Forschung oder Qual? Wie Wissenschaftler um Tierversuche streiten

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Institutsleiter Logothetis umstrittene Person

Trotz der Urwald-Geräusche aus den Lautsprechern kommt kein Dschungel-Feeling auf. In den Käfigen sind geschätzt 50 Rhesusaffen, Langschwanz-Makaken und Weißbüschelaffen, eingesperrt in Zweier- bis Vierergruppen. Einige Ställe sind vergittert, andere aus bruchsicherem Glas, die Wände sind in Grüntönen gestrichen, einige Ställe haben Zugänge zu Freiluftgehegen.

Doch dass hier kein Zoo ist, verraten die Implantate, die aus den Köpfen der meisten Tiere ragen und die mit Zement und kleinen Schrauben in deren Schädeldecke fixiert sind. Displays an den Gehegen geben Auskunft über die Insassen: Auf ihnen stehen Nummern und Namen, wie Gloria, Halla oder Izzy - und die jeweiligen Versuchsvorhaben.

Die Verantwortung dafür trägt Institutsleiter Nikos Logothetis. Der bärtige Grieche sitzt in Raum 120 zwischen Aktenordnern. Im Büro des international renommierten Hirnforschers sieht es so spektakulär aus wie in einer Behörde.

Für seine Arbeit wird der 65-jährige Neurologe hoch geschätzt. Erst vor Kurzem bekam er von der Akademie von Athen eine der höchsten griechischen Auszeichnungen im Bereich der Wissenschaften verliehen. Seine Forschung habe beispielsweise erstmalig gezeigt, dass das Konzept des Bewusstseins mit einer Schnittstelle in der Hirnrinde verknüpft sei, hieß es.

Für Tierschützer ist Logothetis eine Hassfigur. Wegen seiner Forschungen wurde er öffentlich angefeindet und beleidigt, er bekam Morddrohungen. Schließlich gab er auf, kündigte an, seine Arbeit an Primaten bis Ende dieses Jahres einzustellen und künftig lediglich mit Nagern weiterzuarbeiten.

Lange ist Logothetis vor der Presse abgetaucht, jetzt will er erklären - aber nicht rechtfertigen. „Kein Tier würde sich bewerben, um in einem Labor als Versuchstier arbeiten zu dürfen“, sagt Logothetis in griechischem Akzent, er wirkt emotional, spricht auch mit den Händen.

Was er tut, tut Logothetis aus Überzeugung. Für seine Forschungen schneidet der Neurologe den Affen die Schädeloberfläche auf und bringt Implantate an. Durch die schiebt er hauchdünne Elektroden direkt in die Affenhirne - um während der Experimente die Aktivität der Nervenzellen zu messen.

Seine Untersuchungen sollen mit eine Grundlage dafür sein, irgendwann Krankheiten wie Epilepsie, Autismus, Depression, Alzheimer, Parkinson oder Demenz behandeln zu können. „Ohne Primatenversuche gibt es nicht den Bruchteil einer Chance, diese Krankheiten überhaupt nur ansatzweise zu verstehen“, sagt er.

Doch von Tierschützern wird solcher Nutzen in Zweifel gezogen. „Wir alle möchten, dass Krankheiten wie Krebs und Alzheimer besiegt werden“, sagt Tierschützerin Tanja Breining, die gegen Logothetis Forschungen auf die Straße geht. Aber: „Tierversuche brachten bislang nicht den Durchbruch.“ Stattdessen spielten sich in den Versuchslaboren qualvolle Szenen ab.

Logothetis widerspricht. Leid fügt er den Primaten aus seiner Sicht nicht zu. „Sie können kein Tier - erst recht keinen Affen - zu etwas zwingen“, sagt er. „Man kann mit einem Affen anspruchsvolle Experimente nur durchführen, wenn er sich wohlfühlt und sich konzentrieren kann.“

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