




Ohne Navigationssystem nach Hause finden, die Nummer des Partners aus dem Kopf wählen oder sagen, wer von 1974 bis 1979 Bundespräsident war - und das ohne zu spicken. Könnten Sie das noch? Ja? Gratulation! Dann gehören Sie zu der Hälfte der Europäer, die noch nicht unter digitaler Amnesie leiden.
Eine Umfrage im Auftrag des Softwareherstellers Kaspersky unter 6000 Personen in Europa führt deutlich vor Augen: Wir können uns an die einfachsten Sachen nicht erinnern, weil wir uns lieber auf unser Smartphone oder den PC verlassen, als auf unser eigenes Gedächtnis.
Telefonnummern aus der Kindheit noch präsent
36 Prozent der Studienteilnehmer gaben an, keinen Wissensballast mit sich herumschleppen zu wollen, denn das Wissen ist ja permanent auf Knopfdruck verfügbar. Man würde erwarten, dass die junge Generation der Digital Natives in Sachen Gedächtnis schlechter abschneidet. Doch weit gefehlt: Manchmal hatten hier sogar die älteren Semester die Nase vorn.
Am deutlichsten lässt sich diese "digitale Demenz" an wichtigen Telefonnummern fest machen: 60 Prozent der Befragten konnten sich zwar an ihre Telefonnummer aus der Kindheit erinnern, aber rund 50 Prozent kennen weder die Nummer ihrer Kinder, noch die ihres Arbeitgebers auswendig.
Rund ein Drittel hatte nicht einmal die Nummer des eigenen Partners im Kopf. Knapp 90 Prozent der Befragten schieben das auf die zunehmend vernetzte Welt. „Man hat einfach zu viele Kontakte, Nummern und Adressen, die man sich merken müsste“, heißt es in der Studie.
Paradox: Obwohl der Gedanke an einen Datenverlust entsprechend bei knapp 20 Prozent der Teilnehmer Panik erzeugt und 40 Prozent zumindest traurig machen würde, haben nur 30 Prozent ihre Daten auch gesichert.
Das wirft nun die Frage auf: Wie schlimm ist es denn, dass wir uns nicht mehr alles merken und uns lieber führen lassen, indem wir auf unsere externe Gedächtnisfestplatte namens Smartphone zurückgreifen? Hirnforscher Manfred Spitzer und Autor des Buchs "Digitale Demenz" sagt dazu: "Unser Gehirn funktioniert wie ein Muskel: Wird er gebraucht, wächst er; wird er nicht benutzt, verkümmert er." Dabei ist der Altersunterschied unerheblich, denn Nervenzellen wachsen laut Spitzer immer wieder nach. Bei entsprechendem Training werden die Zellen aktiviert.
Maria Wimber von der School of Psychology in Birmingham spricht davon, dass Vergessen keinesfalls etwas Schlechtes sei. Im Gegenteil: "Oft ist Vergessen eine wichtige Art der Anpassung um unserem Gedächtnis zu helfen, nur die Dinge zu behalten, die wirklich relevant sind", so Wimber. Das hilft dabei, dass wir weniger abgelenkt sind und uns besser konzentrieren können.
Heißt: Wir sollten unser Gehirn ab und zu ins Fitnessstudio schicken, damit wir unsere Gedächtnisfähigkeiten nicht verkümmern lassen und gleichzeitig lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Also: Lieber mal das Navi ausgeschaltet lassen und stattdessen den guten alten Stadtplan bemühen. Oder die wichtigsten Telefonnummern, die man in einem Notfall braucht, auswendig lernen. Dafür dürfen wir dann auch ohne schlechtes Gewissen den Bundespräsidenten googeln.
Und zur Sicherheit, falls unser Gedächtnis doch mal ausfällt: Die wichtigen Daten noch mal separat aufheben oder speichern, ob in der Cloud oder auf einer externen Festplatte. Manchmal tut es auch das gute alte Adressbuch.