Gefährliche Keime Mangelnde Klinik-Hygiene kann tödlich enden

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44 Keim-Ausbrüche in Berlin

Die Volkskrankheiten der Deutschen
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Die Charité sieht sich zu Unrecht verurteilt. „Bakterielle Infektionen gehören zum Alltag auf einer Intensivstation“, urteilt Bührer. Serratien seien sogar vergleichsweise harmlos. Sie sind gut mit Antibiotika zu behandeln. Doch auch für sie gilt: Über Ausbrüche, also mindestens zwei Infektionen mit dem gleichen Erreger, die in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang stehen, müssen Kliniken die Gesundheitsbehörden sofort informieren. Allein Berliner Krankenhäuser meldeten im vergangenen Jahr laut Charité 44 Keim-Ausbrüche.
Doch Ende Februar zeigte die renommierte Uni-Klinik, die größte Europas, einen neuen Ausbruch an, diesmal alles andere als harmlos: ein multiresistenter Keim des Typs Klebsiella pneumoniae (KPC). „Besorgniserregend“, nennt das Petra Gastmeier, Leiterin des Hygiene-Instituts der Charité. Denn der Erreger macht schon zum zweiten Mal in deutschen Krankenhäusern Probleme. Den ersten Ausbruch bekam die Uni-Klinik Leipzig lange nicht in den Griff. Nach heutigem Kenntnisstand steckten sich rund 100 Menschen mit KPC an, 30 starben.

Ein Dritter der Infektionen wäre vermeidbar
Zehn Prozent der Erreger von Krankenhausinfektionen gelten heute als multiresistent (MRSA), sie reagieren nicht auf gängige Antibiotika. Die meisten davon sind Wundinfektionen nach Operationen (225.000), einen geringeren Teil machen Entzündungen der Harn- und der Atemwege aus. „Wir schätzen, dass etwa ein Drittel dieser Infektionen vermeidbar sind“, sagt Gastmeier.
Das Bewusstsein dafür, wie wichtig Hygiene ist, sei aber längst noch nicht überall vorhanden, berichtet die Forscherin. „Ich reise durch das Land und treffe in Krankenhäusern immer noch auf Ärzte, die von KPC noch nie etwas gehört haben.“ Dabei sind es einfache Maßnahmen, die das Problem an der Wurzel packen könnten. „Vom Händedesinfizieren halte ich eine ganze Menge“, sagt die Hygiene-Expertin. Wer das zwei Minuten lang mache, senke die Keimbelastung statistisch gesehen von 100.000 auf weniger als eins.

Hygiene als Lebensversicherung

Hygiene war für Anja Nimmsch (Name geändert) in den vergangenen Jahren wie eine Lebensversicherung. Mehrere Jahre hat die 43-jährige Nierenkranke ihre Bauchfelldialyse selbst organisiert, zu Hause. Ein kleiner Hygiene-Fehler und sie hätte sich eine Infektion eingehandelt. Im Herbst 2012 bekommt Nimmsch in der Berliner Charité erfolgreich eine neue Niere transplantiert. Sie ist dankbar. Und doch möchte sie etwas zum Thema Hygiene im Krankenhaus sagen.
Es war ihr erster Tag nach der Transplantation. Ihr Immunsystem ist künstlich heruntergefahren, damit der Körper das fremde Organ nicht abstößt. Dieses Austricksen der Natur hat seinen Preis: Die Infektionsgefahr durch Keime, Viren und Pilze steigt extrem an. Für die Klinik-Hygiene bedeutet das: höchste Alarmstufe.
Nimmsch liegt auf der Intensivstation. Am frühen Morgen kommen ein Pfleger und zwei Handwerker in ihr Zimmer. „Sie sagten, dass sie jetzt die Fliegengitter vor den Fenstern auszutauschen hätten.“ Sie ist schlaftrunken und perplex. Der Pfleger rät ihr, einen Mundschutz aufzusetzen und die Bettdecke bis zum Kinn hochzuziehen. „Dann hat einer der Handwerker das Fenster aufgerissen, ein Fliegengitter aus dem Rahmen genommen und über meinem Bett dem Kollegen gereicht.“ Am Gitter habe der Dreck des ganzen Sommers geklebt.

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