Abschreiben, Erfinden, Fälschen - gerade steht SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier unter dem Verdacht, er habe bei seiner Doktorarbeit Quellen nicht korrekt zitiert. Doch selbst wenn sich der Vorwurf bestätigen sollte: Gemessen an dem Schmu, der im internationalen Forschungsbetrieb weltweit publiziert wird, wäre das Vergehen - zumindest unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten - wohl eher als geringfügig einzustufen. Denn in der weltweiten Forschergemeinde scheint es mittlerweile gang und gäbe, Fachartikel von fragwürdiger Qualität in Fachorganen zu veröffentlichen, die zwar offiziell als Wissenschaftsblätter gelten, tatsächlich aber ohne Kontrolle des wissenschaftlichen Gehalts jeden Quatsch abdrucken.
Um diesen Verdacht zu erhärten, reichten die serbischen Forscher Dragan Djuric, Boris Delibasic und Stevica Radisic eine völlig abstruse und frei erfundene Abhandlung über die "transformative hermeneutische Heuristik bei der Behandlung von Zufallsdaten" beim rumänischen Fachblatt "Metalurgia International" ein. Das Werk wurde jüngst tatsächlich abgedruckt. Die serbische Webseite Inserbia berichtete zuerst im September darüber.
"Borat" und "Micky Maus" sind als Quellen genannt
Dabei hätte schon der Blick in die Liste der zitierten Quellen genügt, um den angeblichen Fachartikel als Blödsinn zu entlarven. Denn dort werden längst verstorbene, berühmte Forscher wie Bernoulli, Huygens oder Laplace mit angeblich aktuellen Publikationen aufgeführt. Aber auch Figuren aus Film und Showgeschäft tauchen auf: Etwa "M. Jackson" oder "A.S. Hole" zusammen mit "B. Sagdiyev" – der durchgeknallten Hauptfigur in der Film-Satire "Borat" des britischen Komikers Sacha Baron Cohen. Und sogar die serbische Ausgabe von Micky Maus ist mit "Mikijev zabavnik" als Fachzeitschrift und Quelle genannt.
Ob irgendjemand in der Metalurgia-Redaktion in Bukarest den Artikel jemals gelesen hat, bevor er gedruckt wurde, darf bezweifelt werden. Qualitätskontrolle scheint dort ein Fremdwort zu sein. Sogar die Autoren-Fotos, die in dem Magazin zusammen mit dem Artikel abgedruckt werden, gingen ohne Beanstandung durch: Dabei hat Djuric sich einen schwarzen Kolben-Schnauzer angeklebt - und Delibasic trägt eine karnevalsverdächtige Wuschel-Perücke auf dem Kopf.
Die drei Belgrader Forscher wollten mit ihrem Fake-Artikel zeigen, wie einfach es ist, mit fragwürdigsten Forschungsergebnissen Anerkennung einzuheimsen – etwa um seinen Lebenslauf aufzumöbeln oder Impact-Punkte auf seiner Publikationsliste zu sammeln. Mit sogenannten Impact-Punkten werden Artikel bewertet - je bedeutender das Fachmagazin, desto mehr Punkte bekommt der Autor pro Publikation. Und obwohl Metalurgia offensichtlich keinerlei Kontrolle über die Inhalte ausübt, können Forscher mit solchen Veröffentlichungen Impact-Punkte sammeln. Die brauchen Wissenschaftler vor allem dann, wenn sie eine höhere Position - etwa eine Professur an einer Universität - bekommen wollen.
Nur ein Beispiel unter vielen
Gerade unter serbischen Forschern, die schnell an Publikationen kommen wollten, sei das rumänische Blatt Metalurgia deshalb überaus beliebt, sagen die Autoren. Eigentlich ein Fachblatt für Hüttenwesen, veröffentliche die Redaktion gegen ein Entgelt von wenigen hundert Euro jedes eingereichte Manuskript, ohne Rückfragen zu stellen.
Nachdem die peinliche Publikation die Runde machte, versuchten zahlreiche Forscher allerdings, ihre Veröffentlichungen dort wieder zurück zu ziehen.
