Ethiker Axel W. Bauer „Das Designen von Tieren und Menschen wird kommen“

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"Nebenwirkungen, die man nicht voraussagen kann"

Darüber, dass man die Erbanlagen von Menschen nicht künstlich „designen“ darf, besteht weitestgehend Einigkeit. Wird das so bleiben?

Die Einigkeit in der Ablehnung ist deswegen da, weil es bisher technisch nicht funktioniert. Es ist immer leicht, etwas moralisch zu verurteilen, das man ohnehin nicht beherrscht. In dem Moment aber, wo es reibungslos funktionieren würde, wäre ich sehr viel skeptischer, ob die Einigkeit noch da wäre.

Besitzt auch ein Einzeller so etwas wie eine Würde oder zumindest Schutzwürdigkeit als Lebewesen?

Immanuel Kant begründete die Würde des Menschen mit dessen Teilhabe an der Vernunft. Für das Christentum liegt der Grund der Würde in der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Neben dieser anthropozentrischen Sichtweise gibt es aber auch eine pathozentrische Ethik, die Tiere deshalb mitberücksichtigt, weil sie leiden können. Der australische Bioethiker Peter Singer etwa sieht zwar menschliche Embryonen nicht als würdevoll an, weil sie seiner Meinung nach nicht leiden können, wohl aber zum Beispiel Affen! Dass irgendjemand jedoch Bakterien oder andere Mikroorganismen um ihrer selbst willen schützen möchte, habe ich noch nicht gehört. Wenn jemand diesbezüglich Bedenken hat, dann beziehen sich diese auf Gefahren für die übrige Natur, also etwa darauf, dass synthetische Organismen aus dem Labor ins Freie gelangen und dort Wirkungen hervorrufen könnten, die bislang in der Evolution noch nie vorgekommen sind.

Halten Sie diese Gefahr für real?

Gefahren sind real, zahlreich und unkalkulierbar. Man muss unterscheiden zwischen Safety und Security. Safety meint Sicherheit im Sinne von: Das Verfahren produziert genau das, was auch produziert werden soll. Etwas anderes sind Security-Fragen: Wie anfällig ist ein Verfahren gegen Obstruktion von außen, also gegen Hackerangriffe oder Terroristen.

Prof. Dr. Axel W. Bauer ist Leiter des Fachgebiets Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Heidelberg. Er war von 2008 bis 2012 Mitglied im Deutschen Ethikrat.

Ist es denkbar, dass die Techniken zur Schaffung neuer Einzeller irgendwann zum Designen größerer Lebewesen umfunktioniert werden?

Im Moment ist das noch Zukunftsmusik. Aber man muss wohl davon ausgehen, dass so etwas eines baldigen Tages geschehen wird. Es wäre sonst das erste Mal, dass eine neue Technik nicht missbraucht würde. Aber man wird sie nicht deswegen einfach verbieten können. Ich persönlich bin gegenüber biotechnologischen Entwicklungen generell nicht euphorisch eingestellt, doch ich sehe immer wieder, wie schwierig es ist, diese als innovativ geltenden Verfahren gesetzlich zu regulieren. Wenn ich also sage: Das Designen von Tieren und Menschen wird wohl kommen, so ist das ein Ausdruck von Pessimismus.  

Also sind die Ängste vor neuen, gefährlichen Wesen, vor Klon-Kriegern und ähnlichen Science-Fiction-Szenarien berechtigt?

Wir sollten uns hüten vor einem genetischen Reduktionismus nach dem Muster: Man ändert diese und jene DNA-Bausteine und erhält dadurch am Ende dieses und jenes Lebewesen. So funktioniert das Leben nicht. Schon die embryonale und fötale Entwicklung verläuft komplexer. Nach der Geburt kommen die psychischen und sozialen Beziehungen zwischen Individuum und Umwelt hinzu. Der junge Mensch wächst nach der Geburt erst einmal heran und entwickelt sich in nicht voraussagbarer Weise.

Vor 60 Jahren hielt man die Kernspaltung für die Lösung aller Energieprobleme. Heute sehen viele Menschen sie als Sündenfall der Physik. Könnte das irgendwann einmal auch für die Genforschung gelten?

Bei neuen Technologien entstehen meist Nebenwirkungen, positive und negative, die man zu Anfang nicht voraussagen kann. Als von 1968 an das Arpanet für militärische Zwecke entwickelt wurde, konnte niemand voraussehen, dass heute Millionen Menschen durch die Straßen laufen, die wie gebannt auf ihre Smartphones starren. So ähnlich kann das auch bei der Genforschung sein. Sie könnte ganz andere Segnungen oder Missstände hervorbringen, als all diejenigen, über die wir heute diskutieren.

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