Demenzdorf Hameln Hilfe gegen das Vergessen

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Eine Reise ins Gestern

Bei der Beerdigung beschloss Rosentreter, ihr Leben zu ändern, gründete ihre eigene Firma – „Ilses weite Welt“. Sie produziert Filme, die Demente an ihre Vergangenheit erinnern und somit beruhigen sollen. Die sind ruhig geschnitten, eine Szene dauert mal acht Minuten:. „Das heutige Fernsehen ist so schnell, das verwirrt die Demenzkranken doch nur.“

In einem Film sind etwa Kinder zu sehen, die im Tierpark Hängebauchschweine füttern. Während der Vorführung im Pflegeheim hockt sich Rosentreter zwischen die Bewohner. Die Kinder und die Tiere scheinen eine beruhigende Wirkung auf die alten Menschen zu haben. Eine apathische Frau mit faltigem Gesicht, die sonst kaum spricht, presst ein Wort hervor: „Kinder.“ Ihre Sitznachbarin erzählt, dass sie früher auch mal Haustiere hatte.

52 Einwohner leben im Demenzdorf bei Hameln und erleben dort Alltag wie früher. Anklänge an die Vergangenheit helfen bei der Orientierung. Quelle: Stefan Thomas Kröger für WirtschaftsWoche

Vor allem sind Initiativen wichtig, die auf Erinnerungen setzen. Forscher loben neben Rosentreters Retro-Verlag deswegen auch Projekte wie das Heimat-Museum im 9000-Seelen-Ort Wahlstedt, wo seit zwei Jahren alle zwei Wochen eine Gruppe Demenzkranker aus dem örtlichen Pflegeheim in der Vergangenheit schwelgt. „Wer schon ganz weit weg ist, dem kann ich oft mit einem Erinnerungsstück wie etwa einer Kaffeemühle, die er in die Hand nimmt, ein Lächeln ins Gesicht zaubern“, sagt Initiatorin Angelika Remmers, die ehrenamtliche Museumsleiterin.

Auf der Suche nach einer akzeptablen Bleibe

Das klingt nach Einzelkämpfern im Vergleich zur Dimension, die eine medizinische Lösung erreichen würde. Aber es gibt einen guten Eindruck, wie mühsam die Lösung ist.

Dieter Lotz aus Bad Nenndorf schaffte die Pflege seiner dementen Frau Brigitta irgendwann nicht mehr. Seit 2010 hatte sie allmählich die Orientierung verloren: „Anfangs haben wir uns noch darüber amüsiert, wenn sie zur Einladung bei Freunden mit zwei verschiedenen Schuhen erschien, doch zum Schluss brachte man sie aus der Tagespflege heim – und sie lief einfach an unserem Haus vorbei, weil sie es nicht mehr erkannte“, erzählt der 76-Jährige.

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Auf der Suche nach einer akzeptablen Bleibe für seine gleichaltrige Frau schaute sich der ehemalige Siemens-Techniker etliche Heime und Wohngemeinschaften an – bis er auf das erste und bisher einzige 2014 eröffnete Demenzdorf Deutschlands stieß: Tönebön am See in Hameln, dort wo auch Wilma Dohmeyer und der vermeintliche Autovermieter Dieter Jorek leben. „Das war so anders und positiv, dort hatte ich ein gutes Gefühl“, sagt Lotz, dessen Frau nun seit mehreren Monaten hier lebt. Dass dieser Platz gut 200 Euro teurer ist als in einem klassischen Heim, das war Lotz bei einem Eigenanteil von ohnehin gut über 2000 Euro dann auch egal.

Dass es in Tönebön am See so anders ist, liegt vor allem an Kerstin Stammel. Die Qualitätsmanagerin der Tönebön-Stiftung hat diesen „Lebensraum für Menschen mit Demenz“ konzipiert. Ihre Vision eines geschützten Raumes, in dem die alten Menschen sich frei und je nach ihren individuellen Bedürfnissen fast wie im normalen Leben bewegen können, ließ sich in den bisherigen Heimen einfach nicht umsetzen. Also plante sie auf dem ehemaligen Ziegeleigelände des Stifters Tönebön am Rande von Hameln ein ebenerdiges Minidorf aus vier einzelnen Villen, die zusammen mit dem Haupthaus den großen, von Spazierwegen durchzogenen Garten umrahmen. Im Haupthaus ist ein Café, ein Friseursalon und ein kleiner Lebensmittelladen.

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