Crispr-Cas9 Wie die Gen-Schere unsere Welt verändern soll

Im Turbotempo erobert das neue Genwerkzeug Crispr-Cas9 die Pharma- und Agrarbranche. Milliarden fließen in Therapien, Pflanzenzucht und Start-ups. Was sie mit dem mächtigen Werkzeug vorhaben.

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DNS-Forschung: Genwerkzeug Crispr-Cas9 erobert Pharma- und Agrarbranchen. Quelle: Getty Images

Seit Montag ist Kathy Niakan weltberühmt. Und versteckt sich doch. Als die britische Human Fertilisation and Embryology Authority der Stammzellforscherin erlaubte, menschliche Embryonen genetisch zu manipulieren, schickte sie einen Kollegen zur Einordnung der Entscheidung vor. Die Forscherin vom Londoner Francis Crick Institute selbst arbeitete an diesem Tag seelenruhig an zwei wissenschaftlichen Aufsätzen weiter und war abends in den TV-Nachrichten nur anonym im Hintergrund zu sehen: eine Frau im weißen Kittel mit dichtem schwarzem Lockenschopf, die sich über ein Mikroskop beugte.

Diese Konzerne sind Forschungsweltmeister
Platz 10 - Merck & Co - Forschungsausgaben: 7,5 Milliarden US-DollarBeim US-Pharmakonzern wurden die Forschungsausgaben im Vergleich zum Vorjahr zurückgefahren, machen aber immer noch 17 Prozent des Umsatzes aus.Quellen: Bloomberg, Thomson Reuters Quelle: AP
Platz 9 - Google - Forschungsausgaben: 8 Milliarden US-DollarDie einstige Suchmaschine ist innerhalb von zehn Jahren zum Internetriesen aufgestiegen - und forscht nun auch in Bereichen, die eigentlich nicht zum Kerngeschäft gehören. Mit dem Google Car (Foto) haben die Kalifornier bereits einen Prototyp für ein selbstfahrendes Auto entwickelt. Quelle: dpa
Platz 8 - Johnson & Johnson - Forschungsausgaben: 8,2 Milliarden US-DollarDer Pharma- und Konsumgüterkonzern verkauft auch in Deutschland seine Marken wie Penaten und Listerine. 11,5 Prozent des Umsatzes werden in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte gesteckt. Quelle: AP
Platz 7 - Toyota - Forschungsausgaben: 9,1 Milliarden US-DollarAls erster Hersteller wollen die Japaner schon 2015 ein Wasserstoff-Auto auf den Markt bringen. Obwohl der Konzern nur 3,5 Prozent seines Umsatzes in die Forschung und Entwicklung steckt und die Ausgaben in diesem Bereich gekürzt hat, reicht das locker für die Top Ten. Quelle: AP
Platz 6 - Novartis - Forschungsausgaben: 9,9 Milliarden US-DollarDer Pharmariese aus der Schweiz kann damit an Toyota vorbeiziehen. Denn hier wurde bei den Forschungsausgaben nachgelegt, obwohl diese heute schon 17 Prozent des Umsatzes ausmachen. Quelle: AP
Platz 5 - Roche - Forschungsausgaben: 10 Milliarden US-DollarUnter den großen Pharmariesen gibt keiner mehr für Forschung und Entwicklung aus als die Schweizer. Satte 19,8 Prozent des Umsatzes fließen in den Forschungsetat. Quelle: REUTERS
Platz 4 - Microsoft - Forschungsausgaben: 10,4 Milliarden US-DollarOft gehasst, doch nie verschwunden - die Erben von Microsoft-Gründer Bill Gates haben den IT-Riesen bisher durch jede Krise gesteuert, auch weil das Unternehmen die Zukunft nicht vernachlässigt. 13,4 Prozent des Umsatzes fließen in die Forschung und Entwicklung. Quelle: REUTERS

Dabei wird Niakan als erste Europäerin in die menschliche Keimbahn eingreifen – ins Erbgut eines Ungeborenen, das er an all seine Nachkommen weitergibt. Wenn auch nur zu Forschungszwecken. Sie wird dabei mit der spannendsten Technik am Biotechfirmament arbeiten: einer Genschere namens Crispr-Cas9. Damit lässt sich das Erbgut so einfach wie nie kürzen, längen und umschreiben. Auch wenn die Forscherin das weder vorhat noch es ihr erlaubt wäre: Die Technik ermöglicht gentechnisch optimierte Babys und, zu Ende gedacht, das Neudesign des Lebens.