Kein Witz - bitterer Ernst
Wäre Metalurgia ein Einzelfall, könnte man den Blödel-Artikel mit Anspielungen auf die Europäische Union, Religion und Computerwissenschaften glatt genießen. Doch leider ist das Blatt nur ein Beispiel unter vielen. Weltweit existieren zahlloser ähnlich schlecht aufgestellter Magazine, die bei näherem Hinsehen wohl kaum das Prädikat Wissenschaftsmagazin verdient hätten.
Und dass selbst hoch angesehenen Magazinen wie "Nature", "Science" oder "Cell" gerade bei Top-Themen Fehler und Fälschungen durchrutschen, zeigte sich jüngst in diesem Sommer wieder, als eine Arbeit über das Klonen menschlicher Zellen schon nach vier Tagen wieder einkassiert wurde.
Viele Forscher, die sich über die schwarzen Schafe in ihren Reihen ärgern, begrüßten die Aktion der drei Belgrader Kollegen deshalb. Sie hatte immerhin zur Folge, dass einige Universitäten die Publikationsgewohnheiten ihrer Forscher nun genauer unter die Lupe nehmen.
Weltweites Problem
Tatsächlich wäre das auch weit über Serbien hinaus mehr als empfehlenswert. Denn ernstzunehmende Fälschungsvorwürfe beschäftigen Universitätsgremien immer wieder: Etwa der Fall des Düsseldorfer Stammzellforschers Bodo Strauer. In 48 seiner Arbeiten entdeckten Kollegen Ungereimtheiten wie doppelt verwendete Datensätze, geschönte Ergebnisse, Rechenfehler, unklare Angaben zum Versuchsaufbau und, und, und. Hier ist die Untersuchung noch immer nicht abgeschlossen, wird aber in Kürze erwartet.
Um auf Missstände hin zu weisen ist das Veröffentlichen von Unfug ein durchaus erprobtes Mittel. Erstmals machten die Physiker Alan Sokal und Jean Bricmont damit 1996 Furore, als sie der Zeitschrift "Social Text" einen Artikel unterjubelten, der den Titel trug: "Die Grenzen überschreiten. Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantenschwerkraft." Auch dieser Text war eine inhaltsfreie Parodie - in diesem Fall allerdings zusammengesetzt aus Zitaten bekannter französischer Denker.
Eleganter Unsinn
Denen warfen die Autoren vor, aus naturwissenschaftlichen Begriffen und Konzepten, die sie nicht verstanden haben, eine Art Einschüchterungsprosa hervorzubringen. In Langversion erschien 1999 ein Buch der beiden Autoren mit dem Titel: "Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen."
Gelegentlich erscheinen allerdings auch in hochseriösen Wissenschaftsmagazinen Artikel, die nicht ganz ernst gemeint sind und mit denen sich die Forscher – gerne in den Ausgaben um den 1. April herum – selbst ein wenig auf die Schippe nehmen. So sezierten Ärzte der Düsseldorfer Universitätsklinik hochwissenschaftlich 34 Asterix-Bände. Der Titel der in bier-ernster Wissenschaftssprache gehaltenen Studie, die Marcel Kamp, Philipp Slotty, Sevgi Sarikaya-Seiwert, Hans-Jakob Steiger und Daniel Hänggi 2011 im Fachmagazin "Acta Neurochirurgica" veröffentlichten: "Schädel-Hirn-Traumata im Comic: Erfahrungen aus einer Serie von mehr als 700 Kopfverletzungen in den Asterix-Bänden".
Auch diese Form der Parodie hat durchaus Tradition, seit der Karlsruher Zoologie-Professor Gerolf Steiner alias Harald Stümpke 1961 in einem pseudo-wissenschaftlichen Fachbuch mit dem Titel "Bau und Leben der Rhinogradentia" eine köstliche Monographie über den frei erfundenen Tierstamm der Naslinge heraus brachte - vom "Goldene Nasenhops Hopsorrhinus aureus" bis hin zum fleischfressenden "Tyrannonasus imperator" . Inspiriert hatte ihn dazu Christian Morgensterns Gedicht vom Nasobem: "Auf seinen Nasen schreitet einher das Nasobem, von seinem Kind begleitet. Es steht noch nicht im Brehm. Es steht noch nicht im Meyer. Und auch im Brockhaus nicht. Es trat aus meiner Leyer zum ersten mal ans Licht."
Während sich Generationen von Biologen über die Naslinge amüsiert haben, dürfte im aktuellen Fall den Machern der Metalurgia International das Lachen wohl vergangen sein.