
Haben Sie Kopfschmerzen? Macht der Magen Probleme? Fühlen Sie sich öfters schlapp? Dann fehlen auf Ihrem Speiseplan sicherlich die schwarzen Chia-Samen des mexikanischen Salbeis. Oder die winzigen Nüsschen des Quinoa-Gewächses aus den Anden. Wahrscheinlich auch die dunkelblauen Açai-Beeren der Kohlpalme, beheimatet in den Urwäldern Südamerikas. All diese Lebensmittel sollen fit machen, beim Abnehmen helfen und Dutzende Krankheiten vertreiben. Nach Abenteuer und Exotik klingen sie auch.
"Superfood" lautet das Schlagwort, unter dem Händler diese vermeintlichen Wundermittel seit einiger Zeit anpreisen. Neben den genannten Lebensmitteln sollen auch Weizengras, Süßwasseralgen und Goji-Beeren zu ewiger Gesundheit und Kraft verhelfen. Ernährungswissenschaftler, Agrarökonomen und Verbraucherschützer warnen angesichts des Booms jedoch vor überhöhten Preisen, Umweltschäden und bösen Folgen für die Herkunftsländer der Lebensmittel. Bevor Sie die teuren Beeren und Körner in den Einkaufskorb werfen, sollten Sie daher folgendes wissen:
Superfood ist ein Marketing-Trick
Der Begriff Superfood ist nicht geschützt. Das heißt: Jeder darf jedes Lebensmittel als Superfood anpreisen. Harald Seitz ist Ökotrophologe und verfolgt das Thema schon lange für den aid Informationsdienst für Lebensmittel, Ernährung und Landwirtschaft in Bonn. "Der Begriff Superfood ist reines Marketing“, sagt er. Ein Autor in den USA habe den Begriff vor ein paar Jahren erfunden – um sein Buch besser zu verkaufen. Seitdem haften Händler das Label nach Belieben Lebensmitteln an.





Die Masche funktioniert laut Ernährungswissenschaftler Seitz so: Zuerst wird ein Lebensmittel so lange analysiert, bis ein paar Inhaltsstoffe gefunden sind, die besonders stark enthalten sind. Gespickt mit ein wenig Warenkunde und einer hübschen Geschichte wird so aus langweiligen Körnern und Beeren Superfood – das sich entsprechend teuer verkaufen lässt. Seitz findet dieses Vorgehen gar nicht verwerflich – schließlich seien die meisten als Superfood angepriesenen Lebensmittel tatsächlich gesund. Es komme aber letztlich auf die Mischung an. „Ein Glas Weizensaft ist sicher gesund, aber ein Apfel zwischendurch wäre auch nicht schlecht.“
Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW sieht das ähnlich. Die vielfach hervorgehobenen sekundären Pflanzenstoffe etwa seien zwar gut für den menschlichen Körper. „Wir wissen aber nicht, wie viel man von ihnen wirklich braucht.“ Zudem könnten Verbraucher all diese Inhaltsstoffe auch über heimische Pflanzen aufnehmen.
Superfood super teuer
Wer im Supermarkt zum Wunderessen greift, benötigt ein gut gefülltes Portemonnaie. Für Chia-Samen müssen Gesundheitsbewusste an der Kasse bis zu 20 Euro hinlegen. Getrocknetes Açai-Beeren-Pulver gibt es im Versandhandel für 16,90 Euro – pro 100 Gramm. „Superfood ist vor allem super teuer“, sagt Verbraucherschützerin Clausen. Das liege am Marketing und langen Transportwegen – und den satten Profiten für die Händler. „Wenn man Chia-Samen, die früher als Vogelfutter dienten, als teures Superfood vermarktet, kann man damit sicherlich gut Geld verdienen.“
Acht Superfoods - und was sie können
Das ist es: Die Quinoa-Pflanze gedeiht im Hochland der Anden. Dort sind die Körner des Fuchsschwanzgewäches eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel der Menschen. Der Gehalt an Eiweiß und einigen Mineralien übertrifft den gängiger Getreidearten. Dafür enthalten Quinoa-Körner kein Vitamin A oder C.
Superfood-Faktor: Das gerne als "Reis der Inkas" bezeichnete Pseudogetreide ist vielfältig. Die mineralstoffreichen Blätter kommen in den Anden als Gemüse oder Salat auf den Tisch, die senfkorngroßen Nussfrüchte werden gekocht. Besonders wertvoll sind das hochwertige Eiweiß und die ungesättigten Fettsäuren. Quinoa ist vor allem für Menschen mit Glutenunverträglichkeit eine gute Alternative zu anderen Getreidesorten.
Quellen: aid infodienst e.V., eigene Recherchen
Das ist es: Weizengras ist nichts anderes als die jungen Weizensprossen, die einige Tage nach der Aussaat geerntet werden. Es enthält vor allem Vitamin C, E, K, einige Mineralstoffe und ist reich an Eiweiß und Chlorophyll. Weizengras wird meistens als Pulver verkauft und dann mit Wasser vermischt. Es schmeckt: speziell.
Superfood-Faktor: Oft ist über Weizengras zu lesen, dass es 60-mal mehr Vitamin C als Orangen, 50-mal mehr Vitamin E als Spinat und 30-mal mehr Vitamin B1 als Kuhmilch enthalte. Das ist nicht falsch, aber vor allem ein cleverer Werbetrick. Denn die Angaben beziehen sich auf 100 Gramm Weizengras - von dem ausgepresst nur ein Bruchteil als Saft übrig bleibt. Um die Nährwerte zu erreichen müsste man also 100 Gramm Saft trinken. Doch wer den einmal pur probiert hat, weiß: 100 Gramm bekommt keiner herunter.