Die Entwicklung der Gentherapie

Der Aufschrei der Empörung gegen die Erlaubnis ist groß. Kirchen, Politiker, selbst Stammzellforscher wie Hans Schöler, Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster, warnen: „Diese Forschung öffnet eine Tür.“ Dass solche Eingriffe nicht durchgeführt würden, sei internationaler Konsens gewesen. Doch die britische Behörde will Großbritannien als Vorreiter bei der Crispr-Technik positionieren. Denn es ist längst weltweit ein Wettstreit darüber entbrannt, wer die Rechte an dieser gerade erst dreieinhalb Jahre alten Technologie ergattert: um mit ihr lukrative neue Therapien gegen Krebs oder die Bluterkrankheit zu entwickeln oder um Pflanzen und Nutztiere zu verändern, sodass sie höhere Erträge bringen. Mit ersten derartigen Produkten rechnen Brancheninsider bereits in drei bis fünf Jahren. Acht Jahre wird es dauern, schätzen Optimisten, bis Menschen mit Crispr-Hilfe ihre Herz-Kreislauf-Probleme in den Griff bekommen.

Ein Forscher-Trio hält die Fäden in der Hand

Viele dieser Ziele verfolgen Gen-Ingenieure schon seit Jahrzehnten. Doch mit Crispr geht alles schneller und einfacher. Deshalb verbünden sich große Life-Science-Konzerne wie Bayer, Novartis, AstraZeneca oder Dupont gerade mit Start-ups, die Zugriff auf die Patente für die Technik haben. Zwei dieser Shootingstars drängen dieses Jahr an die Börse. Konzerne und Investoren pumpen Milliardensummen in die neue Technik.

„Wenn alles funktioniert, könnten wir Krankheiten behandeln oder sogar heilen, die wir bisher mit konventionellen Medikamenten nur mühsam in Schach halten“, verkündet Bayer-Innovations-Vorstand Kemal Malik. Was eine völlig neue Qualität in der Pharmaentwicklung wäre. Malik räumt aber auch ein, die Gefahr zu scheitern sei in diesem frühen Stadium noch sehr groß.

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Die Schar der entscheidenden Köpfe, die Patente an der neuen Technik angemeldet haben, ist übersichtlich: Es sind die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna, die gemeinsam im August 2012 den weltweit ersten Fachartikel veröffentlichten, wie sich der aus Bakterien stammende Molekülkomplex Crispr-Cas9 als Werkzeug nutzen ließe. Mit dieser Genschere zerschneiden Bakterien das Erbgut von Viren, von denen sie angegriffen werden. Mit ihrer Idee traten die mittlerweile in Berlin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie forschende Charpentier und die Biochemikerin Doudna von der University of California in Berkeley eine Lawine von Forschungsarbeiten los. Der dritte im Bunde ist Feng Zhang vom Broad Institute im amerikanischen Cambridge.

Vermarktung über vier Start-ups

Das Trio liegt allerdings im Streit und debattiert seit Wochen erbittert, wer die älteren Rechte an einer der wichtigsten Biotechinnovationen des Jahrhunderts besitzt. Das hindert die Forscher aber nicht, die Technik über vier Start-ups zu vermarkten: Doudna via Caribou und Intellia, Charpentier mit Crispr Therapeutics und Zhang durch Editas.

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Um die vier Firmen buhlen nun Pharma- und Chemiekonzerne, aber auch Biotechunternehmen, die alle mitverdienen wollen. Seit 16 Monaten tobt der Verteilungskampf nun schon. Dabei agieren die Firmen mit sehr unterschiedlichen Strategien.

Caribou: Hunger bekämpfen

Doudnas Gründung Caribou Biosciences im kalifornischen Berkeley spielt die Rolle des Landeis und konzentriert sich auf die Agrarbranche. Caribou will nicht weniger als die Welternährung sichern. Denn mit Crispr lassen sich Pflanzen wie auch Nutztiere gentechnisch optimieren. Dank Crispr sollen Mais und Weizen Dürren überstehen und zugleich höhere Erträge abwerfen.

Das lockt den US-Chemie- und Agrarriesen Dupont, der im Oktober 2015 von Caribou-Chefin Rachel Haurwitz die Nutzungsrechte für die Pflanzenzucht erhielt. Was der Konzern für die mehrjährige Kooperation bezahlt, verraten die Partner nicht. Schon im Frühling sollen Feldversuche beginnen.

