Kein Käse, keine Eier, kein Honig und Fleisch sowieso nicht. Immer mehr Deutsche ernähren sich vegan. 1,5 Prozent der Bundesbürger verzichten derzeit komplett auf tierische Produkte. Das ist im Vergleich zu der Anzahl bekennender Vegetarier (sechs Prozent) noch gering, doch die Zahl der Veganer wächst.
Bereits jeder elfte Bundesbürger ist generell am Thema vegane Ernährung interessiert, belegt eine Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov. Zwei Drittel haben sich in den letzten zwei bis drei Monaten mindestens einmal mit dem Thema rund um die pflanzliche Ernährung beschäftigt.
Für die Lebensmittelindustrie stellt die Gruppe der hochgerechnet 1,2 Millionen Veganer in Deutschland eine lukrative neue Zielgruppe dar. „Sie sind die Speerspitze der ‚Pflanzenkostaffinen‘, die insgesamt immerhin zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das große Interesse am Thema lässt vermuten, dass sie sich äußerst gerne von innovativen, veganen Produkten begeistern lassen. Das werden wir in Kürze noch tiefergehend untersuchen“, sagt YouGov-Mitarbeiterin Anja Wenke.
Veganismus
Das Wort „vegan“ geht auf den Engländer Donald Watson zurück, der bereits 1944 „Vegan Society“ als Abspaltung der englischen Vegetarier-Gesellschaft gründete. Watson leitete den Begriff des Vegetariers nicht vom lateinischen „vegetus“ („lebendig, frisch, kraftvoll“) ab, sondern vom englischen „vegetable“ („Gemüse“, „pflanzlich“).
Seitdem hat die Ernährungsform erst langsam und in den vergangenen Jahren immer schneller einen Siegeszug hingelegt. Inzwischen gibt es jene Verbraucher, die dem Veganismus voll verschrieben sind. Sie empfinden ihn als Lebensphilosophie, die viel weiter geht als nur die Ernährung. In einer Schrift der „Vegan Society“ hieß es bereits 1979: „Es geht darum, so weit wie möglich und praktisch durchführbar, alle Formen der Ausbeutung und Grausamkeiten an Tieren für Essen, Kleidung oder andere Zwecke zu vermeiden und darüber hinaus die Entwicklung tierfreier Alternativen zu fördern.“
Entsprechend war der Veganismus in Deutschland anfangs stark mit der Hippie-Bewegung und der damit verbundenen politischen Haltung verbunden. Aus diesem politischen Becken haben sich die Veganen jedoch längst frei geschwommen. Inzwischen greifen auch immer mehr Menschen aus gesundheitlichen Gründen – oder einfach weil es schmeckt – zu tierfreien Produkten. Häufiger werdende Lebensmittelskandale haben das Bewusstsein der Verbraucher zusätzlich geschärft.
Erfolgreich mit veganen Produkten
Unternehmen wie Alnatura, Weleda, Lavera, Alpro, Alverde und Co. profitieren von dem Boom zum nachhaltigen Leben. Insbesondere aber Wheaty, Viana, Wilmersburger oder Alsan, die sich auf die Herstellung veganer Fleisch-, Butter- oder Käseersatzprodukte spezialisiert haben. Der Fleisch-, Käse- und Wurst-Ersatz-Hersteller Tofutown macht inzwischen über 40 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Und sogar Konzerne wie Frosta und Dussmann sind auf den Zug aufgesprungen.
Die Zahl der veganen Kochbücher hat sich in kürzester Zeit mehr als verzehnfacht. 2010 gab es nur drei Bücher im deutschen Handel, 2012 bereits 23 und im vergangenen Jahr schon über 50. Als Vorzeigekoch der Veganen Attila Hildmann Ende 2013 sein neues Buch vorgestellte, lagen fast über Nacht 70.000 Vorbestellungen vor. Deutschlands Schiegermutter-Liebling und TV-Koch Tim Mälzer kann von solchen Zahlen nur träumen.
