




Professor Glantz, Sie und Ihre Kollegen haben Hunderte von Dokumenten ausgewertet, die beweisen, dass die Zuckerindustrie Ende der Sechzigerjahre Forscher bestochen hat. Warum sollte uns das heute kümmern?
Stanton Glantz: Weil es auch heute noch immense Auswirkungen darauf hat, wie wir die gesundheitlichen Gefahren bewerten, die von zu hohem Zuckerkonsum ausgehen. Eine massive Irreführung, wie sie die bestochenen Forscher betrieben haben, wirkt lange nach – gerade in der Wissenschaft. Ich bin überzeugt, dass Zigtausende von Menschen heute noch leben könnten und wir weltweit viel weniger Probleme mit Herzerkrankungen hätten, wenn dieser Coup missglückt wäre.
Was genau haben die Forscher falsch dargestellt?
Sie haben die negativen Auswirkungen, die Zucker auf Herz und Kreislauf hat, systematisch heruntergespielt und die ungesunde Rolle des Fetts dramatisch aufgebauscht. Seit den Fünfzigerjahren gab es Studien, die einen Zusammenhang zwischen Zucker und Herzinfarkt zeigten. Das beunruhigte die Zuckerindustrie zutiefst. So kaufte sich die US-Stiftung für Zuckerforschung, aus der später der Verband der Zuckerindustrie hervorging, Wissenschaftler – und ließ sie Studien veröffentlichen, die von der Zuckergefahr ablenkten und das Fett zum Buhmann machten. Sie wurden in hochrangigsten Wissenschaftsjournalen abgedruckt.
Wieviel Zucker steckt in...
In dem Schokoriegel (18 Gramm) stecken rund sechs Gramm Zucker.
In einem Riegel (58 Gramm) stecken rund 39 Gramm Zucker.
20 Gramm der Schokocreme enthalten rund 12 Gramm Zucker.
200 Milliliter Apfelsaft enthalten 20 Gramm Zucker.
200 Milliliter Cola enthalten etwa 18 Gramm Zucker.
200 Milliliter Milch enthalten 10 Gramm Zucker.
Eine Portion (50 Gramm) dieses Kinderprodukts enthält 7,6 Gramm Zucker.
Zwiebelsuppe aus der Tüte von Maggi enthält laut Hersteller 24 Gramm Zucker auf 100 Gramm der trockenen Zubereitung. Fertig gekocht entspricht das bei einer Portion von 250 Millilitern 3,3 Gramm Zucker.
Wäre das heute so noch möglich?
Schwer zu sagen. Inzwischen gibt es es zwar Regeln, die damals noch nicht existierten. So müssen Forscher heute jeden Interessenkonflikt offenlegen, wenn sie eine Arbeit bei einem Fachblatt einreichen. Also etwa, dass die Zuckerindustrie die Studie bezahlt hat. Aber ich war lange genug selbst Gutachter, um zu wissen, dass das nur funktioniert, wenn alle Forscher auch ehrlich sind. Das sind sie leider nicht. Und ganz abgesehen davon, was damals vorgeschrieben war: Korrekt war das zu keiner Zeit. Auch damals war so ein Verhalten hochgradig unverantwortlich.
Hinter welchen Bezeichnungen sich Zucker versteckt
Zuviel Zucker ist ungesund - das weiß jedes Kind. Doch die süße Zutat versteckt sich hinter allerlei Bezeichnungen. Ein Blick auf häufige Deklarationen, um den Durchblick zu wahren:
Das ist der gewöhnliche Haushaltszucker, der aus einem Molekül Glucose und einem Molekül Fructose besteht. Gewonnen wird er aus Zuckerrübe, Zuckerrohr und Zuckerpalme. Übrigens: brauner Zucker ist nicht gesünder als weißer. Beide haben gleich viele Kalorien (400 kcal pro 100 Gramm) und sind gleich schädlich. Weißer Zucker wird einfach häufiger gereinigt. Brauner Zucker kann zwar noch minimale Mineralstoff-Spuren enthalten, das ist aber so wenig, dass es gesundheitlich keinerlei Vorteil bringt.
