Trotz des massiven Eingriffs in die Natur ist Reinhold Elsen überzeugt, dass an der Stein- und Braunkohle „auch künftig kein Weg vorbeiführt“. Der Ingenieur leitet die Abteilung Forschung und Entwicklung für konventionelle Stromerzeugung bei RWE. Laut ihm sei kein anderer fossiler Energieträger so wirtschaftlich und zuverlässig zu beschaffen. Gleichzeitig liefere die Kohle Energie, wenn Wind und Sonne ausfallen. Und das beim aktuellen Verbrauch noch für die nächsten 200 Jahre.
Über Gedeih und Verderb der Kohlekraft entscheidet nach Ansicht vieler Experten eine Technologie, die Elsen und die RWE-Ingenieure „die Waschanlage“ nennen. Sie besteht aus zahllosen Rohren, die an der Kraftwerkswand verschraubt sind. 40 Meter hoch ragen sie an ihr empor wie eine stahlgewordene Schlingpflanze. Die Anlage wäscht aus den Abgasen 90 Prozent des CO2 heraus und soll die Kohle endlich klimafreundlich machen. RWE betreibt sie zusammen mit dem Chemieriesen BASF und dem Anlagenbauer Linde seit 2009.
Nachdem der Rauch aus dem Kraftwerk durch einen Staub- und Schwefelfilter geschickt wurde, kommt er in das Röhrensystem. In einem Behälter fließt der Rauch durch eine wässrige Lösung. Darin enthalten sind Amine, die normalerweise in Waschmitteln, Schmier- und Farbstoffen stecken. Sie ziehen das CO2 aus dem Rauch, binden es und transportieren es in einen zweiten Behälter. Dort erwärmen sich die Amine und geben das Kohlendioxid wieder ab, das abgesaugt wird.
Bisher reicht die Kapazität der Waschanlage aber nur für die Reinigung von weniger als ein Prozent der gesamten Rauchgase in Niederaußem. Dass mehr drin ist, davon sind die Entwickler überzeugt. BASF wirbt weltweit für das in der Anlage verwendete Waschmittel. Ab 2016 soll es in Japan in einer Raffinerie zum Einsatz kommen.
Vermeidung des Klimawandels wird teuer
Wie dringend ein flächendeckender Einsatz der Technik wäre, zeigte erst vor wenigen Wochen eine Hochrechnung von US-Forschern. Alle derzeit aktiven Kohlekraftwerke stoßen demnach innerhalb ihrer noch verbleibenden Laufzeit rund 200 Milliarden Tonnen CO2 aus. Ändert sich daran nichts, wird sich die Erderwärmung kaum auf zwei Grad begrenzen lassen.
Prominente Klimaschützer wie Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK, plädieren deshalb schon lange dafür, stärker auf die CO2-Abscheidung zu setzen. „Verzichten wir auf sie, so wird es erheblich teurer, einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden“, warnt er. Allerdings ist die Technik alles andere als günstig. Und: Bisher weiß niemand, wohin mit dem eingefangenen CO2.
Eine Möglichkeit wäre es, das Gas als Rohstoff in der Industrie zu nutzen. Der Chemiekonzern Bayer zum Beispiel will ab 2016 Vorprodukte von Schaumstoff aus Kohlendioxid produzieren und so Erdöl einsparen – die Klimabilanz des Verfahrens ist exzellent. Nur verarbeitet die Bayer-Anlage erst einmal nur rund 1000 Tonnen CO2 pro Jahr. Allein in Niederaußem fallen im selben Zeitraum 29 Millionen Tonnen an. Auch weltweit ist das Potenzial begrenzt. Selbst wenn die Chemieindustrie Erdöl vollständig durch CO2 als Ausgangsmaterial ersetzte, könnte sie nur ein Prozent der globalen Emissionen nutzen.
Erste Tests waren erfolgreich
Deshalb bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als CO2 in den Boden zu pressen. Platz gäbe es genug. Deutschland und seine größten Nachbarstaaten könnten an Land und in der Nordsee 40 Jahre lang ihre gesamten Emissionen aus Kraftwerken und Industrie einlagern. Infrage kämen Sandsteinschichten, die das Kohlendioxid wie ein Schwamm aufsaugen, oder leergepumpte Gasfelder. Das Verfahren, CO2 in Kraftwerken abzutrennen und zu verpressen, nennt sich kurz CCS, Carbon Capture and Storage.
Ein erstes Testprojekt des in Potsdam angesiedelten Deutschen Geoforschungszentrums verlief erfolgreich. Nahe der Kleinstadt Ketzin/Havel westlich von Berlin pumpten Forscher seit 2008 rund 67 000 Tonnen CO2 unter die Erde. Bis heute ist nichts davon entwichen, sagt Projektleiter Axel Liebscher.