WirtschaftsWoche: Frau Steinberger, das kalifornische Gen-Selbsttest-Unternehmen 23andMe hat gerade einen 60-Millionen-Dollar-Kooperationsvertrag mit dem US-Biotechriesen Genentech abgeschlossen. Dem wird es für die Erforschung von Parkinson-Patienten Gentest-Daten seiner Kunden zur Verfügung stellen. Regt Sie das auf?
Daniela Steinberger: Nein, denn die 23andMe-Gründer haben nie damit hinter dem Berg gehalten, dass sie genau das tun wollen. Gendaten zu sammeln, um sie dann an die Pharmaindustrie zu verkaufen, ist ihr ureigenstes Geschäftsmodell. Denn mit den nur 99 Dollar teuren Gentests für zuhause hat 23andMe nie etwas verdient.
Wie kommen Sie darauf?
Weil 23andMe die Speichelproben, die die Kunden ihnen zuschicken, selbst an ein labormedizinisches Fachunternehmen weitergibt, das den eigentlichen Gentest macht. Und dafür bezahlt 23andMe fast genauso viel, wie die Kunden für den Test berappen müssen. Aber auch das ist kein Geheimnis: Die Firmengründer und Investoren – Anne Wojcicki, die Noch-Ehefrau von Google-Mitgründer Sergey Brin und der Facebook-Millionär Yuri Milner – sponsern damit ihr Projekt, Genomdaten großflächig verfügbar zu machen.
Sie haben in Frankfurt das "bio.logis Zentrum für Humangenetik" gegründet, das neben klassischer Diagnostik ähnliche Gen-Selbsttest-Dienste anbietet. Verkaufen Sie auch die Daten an interessierte Pharma-Unternehmen?
Nein, das haben wir bisher nie getan, obwohl wir immer wieder Anfragen bekommen und es durchaus Interesse daran gibt.
Ist es unethisch, was 23andMe da treibt?
Nein, überhaupt nicht. Denn zum einen kann jeder Kunde sein Kreuzchen auch an der Stelle machen, wo 23andMe die Nutzung der Daten untersagt wird. Wir würden es trotzdem so nicht machen, denn der Knackpunkt ist ja vor allem das Verkaufen der Daten. Das weckt Neid und bei den meisten Menschen das blöde Gefühl, dass sie zwar mit ihren Gendaten etwas beigetragen haben zu diesem Geschäft, selbst aber scheinbar nicht das Geringste davon haben. Ich frage mich, worin eigentlich das Problem besteht, vor allem wenn dann die Daten schließlich zu besseren Therapien für die Betroffenen führen. Die Aufregung und den Ärger um dieses Thema will ich mir und meinem Unternehmen aber ehrlich gesagt ersparen.
Wollen Sie die Daten Ihrer Kunden denn ebenfalls nutzbar zu machen.
Ja, das wollen wir. Mit entsprechender Einwilligung machen das im Übrigen alle seriösenhumangenetischen Institutionen die Diagnostik durchführen, ob universitär oder außer-universitär. Denn das ist ja das eigentlich spannende an diesen Daten – damit zu arbeiten und zu forschen. Wenn wir über den reinen Befundbrief hinaus die bei einer Diagnostik anfallenden Informationen nicht nutzen würden, könnte unsere Interpretationskompetenz ansonsten niemals weiterentwickelt werden. Das kann nicht im Sinne der Patienten sein. Über diese klassische erfahrungswissenschaftliche Nutzung in der Medizin hinaus sehen wir uns als Vermittler zwischen anderen Forschern und Menschen, deren Genomdaten bereits vorliegen. Wir denken dabei eher an eine Art digitales schwarzes Brett, an dem Forscher oder Unternehmen unsere Klienten ansprechen können, ob sie ihre Daten bereitstellen und an entsprechenden Studien teilnehmen wollen. Der persönliche Nutzen, den die einzelnen Kunden aus den meisten der von 23andMe gelieferten Daten und Interpretationen bisher ziehen können, liegt bei nahezu Null. Ich nenne das deshalb „Bullshit-Genetik“, und ich habe 23andMe dafür lange Zeit belächelt– bis zu dem Zeitpunkt,zu dem sie echte diagnostische Tests ebenfalls in das Testportfolio aufgenommen haben.
