Dort gehen die Bewohner mit ihren Tagesbegleitern fürs Mittagessen einkaufen, das sie dann gemeinsam in den Wohnküchen zubereiten. Stammels Prinzip: „Hier soll sich jeder wie zu Hause fühlen.“ So streifen manche Bewohner stundenlang durch den großen Blumengarten und die anderen Häuser, vorbei am Kaninchenstall, der Vogelvoliere oder dem benachbarten Reiterhof. Bis zum Gartenzaun, der das Gelände umgibt, stoßen die wenigsten vor. Mindestens ebenso wichtig wie die räumlichen Möglichkeiten und Angebote ist nach Meinung der Dorf-Visionärin Stammel die Einstellung der Mitarbeiter: „Nicht wir bestimmen, wie das Leben der Bewohner abzulaufen hat, sondern wir richten uns nach deren Wünschen.“
Die Wirklichkeit in vielen Pflegeheimen sieht anders aus. Oft werden die schwer zu handhabenden Dementen mit Medikamenten ruhiggestellt und notfalls eingesperrt oder am Bett fixiert, wenn sie rastlos herumlaufen wollen oder von Panikattacken geplagt werden.
Als die NDR-Fernsehmoderatorin Bettina Tietjen ihren demenzkranken Vater in dessen letzten Lebensjahren begleitete, erlebte sie zunächst wenig Hoffnung Spendendes. Tietjen berichtet von „langen, öden Fluren und frustrierten Pflegern“: „Es gibt nur leider immer weniger, die den Beruf des Altenpflegers mit Leidenschaft machen, die Fluktuation ist groß.“
Zukünftig mehr Leistungen vom Staat
Nach längerer Suche fand die NDR-Moderatorin schließlich einen Pflegeplatz für ihren Vater in Hamburg. Dort wird den Pflegekräften, die nicht gut genug Deutsch sprechen, sogar ein Sprachkurs finanziert. Das sei aber längst nicht die Regel, sagt Tietjen: „Viele Heime lassen sich ihre Leute lieber vom Arbeitsamt schicken, arbeiten mit Zeitarbeitsfirmen und investieren nicht in ihr eigenes Personal.“
Dabei gewann sie der Krankheit sogar positive Aspekte ab: „Für mich war es schön, zu sehen, dass sich mein Vater in seinen letzten Lebensjahren zu einem anderen, viel emotionaleren Menschen entwickelt hat. Wir haben zusammen gesungen und viel gelacht. Bei anderen Dementen habe ich diese Lebensfreude auch erlebt“, erzählt sie. Dafür aber braucht es Zeit und Ressourcen.
„Es ist dringend nötig, neue Strukturen für die Pflege von Demenzpatienten zu entwickeln“, appelliert auch der Gesundheitsökonom Hans-Helmut König vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Denn bisher werde die Mehrheit der Menschen mit Demenz in Europa noch in der eigenen oder der Wohnung – unentgeltlich – von Familienmitgliedern betreut. „Schon aus demografischen Gründen wird sich diese Situation in Zukunft ändern“, sagt König. Nach seinen Berechnungen liegen die tatsächlichen Pflegekosten für einen dementen Menschen derzeit bei 15.000 bis 42.000 Euro jährlich.
Immerhin können demenzkranke Senioren und ihre Angehörigen künftig mit mehr Leistungen vom Staat rechnen. Seit 2013 bekommen Altersverwirrte ohne körperliche Gebrechen überhaupt erst Geld aus der Pflegeversicherung. Und für 2016 plant Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) eine Pflegereform, die Demenzkranke zusätzlich besserstellt. Danach könnten schwer Betroffene maximal 1200 Euro im Monat aus der Pflegeversicherung bekommen, rechnet der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, CDU-Politiker Karl-Josef Laumann, vor.