




Der diesjährige Chemie-Nobelpreis würdigt eine Leistung von Wissenschaftlern, die längst weltweit in den Alltag aller forschenden Unternehmen eingezogen ist. Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel haben in den 70er Jahren das chemische Experiment mit dem Computer verheiratet. Sie entwickelten Rechnerprogramme, die sehr große Moleküle darstellen und deren Verhalten vorhersagen können. Normalerweise interessiert sich das Stockholmer Nobel-Komitee nicht für die wirtschaftlichen Auswirkungen der Forschungsergebnisse. Das ist diesmal anders: "Diese Entdeckung spart viel Zeit, Mühe und Kosten", heißt es in der Preisbegründung. Wer heute einen neuen Arzneistoff oder ein Material für Werkstoffe entwickelt, tue dies zunächst am Computer. Erst danach werden aussichtsreiche Substanzen im Labor getestet.
Ein Paradigmenwechsel, der für die Effizienz von Forschung und Entwicklung einer Revolution gleichkommt. Ein Beispiel dafür sei die Entwicklung von Graphen, lobt das Nobelkomitee. Die besonderen elektrischen Eigenschaften dieses Materials wurden am Computer vorhergesagt, erst danach suchten Chemiker einen Weg zur Synthese des Wunderstoffes.
Die Chemie-Nobelpreisträger der vergangenen zehn Jahre
Aaron Ciechanover und Avram Hershko, beide Israel; IrwinRose, USA
Yves Chauvin, Frankreich; Robert Grubbs und Richard Schrock, beide USA
Roger D. Kornberg, USA - für seine Arbeiten über die molekularen Grundlagen der Gentranskription in eukaryotischen Zellen.
Gerhard Ertl, Deutschland - für seine Studien von chemischen Verfahren auf festen Oberflächen.
Osamu Shimomura, Japan; Martin Chalfie und Roger Tsien, beide USA - für die Entdeckung und Weiterentwicklung des grün fluoreszierenden Proteins.
Venkatraman Ramakrishnan und Thomas A. Steitz, beide USA; Ada E. Jonath, Israel - für die Studien zur Struktur und Funktion des Ribosoms.
Richard Heck, USA; Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki, beide Japan - für Palladium-katalysierte Kreuzkupplungen in organischer Synthese.
Daniel Shechtman, Israel - für die Entdeckung der Quasikristalle
Robert Lefkowitz und Brian Kobilka, beide USA - für ihre Studien zu G-Protein-gekoppelten Rezeptoren.
Martin Karplus (USA/Österreich), Michael Levitt (USA/Großbritannien) und Arieh Warshel (USA/Israel) für Methoden, mit denen sich auch komplexe chemische Reaktionen virtuell nachvollziehen lassen.
Zwischen Entdeckung und Einsatz werden auf diesem Weg kaum mehr als 15 Jahre vergehen. Viel häufiger ist jedoch die Anwendung der Forschung der Nobelpreisträger in der Entwicklung von Arzneistoffen. Wenn Mediziner eine Substanz identifiziert haben, die für einen bestimmten Vorgang verantwortlich ist, können sie deren Verhalten jetzt am Computer modellieren.
Basis dafür sind die Arbeiten der drei Forscher, die mittlerweile alle in den USA arbeiten. Der 73-jährige Arieh Warshel beschreibt das so: "Wir haben in den letzten vier Jahrzehnten Programme entwickelt, mit denen wir sehr viele Atome simulieren können. Wir können ihr gemeinsames Verhalten als Molekül nachahmen und erklären, was genau dafür verantwortlich ist." Der gebürtige Israeli ist ein Schüler von Martin Karplus und stieß 1970 zu dessen Arbeitsgruppe an der US-Elite-Universität Harvard.