Gleichzeitig eröffnen in immer mehr deutschen Großstädten Supermärkte und Restaurants mit veganem Angebot. Eine davon ist die Supermarkt- und Restaurant-Kette Veganz. Hier bekommen die Kunden allein rund ein Dutzend Salate und Gemüsevarianten, zehn Nussarten und bis zu 40 Eissorten. Das Eis wird also nicht aus Kuhmilch, sondern auf Reismilchbasis hergestellt, die Waffel enthält weder Ei noch Milchpulver. Algensnacks, Pepperoni-Tofu-Pizza, Energieriegel mit Ananas-Inkabeere-Geschmack bis zu indischen Waschnüssen und vegane Leckerlis für Hunde – in diesen Regalen herrscht eine unvermutet große Vielfalt veganer Produkte.
"Der Boom wird noch weiter gehen"
Im Juli 2011 eröffnete der erste Veganz am Prenzlauer Berg in Berlin. Bredack ist ein Geschäftsmann der ersten Stunde. Nach seinem Studium arbeitete er fast zwanzig Jahre beim Autobauer Daimler. Vom Mechanikermeister schuftete er sich weiter hoch und landete nach einem BWL-Studium mit Anfang 30 als Mitglied der Geschäftsleitung im Vertrieb der Service Deutschland der Daimler AG. Drei Milliarden Euro Umsatz verwaltete er da ebenso wie zig tausende Servicemitarbeiter in der ganzen Republik. Nebenbei baute er einen Online-Service für Grußkarten, Geschenkgutscheine und Musicaltickets auf und trainierte für einen Triathlon. Menschen, die sich vegan ernähren, waren für ihn damals „fanatische Spinner“, sagt er heute.
2007 zog Jan Bredacks Körper die Reißleine. Er erlitt einen Burnout und begann sein Leben neu zu organisieren. Sein Xing-Profil ist seitdem wie eingefroren. „Ich fühlte mich wie in einer Sackgasse, musste mein Leben radikal ändern“, sagt Bredack heute. Also hängt er seinen Job an den Nagel und orientiert sich neu. In dieser schwierigen Phase bringt ihn seine damalige Partnerin mit der vegetarischen Küche in Berührung. Schnell bemerkt er, wie er sich körperlich besser fühlt und geht einen Schritt weiter und schwenkt zum Veganismus um.
Alternative Ernährungsformen
Flexitarier sind Menschen, die gesundheitsbewusst leben und sich auch so ernähren. Für sie gibt es nicht unbedingt grundsätzliche Bedenken, Fleisch zu konsumieren. Das kommt bei Flexitariern nämlich durchaus auf den Teller - aber nur selten. Und wenn, dann stammt das Tier meist aus artgerechter Bio-Haltung, wenn möglich aus der näheren Umgebung. Flexitarier sind nämlich oft unter den sogenannten Lohas* zu finden. Neben dem Wissen, dass eine einseitig fleischlastige Ernährung für den modernen Stadtmenschen ungesund ist (und manchmal auch der zelebrierten Vorfreude auf den Sonntagsbraten als etwas Besonderem!) sind sich Flexitarier auch der Umweltschädlichkeit extensiven Fleischkonsums bewusst.
*Menschen, die einen gesundheitsbewussten und nachhaltigen Lebensstil pflegen (Lifestyle of Health and Sustainability)
Freeganer zeichnen sich weniger durch strenge Regeln der Form "Das darf ich essen - das darf ich nicht essen" aus, als durch den Willen, mit dem Ort ihres Nahrungsmittelbezugs ein Zeichen zu setzen. Freeganer gehen nicht in den Supermarkt, sondern dahinter. Sie holen sich ihr Essen aus dem Müll der Supermärkte und Discounter und setzen sich damit gegen die Wegwerfgesellschaft und Lebensmittelverschwendung ein.
Frutarier pflegen eine besonders strenge Form der pflanzenbasierten Ernährung. Die Ernte der von ihnen gewählten Pflanzen(-bestandteilen) darf den Gesamtorganismus der Pflanze weder beschädigen noch seinen Tod zur Folge haben. Manche Frutarier verzehren Äpfel beispielsweise nur als Fallobst. Knollen etwa (wie Kartoffeln) sind nicht erlaubt: Sie sind der Energiespeicher der Kartoffelpflanze und daher für sie auf Dauer lebenswichtig.
