Demenzdorf Hameln Hilfe gegen das Vergessen

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Eine Klinik für Erinnerungen

Auch in dem neuen Fall gilt: Das Mittel hilft, den geistigen Verfall zu bremsen, stoppen kann es ihn nicht.

Demenz droht zum Kollateralschaden des langen Lebens zu werden. Damit Millionen Patienten nicht nur verwahrt werden, kommt mangels derzeitiger Alternative aus Pharma und Biotech der Pflege die entscheidende Rolle im Umgang mit dem Leiden zu. Damit aber wird aus dem gesellschaftlichen und medizinischen auch ein ökonomisches Problem: Die Kosten für die Pflege dementer Senioren werden von derzeit höchstens 75 auf 136 Milliarden Euro im Jahr 2050 steigen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bastelt für Herbst an einer Reform, die entsprechend Geld bereitstellen soll. Immerhin: Wer schaut, wie in Vorbild-Projekten überall im Land mit dementen Menschen umgegangen wird, erahnt erste Antworten, wofür dieses Geld sinnvoll ausgegeben würde.

Was die Pflege Dementer in Deutschland bald kosten wird

Hartmut Fahnenstich ist Sozialmediziner an der Memory Clinic in Essen und erinnert sich genau an seinen prominentesten Patienten: Rudi Assauer hatte plötzlich Probleme, sich Zahlen zu merken. Der ehemalige Manager des Fußballbundesligisten Schalke 04 kam vor mehr als fünf Jahren mit seiner Tochter in die Klinik, die 1991 eine der ersten ihrer Art in Deutschland war. In dem sonst kargen Besprechungsraum erfreute sich Assauer an dem schalke-blauen Aktenschrank. „Der war ursprünglich mal gelb, das ging natürlich gar nicht, das ist die Hausfarbe von Borussia Dortmund. Da wir hier alle Schalke-Fans sind, haben wir den blau gestirchen“, sagt Fahnenstich.

Hilfe brauchen vor allem die Angehörigen

Bei ihrem Idol Assauer diagnostizierten die Mediziner schließlich Alzheimer. Um den einst mächtigen Fußballboss daran zu erinnern, wer er mal war, luden sie später etwa den früheren Schalke-Trainer Huub Stevens und Torwart Jens Lehmann in die Klinik ein – Biografiearbeit nennt Fahnenstich das.

Die Memory Clinic ist auf die Früherkennung von Demenz spezialisiert. Wer sich rechtzeitig, bei den ersten Anzeichen, durchchecken lässt, kann zwar nicht geheilt werden, weil es bisher keine wirksamen Medikamente gibt, hat aber bessere Chancen mit der Krankheit umzugehen – vor allem die Angehörigen. Einen Großteil seiner Zeit verbringt Fahnenstich damit, den Söhnen und Töchtern zu erklären, wie sie ihren demenzkranken Eltern helfen können: „Nicht die Wohnung umbauen, sondern lieber alles so lassen, wie es ist, damit sie sich noch zurechtfinden.“ Oder: „Nicht widersprechen oder korrigieren, sondern auf ihre Realität eingehen.“ „Die einzig wirksame Therapie ist die Therapie der Angehörigen“, findet er.