Diese Start-ups arbeiten an Crispr-Cas9

Besonders spannend: Das US-Landwirtschaftsministerium signalisierte, dass Pflanzen nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssten, solange keine Gene fremder Lebewesen wie Bakterien eingebaut seien. Ob das auch für Europa gilt, will die EU-Kommission bald entscheiden. Es wäre für die Branche ein Durchbruch: Schließlich ist konventionelle gentechnisch veränderte Nahrung, die entsprechend gekennzeichnet werden muss, hoch umstritten, vor allem unter Europas Verbrauchern. Ohne die Kennzeichnung wittern die Agrarkonzerne neue Marktchancen.

Intellia: Krebsabwehr stärken

Für die Anwendung beim Menschen hat Caribou in Cambridge Intellia Therapeutics ausgegründet. Das Start-up hat sich bereits im November 2014 mit dem Pharmakonzern Novartis verbündet – ohne Zahlen zu nennen. Die Schweizer haben sich damit als weltweit erster Konzern den Zugriff auf die neue Genschere gesichert. Novartis will Immunzellen außerhalb des Körpers mit der Crispr-Technik gegen Tumore aufrüsten und dann wieder in die Kranken zurückzugeben. Der Ansatz hat gute Chancen, zur ersten Crispr-Therapie zu werden. Denn er lässt eine Erfolgskontrolle zu: Nur Zellen, bei denen das Gentuning ohne Störung funktioniert hat, kommen zum Einsatz.

Editas: Erblinden stoppen

Vornehme Verschwiegenheit wie bei Intellia ist dem Start-up Editas Medicine fremd, das Feng Zhangs mitgegründet hat. Die ebenfalls in der Biotechhochburg Cambridge angesiedelte Firma gibt sich eher als Retter der Menschheit. Mammuts wieder auferstehen lassen, Menschen optimieren, sämtliche Krankheiten heilen, weniger wäre nicht gut genug für Editas. Im Mai 2015 hat sich die Firma mit Juno Therapeutics aus Seattle zusammengetan, um in einem 25 Millionen Dollar schweren Forschungsprogramm – wie Intellia – externe Krebstherapien zu entwickeln. Und im August 2015 erhielt das Start-up unter anderem von Microsoft-Gründer Bill Gates 120 Millionen Dollar, um Gentherapien zu entwickeln, etwa gegen ein erbliches Augenleiden. Der Vorteil der Strategie: Die Geneditierung muss nicht gleich perfekt im ganzen Körper funktionieren, sondern nur in einem einzigen Organ, das noch dazu gut von außen zu erreichen ist. Im Frühjahr 2017 sollen Versuche am Menschen beginnen, sagt Editas-Chefin Katrine Bosley, die im Januar auch den baldigen Börsengang ankündigte.

Crispr Therapeutics: Bluter heilen

Bescheidener gibt sich Charpentiers Gründung Crispr Therapeutics, die in Basel residiert und in Cambridge forscht. Sie hat dennoch das meiste Geld eingesammelt. So fädelte Chef Rodger Novak im November 2015 den mit 2,6 Milliarden Dollar größten Biotechdeal des Jahres ein – mit Vertex Pharmaceuticals aus Boston. Vertex ist auf Erbleiden wie Mukoviszidose spezialisiert, das die Lunge zerstört. Gegen diese und fünf weitere Krankheiten will das Duo kämpfen.

Mit Bayer gründete das ebenfalls an die Börse strebende Start-up in Cambridge ein Joint Venture, das Therapien sogar für Herzleiden finden soll. Was Novak gut gefällt: „Wir geben keine Rechte ab, sondern entwickeln und vermarkten gemeinsam Therapien.“ Mit einem Mal kann sein Team auf die Expertise eines Pharmakonzerns zugreifen.

In zwei bis drei Jahren hofft Axel Bouchon, derzeit Chef des Joint Ventures und Leiter des Bayer LifeScience Centers, Bluterkranken per Gentherapie helfen zu können. Bei vielen ist eine Erbanlage defekt, die den Bauplan für einen lebenswichtigen Blutgerinnungsfaktor liefert. Die Genschere soll den Defekt in jeder einzelnen Zelle des Patienten reparieren. Wenn das wirklich funktioniert, gebe es praktisch keine durch Gene verursachten Krankheiten mehr, meint Bouchon, die sich nicht heilen ließen.

Und wann geht Bayer dazu über, die Gendefekte schon in der Keimbahn, am ungeborenen Embryo zu korrigieren? „Niemals“, lautet die einhellige Antwort von Bouchon und seinem Forschungsvorstand Malik: „Dafür gibt es weder heute noch in Zukunft irgendeine medizinische Notwendigkeit.“

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