23andMe: Ein medizinfremder Anbieter
Und heute – fürchten Sie 23andMe?
Nein, ich habe mich inzwischen sogar mit dem Gedanken anfreunden können, dass dieser Spielball einiger sehr reicher Menschen das Feld der Genomforschung und auch die Versorgung mit medizinischen Daten für alle tatsächlich voran bringen wird. Denn dieses – auch wegen seiner Gründer – weltweit so populäre Unternehmen, regt Diskussionen an, die dringend notwendig sind. Zum Beispiel über die Frage, wer die Deutungshoheit über medizinisch relevante Daten hat. 23andMe, als völlig medizinfremder Anbieter, hat einfach mal losgelegt, ohne jede Zulassung durch die US-Gesundheitsbehörde FDA. Die ließ das Unternehmen jahrelang gewähren und untersagte erst im November 2013 die Interpretation der körperbezogenen Test-Daten. Bei uns in Deutschland ist das so geregelt: Einen Gentest darf ein Unternehmen zwar durchführen. Das Ergebnis zu interpretieren und einen im medizinischen Alltag nutzbaren Befund erstellen ist im Verständnis der ärztlichen Berufsordnung eine Behandlung. Und behandeln dürfen nur ein Arzt oder eine Ärztin. Ob damit die beste Qualität tatsächlich immer sichergestellt ist, möchte ich bezweifeln.
Machen Sie sich und Ihren Berufsstand damit nicht überflüssig?
Das ist die unausgesprochene Furcht und der erste Reflex meines Berufstandes. Wenn ich versuche, über diesen Reflex hinaus die Situation rational zu betrachten, muss ich mir als Ärztin allerdings eingestehen, dass ich unmöglich alle aktuellen Ergebnisse und Neuigkeiten aus der Genomforschung oder anderer Bereiche der Medizin im Kopf haben kann. Bei der schieren Menge der Daten, mit der wir Humangenetiker arbeiten, sind uns natürlich IT-gestützte Aufbereitungen und Auslieferungen von Informationen haushoch überlegen. Warum sollte also ein Unternehmen, das Genomdaten logistisch perfekt prozessiert, nicht genauso gut oder sogar viel besser in der Lage sein, solche Informationen zu liefern, wie ein niedergelassener Hausarzt, der vielleicht schon lange den Anschluss an die aktuelle Forschung verloren hat. Aber das rüttelt an unserem traditionellen Selbstverständnis und dem Allwissenheitsanspruch als Halbgötter in Weiß. Und es weckt natürlich existenzielle Ängste bei vielen Medizinern. Die Folge davon sind ordentliche Abwehrreaktionen gegenüber allem, was mit der Verbreitung von ärztlichem Spezialwissen via Internet und Apps zu tun hat. Dabei bieten diese neuen Instrumente uns Ärzten die Chance, dass wir uns auf unsere eigentliche Kernkompetenz besinnen können: als Menschen andere Menschen unterstützend in schwierigen Situationen zu begleiten. Das können wir hoffentlich besser als Internet-Anbieter, deren Dienste wir nützen könnten, wenn denn die Qualität stimmt.
Ein Macht- und Verteilungskampf also?
Ja, absolut. Noch sind das kleine Nadelstiche, die auf das klassische System einwirken. Aber es werden immer mehr davon. Zusammen mit vielen anderen medizinischen Trends, die auf der Nutzung von jederzeit und überall verfügbaren Daten beruht, braut sich hier gerade ein Aufstand gegen die Dinosaurier-Kultur unseres Medizinbetriebs zusammen. Und das ist sehr gut so.