Gewichtheben hilft dem Gedächtnis
Gewichte stemmenEine Studie von Forschern am Georgia Institute of Technology hat gezeigt: körperliche Fitness bewegt auch den Geist. Die Untersuchung zeigte, dass ein kurzes Workout von gerade einmal 20 Minuten die Leistung des sogenannten episodischen Gedächtnisses verbessern kann. Dabei handelt es sich um einen Teil des Langzeitgedächtnisses, der speziell für das Erinnern von Ereignisketten im Laufe des Lebens zuständig ist. Untersucht wurden junge, gesunde Erwachsene. Die Forscher zeigten, dass ihr Erinnerungsvermögen um zehn Prozent gesteigert werden konnte, wenn sie Kraftsport machten. Quelle: REUTERS
Grüner Tee Das Gebräu ist nicht nur ein Muss für Entspannungsfanatiker und Meditationsfans, sondern auch Doping für die Hirnleistung - und eine Waffe gegen Alzheimer. Forscher der Universität Basel fanden heraus, dass sich durch grünen Tee die Zusammenarbeit verschiedener Hirnareale steigern lässt. Diese bessere Konnektivität sorgt zumindest kurzfristig für eine bessere Denkleistung. Aber auch langfristig hilft grüner Tee: Laut Wissenschaftlern der Universität von Michigan enthält er den Wirkstoff namens Epigallocatechin-3-gallate. Er kann Eiweißablagerungen verhindern, die bei der Entstehung von Alzheimer eine Rolle spielen. Quelle: dpa
YogaWer regelmäßig Yoga macht oder meditiert, kann seine Denkkraft auch im Alter länger hochhalten. Zu diesem Ergebnis kamen Psychologen der Havard Medical School, die Yoga-Übende, Meditierende und Nicht-Praktizierende in einer Studie miteinander verglichen. Dabei wurde die Gehirnaktivität der Probanden mit einem Magnetresonanztomographen gemessen, außerdem wurden Denkgeschwindigkeit und Auffassungsgabe geprüft. Den Gehirnleistungsvorsprung der Yoga-Übenden erklären die Psychologen mit drei Gründen: Erstens haben die Yoga-Praktizierenden stärker verknüpfte neuronale Netze, zweitens sind ihre Schaltkreise widerstandfähiger gegenüber Verletzungen und drittens gehen sie achtsamer mit ihren Aufgaben um. Quelle: dpa
SchlafenGute Nachrichten: Es geht auch bequemer. US-Wissenschaftler der Rochester Universität haben kürzlich anhand von Tierversuchen erneut belegt, dass einfaches Schlafen die Hirnaktivität fördert. Grund dafür ist nicht nur die Erlebnisverarbeitung, sondern auch eine Art „Recyclingfunktion“ des Gehirns. Dieses entsorgt im Schlaf den schädlichen, zellulären Müll des Tages. Kann das Gehirn seine Abfallentsorgung nicht durchführen, beispielsweise aufgrund von Schlafmangel, drohen Erkrankungen wie Alzheimer. Die Empfehlung der Forscher: Sieben bis neun Stunden Schlaf jede Nacht. Quelle: obs
Soziale KontakteQuatschen, Plaudern, Reden. Soziale Kontakte wirken wahre Wunder. Im Gehirn übernimmt die soziale Interaktion eine ähnliche Funktion wie Gehirnjogging – nur, dass nicht bestimmte Hirnregionen gezielt stimuliert werden, sondern verschiedene Bereiche. Amerikanische Neurologen von der Rush Universität haben über einen längeren Zeitraum Hunderte von Senioren begleitet und den Zusammenhang von Einsamkeit und Alzheimergefahr beobachtet. Das Ergebnis: Je einsamer sich die Probanden fühlten, desto größer wurde das Alzheimer-Risiko. Freunde, Familie oder ein Plausch mit den Nachbarn fördern das Wohlbefinden und festigen die Denkleistung. Quelle: dpa
SportEigentlich ist es kein Geheimnis: Ein gesunder Geist ruht in einem gesunden Körper. Trotzdem vernachlässigen viele Menschen ihre physische Fitness – und beeinträchtigen damit ihre Gehirnkapazität. Zahllose Studien belegen, dass Sport die Durchblutung des Gehirns und das Wachstum von Kapillaren und Nerven fördert. Wichtig: Wer keinen Six-Pack oder Traummaße hat, ist noch lange nicht benachteiligt. Wie Forscher der Universität Nebraska ermittelten, kommt es vor allem auf die aerobe Fitness an - also die Fähigkeit des Körpers, Sauerstoff aufzunehmen und zur Energieumwandlung zu gebrauchen. Beruhigend: Diese Fähigkeit lässt sich trainieren - durch Sport. Quelle: dpa
ErnährungDie richtige Ernährung ist wichtig für Körper und Geist. Das Gehirn macht zwar nur rund 2 Prozent des gesamten Körpergewichts aus, verbraucht allerdings – je nach Arbeitsbelastung – um die 20 Prozent der Energiereserven. Klar, dass dadurch auch die richtige Ernährung für die Denkaktivität eine große Rolle spielt. In einer Studie mit über 3600 Teilnehmern haben finnische Wissenschaftler die Bedeutung von Omega-3 Fettsäuren nachgewiesen - einer Fettsäure, die vor allem in Fisch vorkommt. Die Forscher vermuten: Ein regelmäßiger Verzehr von Fisch senkt bei älteren Menschen die Gefahr von unbemerkten Hirnschäden, Gedächtnisverlust oder Schlaganfällen um ein Viertel. Aber auch andere Lebensmittel können helfen: Verschiedene Vitamine und geringe Mengen Alkohol wirken belebend und vitalisierend auf Gehirnleistung und Laune. Quelle: dpa

Sophie Rosentreter ist eine solche Angehörige. In ihrem früheren Leben, als Moderatorin beim Musiksender MTV und bei „Big Brother“, stand sie vor der Kamera. Inzwischen arbeitet die 39-Jährige hinter der Kamera, sie produziert, in Kooperation mit dem AOK Verlag, Filme für Demenzkranke. Neun Jahre pflegte und begleitete die Hamburgerin ihre demenzkranke Oma: „Ich habe alle Fehler gemacht, die man dabei machen kann“, sagt Rosentreter.

„Denk doch mal nach“, entgegnete die Enkelin, wenn Oma Ilse berichtete, nachts habe jemand in ihrem Zimmer gestanden. „Dabei ist das der dämlichste Satz, den man zu einer demenziell Veränderten sagen kann.“ Rosentreter korrigierte, argumentierte, versuchte es mit Logik – alles falsch. Heute weiß sie, dass sie ihre Oma – und ihre Angst – hätte annehmen müssen. Nur langsam begriff das TV-Model die Welt der Altersverwirrten, erkannte deren Bedürfnisse – und eine Marktlücke.

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