Das ist es: Açai-Beeren sind die Früchte der Kohlpalme aus dem Amazonasgebiet. In voller Reife sind die blaubeergroßen Beeren tiefschwarz. Sie sind reich an pflanzlichen Proteinen, Antioxidantien, Kalzium und Vitaminen.
Superfood-Faktor: Die Açai-Beere ist ein hochwertiges Lebensmittel. Ihre verjüngende und entschlackende Wirkung dagegen ist ein Gerücht - hierfür fehlt der wissenschaftliche Beweis. Wer im Sommer in den Garten geht und Heidelbeeren, Sauerkirschen oder schwarze Johannisbeeren nascht, verspeist die gleichen Inhaltsstoffe.
Das ist es: Chia-Samen sind schwarze oder graue Körner der Salbeipflanze. Sie machten angeblich schon die Inka satt. Die Samen enthalten fünfmal so viel Kalzium wie Milch, liefern Antioxidantien, Omega-3-Fettsäuren und reichlich pflanzliche Proteine.
Superfood-Faktor: Oft wird behauptet, die mittelamerikanischen Samen machten schlank. Der wissenschaftliche Beweis dafür aber fehlt. Trotzdem sind die Inhaltsstoffe interessant. Wegen des hohen Gehalts an Ballaststoffen gelten die Samen als Sattmacher. Heimische Leinsamen haben dieselbe Wirkung, sind aber deutlich günstiger.
Das ist es: Chlorella ist die Bezeichnung für Mikroalgen, die auch in Süßwasser wachsen. Sie liefern Vitamin B12, mehrere Mineralstoffe und viel Eiweiß.
Superfood-Faktor: Für Veganer können die Algen ein wichtiger Vitamin B12-Lieferant sein. Der Gehalt der Mikronährstoffe hängt allerdings stark von der Wasserqualität ab, in dem die Algen gezüchtet werden. Zudem gibt es Chlorella fast ausschließlich in Tabletten- oder Pulverform zu kaufen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung stuft als bedenklich ein, dass die Algen unerwünschte Stoffe wie Pestizide, Fungizide und Schwermetalle im Körper an sich binden.
Das ist es: Als Kakao-Nibs werden die getrockneten Stücke der Kakaobohne verkauft. Sie enthalten 54 Prozent Fett, Eiweiß, Mineralstoffe und 300 weitere Inhaltsstoffe. Dazu jede Menge aromagebende Substanzen.
Superfood-Faktor: Kakao liefert viel Polyphenole, die unter anderem Entzündungen und Krebs vorbeugen. Ein anderes Verkaufsargument ist, dass der Kalziumgehalt der Bohnen höher sei als der von Milch. Das stimmt. Allerdings ist ein Glas Milch schneller getrunken als ein Haufen Kakaobohnen gegessen. Auch eine Banane hätte einen ähnlichen Effekt.
Das ist es: Goji Beeren sind nichts anderes als die Früchte des Gemeinen Bocksdorns. Den gibt es schon ziemlich lange - aber Goji-Beeren klingt eben spannender. Die Früchte enthalten einige Vitamine, vor allem Vitamin C. Sie werden frisch, als Saft oder Trockenfrucht angeboten.
Superfood-Faktor: Getrocknete Goji-Beeren werden oft als Anti-Aging-Sensation verkauft. Laut der europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA gibt es dafür aber kaum Belege. Auch der vermeintlich hohe Vitamin C-Gehalt relativiert sich bei näherer Hinsicht: Schwarze Johannisbeeren oder ein Apfel sind genauso gesund.
Das ist es: Vor allem im Norden Deutschlands ist Grünkohl beliebt. Er ist kalorienarm und liefert viele Vitamine und Mineralstoffe. Schon mit einer Portion lässt sich etwa der Tagesbedarf an Vitamin C decken. Auch Folsäure, Calcium, Kalium und Magnesium liefert Grünkohl reichlich.
Superfood-Faktor: Der Grünkohl ist, wie jeder andere Kohl auch, ein wahres Supergemüse. Neben den genannten Inhaltsstoffen liefert er sekundäre Pflanzenstoffe. Die entzündungshemmenden und krebsrisikosenkenden Effekte des Grünkohls sind wissenschaftlich belegt.
Was für die Konsumenten in Europa und den USA ein Ärgernis ist, geht der Bevölkerung in den Herkunftsländern vieler Trend-Lebensmittel an die Substanz. „Wenn der Westen ein Produkt für sich entdeckt, sind die Folgen immer gleich“, erklärt Wilfried Bommert vom Institut für Welternährung. „Die Nachfrage steigt, der Preis steigt – und deswegen kann sich die lokale Bevölkerung das Produkt nicht mehr leisten.“ Seitdem Vegetarier und Feinschmecker etwa Quinoa auf ihren Speiseplan gesetzt haben, hat sich der Preis für das „Gold der Inka“ verdreifacht. Die Folge: In den Andenländern essen die Armen jetzt Brot, Nudeln und Reis.
Selbst die Bauern profitieren nur teilweise vom höheren Preis. Um im globalen Handel mitspielen zu können, brauchen sie große Anbauflächen. Die aber fehlen vielen Landwirten, die mit ihren kleinen Ländereien kaum über den Eigenbedarf hinaus kommen. Die industrielle Produktion übernehmen wenige Großbauern. Sie haben genügend Geld für Investitionen und können die Preisschwankungen am globalen Markt aushalten. Die Schere zwischen Arm und Reich wird eher größer als kleiner.