Möglichkeit, mithilfe der mRNA Proteine zu produzieren. Der Harvard-Wissenschaftler hat zahlreiche Biotechunternehmen (mit-) gegründet, unter anderem das US-Unternehmen Moderna.

Ugur Sahin/Özlem Türeci (Deutschland): Die beiden Biontech-Gründer haben die mRNA-Technik weiterentwickelt – vor allem, um damit Krebs durch Impfungen zu bekämpfen. Zusammengerechnet hat das Forscherpaar über 500 wissenschaftliche Publikationen dazu verfasst. Oft ging es dabei um wichtige Details – wie sich etwa mRNA am besten verpacken lässt und in die Zellen gelangt. Sahin und Türeci waren die ersten, denen es gelungen ist, aus ihren Erkenntnissen einen sehr wirkungsvollen Impfstoff zu entwickeln und damit unzählige Leben zu retten. Seit der ersten Spritze im Dezember 2020 haben Milliarden Menschen das Biontech-Vakzin Comirnaty erhalten.

Wer verdient nun den Medizin-Nobelpreis? Gegen Montagmittag will das Komitee seine Entscheidung bekannt geben.

Mehr zum Thema: In ihrem nun erschienen Buch „Projekt Lightspeed“ erzählen die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Ugur Sahin zusammen mit dem Journalisten Joe Miller von ihrer Jagd nach dem Corona-Impfstoff im vergangenen Jahr. Die Geschichte von Biontech beginnt allerdings schon gut ein Jahrzehnt früher – bei einem denkwürdigen Treffen in München.

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