Gastbeitrag Antibiotika ohne Wirkung: Die neue globale Gefahr

Eine Labormitarbeiterin hält eine Kulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien in der Hand. Quelle: dpa

Der Klimawandel bewegt weltweit Menschen und Firmen. Doch eine andere globale Gefahr wird vernachlässigt: die wachsende Resistenz gegen Antibiotika. Sie könnte künftig riesige wirtschaftliche Schäden verursachen.

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Jim O’Neill war Chairman von Goldman Sachs Asset Management und Staatssekretär im britischen Finanzministerium. Heute ist er Chairman von Chatham House, einer privaten Denkfabrik in London, die sich mit internationalen Fragen der Politik und Ökonomie beschäftigt.

Es ist fast schon zu einer Tradition geworden. Statt am Freitag die Schulbank zu drücken, demonstrieren Millionen Jugendliche rund um die Welt auf den Straßen für den Schutz des Klimas – und machen so Druck auf die Politiker, mehr gegen die wachsenden CO2-Emissionen zu tun. Die Bilder von katastrophalen Dürren in Europa, Südafrika und Asien bis hin zu Waldbränden in Brasilien, Indonesien, Kalifornien und im Umland von Sydney zeugen vom Klimawandel und haben sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Angetrieben durch Klima-Aktivisten wie Greta Thunberg und Extinction Rebellion konzentrieren sich Wirtschaftslenker und Politiker heute stärker auf den Klimawandel als je zuvor.

Bei all dem Wirbel wird eine andere, weitaus tödlichere Gefahr für die Menschheit übersehen: die wachsende Resistenz gegen gängige Antibiotika (antimikrobielle Resistenz, abgekürzt AMR). Dieses Problem erregt bisher nicht annähernd so viel öffentliche Aufmerksamkeit wie der Klimawandel. Und das, obwohl unabhängige Studien genügend Anlass zur Sorge bieten. Sie zeigen: Wenn wir unsere Abhängigkeit von unnötigen Antibiotika nicht verringern und erfolgreich neue Antibiotika (oder Alternativen wie etwa Impfstoffe) entwickeln, könnte die Zahl der AMR-bedingten Todesfälle bis 2050 auf zehn Millionen steigen. Der wirtschaftliche Schaden durch AMR für den Zeitraum von 2015 bis 2050 dürfte sich dann auf über 100 Billionen Dollar belaufen.

Als in Westafrika zwischen 2014 und 2016 das Ebola-Virus wütete und das Thema die Nachrichten auch in den westlichen Ländern dominierte, sorgten sich die Menschen sogar in Amerika vor einer Infektion mit Ebola. Tausende im Westen stornierten Auslandsreisen und verlangten, dass die Politik etwas tun müsse. Und siehe da: Politiker und zivilgesellschaftliche Organisationen aus aller Welt reagierten – rasch und effektiv.

Letztlich forderte die Ebola-Epidemie in den am stärksten betroffenen Ländern weniger als 12.000 Menschenleben. Das ist natürlich eine erschreckende Zahl. Aber sie ist kleiner als die Zahl der 25.000 Todesopfer, die in demselben Zeitraum pro Jahr auf AMR in Europa zurückzuführen sind. In den USA lag die Zahl der AMR-Todesopfer zwischen 2014 und 2016 ähnlich hoch. Inzwischen ist die Zahl der Todesopfer durch AMR auf jährlich 33.000 gestiegen.

Das ist umso besorgniserregender, als der Kampf gegen AMR vergleichsweise geringe Kosten verursacht. Um das erwähnte Alptraumszenario für 2050 zu verhindern, wären im Verlauf eines Jahrzehnts Investitionen von 42 Milliarden Dollar nötig. Das ist weniger als die Bekämpfung der Ebola-Epidemie erforderte (53 Milliarden Dollar). Doch jenseits öffentlicher Erklärungen von Regierungen und multilateralen Organisationen ist kaum etwas geschehen, um die für die Menschheit existentielle Bedrohung durch AMR zu bekämpfen.

Man wünschte sich, dagegen gingen ebenso viele Menschen auf die Straße wie gegen den Klimawandel.

Zwar scheint in einigen westlichen Ländern der Antibiotika-Einsatz in der Landwirtschaft durch neue Regulierungen und eine wachsende Nachfrage der Verbraucher nach antibiotikafreien Produkten zurückgegangen zu sein. Zudem haben China und Indien den Einsatz von Colistin – einem wichtigen Reserveantibiotikum für Menschen – in der Fleischproduktion untersagt. Trotzdem gehen uns die Antibiotika zur Behandlung von AMR-Infektionen in rasantem Tempo aus. Dazu kommt, dass die Pharmaunternehmen Entwicklungen in diesem Bereich wegen der hohen finanziellen Risiken und der mangelnden Aussicht auf garantierte Erträge meiden.

Wie man Antibiotika richtig einsetzt

In Sachen Klimaschutz überlegen Anleger und Unternehmensvorstände, wie sie ihre Portfolios und Geschäftsmodelle – nicht zuletzt durch Veräußerung ihrer Beteiligungen im Bereich fossiler Brennstoffe – nachhaltiger gestalten können. Das ist begrüßenswert. Wann aber wird es einen ähnlichen Rückzug der Anleger aus Pharmaunternehmen geben, die sich weigern, die Entwicklung neuer Antibiotika zu unterstützen? Oder aus Ländern, die nicht in Maßnahmen zur Verhinderung der rasanten Verbreitung von AMR investieren?

Angesichts des Attentismus in diesem Bereich wäre es an der Zeit, die Regierungen dazu zu drängen, AMR als Todesursache auf Sterbeurkunden beim Namen zu nennen. Zudem sollte der Internationale Währungsfonds in seinen Länderbewertungen den nationalen Gesundheitssystemen denselben Stellenwert einräumen wie dem Kampf gegen den Klimawandel.

Dieser erhält durch die Demonstrationen von Greta und Co. derzeit enormen Rückenwind. Dem Kampf gegen AMR fehlt dieser Rückenwind noch. Das darf nicht so bleiben.

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