Lacto-Vegetarier nehmen keine Eier zu sich. Milchprodukte dürfen neben Lebensmitteln nicht-tierischen Ursprungs aber verzehrt werden.
Ovo-Lacto-Vegetarier praktizieren eine relativ weit verbreitete und im täglichen Leben eher unkomplizierte Form des Vegetarismus. Neben rein pflanzlichen Produkten wie Obst oder Gemüse nehmen Ovo-Lacto-Vegetarier auch Eier und Milchprodukte zu sich, also Lebensmittel, für deren Gewinnung keine Tiere geschlachtet werden müssen.
Keine Milchprodukte, aber Eier (und pflanzliche Speisen) dürfen Ovo-Vegetarier zu sich nehmen. Unter anderem eine Lösung etwa für Vegetarier, die kein moralisches Problem mit dem Verzehr von Eiern haben, aber an einer Lactose-Intoleranz leiden.
Pescetarier sind Menschen, deren Ernährungsplan Fisch (je nach Ausprägung auch Weichtiere, Milch und/oder Eier) und vegetarische Kost kombiniert. Pescetarismus ist oft, wie andere alternative Ernährungsformen auch, mit einem Unbehagen der Massentierhaltung gegenüber verbunden.
Vegane Ernährung bedeutet: Weder Fisch noch Fleisch, noch Eier oder Milchprodukte stehen auf dem Speiseplan. Stattdessen gibt es Obst und Gemüse. Für die Eiweißversorgung nutzen Veganer (wie viele andere Vegetarier übrigens auch) pflanzliche Proteine, enthalten etwa in Tofu (Sojaeiweiß) oder Seitan (Weizeneiweiß - Gluten). Strengen Veganern ist der Veganismus aber mehr als eine Ernährungsform: Sie lehnen die Nutzung von Tieren (und daher auch tierischer Produkte) ab. Das heißt für einen strengen Veganer: Neben den oben aufgezählten Produkten meidet er auch Honig und Wachsprodukte, Kosmetika mit tierischen Inhaltsstoffen sowie Leder. Wer streng vegan orientiert ist, kann im Supermarkt nicht einfach zu Fertig-Produkten greifen - oft verstecken sich in der langen Zutatenliste solcher Gerichte Milchpulver, Butterreinfett oder Hühnerei-Eiweißpulver. Ein strenger Veganer braucht daher ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen und Akribie.
Inzwischen gibt es die Kette Veganz auch in Frankfurt, Hamburg, München und Prag. Weitere Dependancen sind in Leipzig, Wien und Essen geplant. Sie sollen noch im Frühjahr ihre Pforten öffnen. Insgesamt will Gründer Jan Bredack bis Ende 2015 21 Filialen in ganz Europa eröffnen und ist dafür derzeit auf Investorensuche.
Für Bredack hört das Geschäft bei veganen Produkten nicht auf. „Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz“, sagt er. „Dazu gehören Lebensmittel die auf ganzer Linie ‚sauber‘ sind – also auch genfrei und fair gehandelt sind.“ Dafür müssen die Kunden auch tiefer in die Tasche greifen. Eine Tiefkühlpizza bei Veganz kostet locker neun Euro. Bredack: „Mit einem Discounter kann man uns nicht vergleichen.“
Bereits nach dem ersten Geschäftsjahr konnte Veganz schwarze Zahlen vorlegen. Durch den Ausbau der Kette sei man inzwischen zwar wieder weit entfernt von einem rentablen Abschluss. Doch das soll sich bis Ende des Jahres ändern, so der Geschäftsmann. Die Kaufkraft seiner Kundschaft sei auf jeden Fall da.
„Der Boom wird noch weiter gehen“, glaubt auch Sebastian Zösch, Geschäftsführer des VEBU (Vegetarierbund Deutschland). Schließlich breite sich die vegane Lebensweise immer weiter aus. „Inzwischen haben Organisationen wie der Deutsche Ärztekongress, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und auch die Studentenwerke den Wert der gesunden Ernährung erkannt“, sagt Zösch. Schließlich richten sich vegane Produkte auch an Muslime, laktoseintolerante Menschen oder Personen, die unter Allergien leiden – und nicht nur an Menschen aus der Großstadt.