Hinter dem Begriff Laktose verbirgt sich der Milchzucker. Er setzt sich aus einem Molekül Glukose und einem Molekül Galaktose zusammen. Für Menschen mit einer Laktoseintoleranz ist der Zucker problematisch: Sie können ihn nicht verdauen, was zu Blähungen und Durchfall führt. In der Lebensmittelherstellung ist Laktose beliebt, weil sie billig ist und damit eine cremige Konsistenz erzeugt werden kann, was zum Beispiel bei Schokoriegeln erwünscht ist.
Generell lässt die Endung -ose auf Zucker schließen, etwa Dextrose oder Fruktose.
Es ist ein Nebenprodukt der Käseverarbeitung und besteht zu etwa 72 Prozent aus Milchzucker.
Er wird auch als Glucose-Sirup, Bonbonsirup, Isoglukose, Corn Sirup oder Maiszucker bezeichnet. Es handelt sich um einen Zuckersirup, der durch enzymatische Aufspaltung einer stärkehaltigen Lösung entsteht und aus Glukose und Fruktose (in veränderlichen Anteilen) besteht. Er kann besonders billig aus Mais, aber auch aus Kartoffeln und Weizen gewonnen werden. Diese Zuckersirup-Arten werden vor allem für Pralinen, Riegel oder Frühstücksflocken als Bindemittel eingesetzt, weil sie so klebrig sind. Kalorientechnisch steht der Sirup dem Haushaltszucker in nichts nach.
Er wird mit Säure oder einem Enzym (der sogenannten Invertase) aus Saccharose hergestellt, die dabei in ihre beiden Bausteine Glukose und Fruktose zerlegt wird. Dadurch schmeckt er etwas milder und fruchtähnlicher. Invertzuckersirup wurde früher auch "Kunsthonig" genannt. In der Lebensmittelindustrie wird er ähnlich wie Glukosesirup eingesetzt, weil er nicht so leicht kristallisiert.
Maltose, der Malzzucker, ist ein Abfallprodukt in der Stärkeherstellung aus zwei Glukosemolekülen. Er entsteht zum Beispiel beim Bierbrauen. Zucker verbirgt sich außerdem hinter allen Bezeichnungen, die mit "Malto" beginnen, etwa Maltodextrin oder Maltoextrakt.
Er gilt als Alternative zum Zucker, enthält aber fast so viele Kalorien wie normaler Zucker, da er zu etwa 80 Prozent aus Zucker besteht. Verbreitet sind zum Beispiel Agaven- oder Apfeldicksaft.
Waren es schlecht bezahlte Wald-und-Wiesenforscher, die sich da haben kaufen lassen?
Nein, das hat uns selbst am meisten schockiert: Es waren Topforscher wie zum Beispiel Mark Hegsted, der spätere Chef der Abteilung Ernährung des US-Landwirtschaftsministeriums. In dieser Funktion hat er jahrzehntelang Ernährungsrichtlinien mitgestaltet, von denen die meisten auch aktuell noch in Kraft sind. Auch Präsident Richard Nixons Kampf gegen Karies wurde systematisch unterminiert: Aus den schon verabschiedungsreifen Richtlinien zur Zahngesundheit verschwand der Zucker als ein wesentlicher Verursacher von Löchern in Zähnen plötzlich wieder. Aber nur so macht das ja auch Sinn für Konzerne: Sie mussten die Meinungsführer gewinnen, auf die alle hörten.





Das muss die Industrie ein Vermögen gekostet haben.
Absolut nicht. Für den wegweisenden Überblicksartikel, der 1967 erschien, ließen sich drei Forscher für relativ kleines Geld ködern: Auf heutige Verhältnisse umgerechnet 50 000 Dollar. Für die Industrie war das eine lohnende Investition – mit Langzeiteffekt. Erst 2015 hat die Weltgesundheitsorganisation endlich die Mengen für die als gesund erachtete Zuckeraufnahme gesenkt, was zu einem Aufschrei der Industrie führte.