Energie Klimafeind auf Ökokurs

Stein- und Braunkohle sind die Stromlieferanten Nummer eins. Wollen sie überleben, brauchen sie flexible, saubere und klimafreundliche Kraftwerke. Doch sind die überhaupt bezahlbar?

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Gruppenbild mit Tagebau. Allein Garzweiler liefert täglich Tausende Tonnen Braunkohle für Kraftwerke wie Niederaußem Quelle: dpa

Wo andere nur die Nase rümpfen oder Protestaktionen starten, wenn es um die Kohle geht, gerät Michael Bong ins Schwärmen. Der Landwirt in fünfter Generation freut sich über seinen riesigen Nachbarn, das Braunkohlekraftwerk Niederaußem. Seine Felder und Gewächshäuser liegen nur rund einen Kilometer von der Anlage entfernt, der zweitgrößten Deutschlands. Der Mann, Mitte 40, nennt das einen „schönen Standortvorteil“. Denn er heizt seine Tomaten im Gewächshaus und den Rhabarber auf dem Feld mit warmem Wasser aus dem Kraftwerk.

Auf seinen Feldern hier im Rheinland westlich von Köln kann Bong fünf Wochen vor der Konkurrenz ernten, im Gewächshaus das ganze Jahr über. Die Abwärme bekommt er günstig vom Kraftwerkbetreiber RWE und spart schätzungsweise mehrere Tausend Euro Heizkosten pro Jahr. Ganz genau hat er das noch nicht berechnet. Aber das Geschäft läuft so gut, dass Bong expandieren will. Demnächst kommt ein Spargelfeld dazu, samt riesiger, kohlebetriebener „Fußbodenheizung“, wie er sagt.

Die Pläne von RWE, ab 2017 Niederaußem zu erweitern, kommen ihm da gerade recht. Auch der Essener Konzern freut sich über den Abnehmer der Wärme, die sonst ungenutzt in die Atmosphäre entweichen würde. Schließlich soll der neue Block BoAplus „ein Vorzeigeprojekt“ für umwelt- und klimaschonende Stromerzeugung werden, verspricht der Energieversorger.

Anteil der Kohle an der Energie muss stark sinken

Aber Landwirt Bong und die RWE-Ingenieure sind mit ihrer Begeisterung für die Kohle recht allein. Das 1,5 Milliarden teure Projekt BoAplus, an dessen Technologien der Konzern seit Jahrzehnten forscht, könnte zur Sackgasse für den Versorger werden – denn kaum ein fossiler Energieträger ist derzeit umstrittener als die Kohle.

In wie weit die Stromproduktion in Kohlekraftwerken sinken muss, damit sich die Erde nicht um mehr als zwei Grad erwärmt. (Für eine vergrößerte Ansicht bitte klicken)

Das Kohlendioxid (CO2) aus den Kohlekraftwerken heizt das Klima auf. Kein fossiler Energieträger verursacht pro erzeugter Kilowattstunde Strom mehr des Treibhausgases. Soll sich die Erde nicht um mehr als zwei Grad erwärmen, müsste der Anteil der Kohle am Energiemix drastisch sinken (siehe Grafik). Zudem kreiden Umweltorganisationen der Kohle allein in Deutschland Gesundheitsschäden in Milliardenhöhe an. Und sie verliert ihre wichtigsten Fans: China, weltweit größter Verbraucher des Rohstoffs, will wegen der verheerenden Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke stärker auf Atomkraft und Erneuerbare Energien setzen. In den USA geht in den nächsten Jahren Prognosen zufolge ein Viertel der Kraftwerke vom Netz, auch weil US-Präsident Barack Obama strenge Klimaschutzvorgaben plant.

Derzeit erzeugt die Kohle rund 40 Prozent des Stroms weltweit und ist damit die Nummer eins in diesem Bereich – noch. Der Analyst Elad Jelasko von der Ratingagentur Standard & Poor’s aus London fasste die Situation kürzlich so zusammen: „König Kohle könnte bald seine Krone verlieren.“ Im Umkehrschluss bedeutet das: Will sie eine Zukunft haben, muss sie sauber werden. Doch geht das überhaupt?

1000 Tonnen Braunkohle pro Stunde

Wer diese Frage beantworten will, muss nach Niederaußem fahren. Dort sind die Technologien für das Kohlekraftwerk der Zukunft im Test, dort entscheidet sich, wie sauber Kohle zu vertretbaren Kosten sein kann und welchen Platz sie künftig im Energiemix einnehmen wird.

3000 Unterschriften gegen den Neubau in Niederaußem haben Umweltschützer gesammelt. Zudem wächst, um den Hunger des Kraftwerks zu stillen, der Tagebau Garzweiler II. 1600 Menschen müssen umsiedeln. Bis zu 1000 Tonnen Braunkohle würde allein BoAplus fressen – pro Stunde.

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