Ian Burkhart spielt am Computer. In der Hand hält der 24-Jährige eine Gitarre, die mit dem PC verbunden ist. Das Spiel zeigt ihm an, welche der bunten Tasten er drücken muss, damit es sich nach Musik anhört. Was auf den ersten Blick völlig normal wirkt, ist schon eine kleine Sensation. Denn Burkhart ist seit einem Unfall während eines Familienurlaubs querschnittsgelähmt.
Betroffen sind sowohl seine Beine als auch seine Arme. Zwar kann Burkhart seine Schulter bewegen, alle anderen Bewegungen, zum Beispiel mit seinen Fingern nach einem Glas zu greifen, sind nicht mehr möglich. Bisher.
Denn im Rahmen einer klinischen Studie konnte er viele einfache, aber im Alltag wichtige Bewegungen wieder kontrollieren – durch die Kraft seiner Gedanken. Das berichten US-Forscher aus Ohio in einer aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Nature".
So bringen Sie Ihr Gehirn auf Trab
Tragen Sie Ihre Uhr rechts statt links oder machen Sie Tätigkeiten, die Sie sonst nur mit Ihrer bevorzugten Hand ausführen, einfach mal mit der anderen.
Lernen Sie einen neuen Tanz, eine neue Sprache, neue Kochrezepte, lernen Sie ein Gedicht auswendig oder fangen eine neue Sportart an – was, ist eigentlich egal. Hauptsache, das Gehirn bekommt Futter.
Gehen Sie ohne Einkaufszettel in den Supermarkt und überschlagen Sie beim Warten an der Kasse den Gesamtwert der Waren im Kopf. Oder: Versuchen Sie beim Musikhören die verschiedenen Instrumente zu erkennen.
Memory kennt jeder aus seiner Kindheit. Das Merkspiel steigert die Konzentration und das bildhafte Gedächtnis bei Jung und Alt. Sie haben kein Memory-Spiel mehr zu Hause? Dann spielen Sie es online. Auch Schach ist gut für Gehirn.
Kreuzworträtsel sind zwar eine gute Gedächtnisübung, aber nur, wenn sie sehr schwer sind – und nicht jede Antwort gegoogelt wird. Nur selbst raten aktiviert die grauen Zellen.
Es gibt zwar kein Brainfood, das aus einer mentalen Trantüte einen zweiten Einstein macht, aber es gibt durchaus Lebensmittel, die Gehirn und Nerven besser mit den nötigen Nährstoffen versorgen, als Schokolade und Chips. Dazu gehören unter anderem Nüsse, frischer Fisch und Früchte.
Gönnen Sie sich Pausen, in denen sich auch das Gehirn erholen kann. Das funktioniert schon durch bewusstes Atmen und hilft in stressigen Situationen gleichzeitig, einen klaren Kopf zu bewahren.
Die Wissenschaftler haben Burkhart winzige Elektroden ins Gehirn verpflanzt. Diese messen die Spannungsschwankungen von Milliarden elektrisch aktiver Nervenzellen im Gehirn. Dabei reicht schon die bloße Vorstellung aus, beispielsweise die Hand zu einer Faust zu ballen, um die Neuronen in der Kommandozentrale für Bewegungen (der sogenannte Motorcortex) zu aktivieren.
Nerven bekommen wieder Impulse
Diese Signale werden anschließend an einen Computer weitergeleitet. Dessen lernende Algorithmen werten die Daten aus und übersetzen sie in konkrete Bewegungsbefehle. Diese werden wiederum an eine Manschette an Burkharts Unterarm geleitet, die winzige Stromimpulse in die Nervenbahn schickt. Das Ergebnis: Die Muskeln in der Hand können teilweise wieder arbeiten.
Die US-Forscher um den leitenden Studienautor Chad Bouton sprechen von einem "neuronalen Bypass". "Die Signale in seinem Gehirn sind intakt. Durch den Unfall ist aber die Verbindung vom Gehirn über das Rückenmark zu den Muskeln im Arm blockiert", erklärt Bouton vom Feinstein Institute. Dieses Signalhindernis haben die Forscher durch die Auswertung und Umsetzung von Burkharts Gedanken umgangen.
Science Fiction wird zur Realität
Mit ihren Forschungen im Bereich Neurotechnologie ist das Team aus Ohio nicht allein. Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt, unsere Gedanken zu entschlüsseln, um damit beispielsweise Maschinen zu steuern. Sie arbeiten an Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer.
Dank enormer Fortschritte bei der Rechenleistung und der Analysefähigkeit der Software wird aus Science Fiction zunehmend Realität. So konnten bereits in Versuchen Autos, Rollstühle, schwere Exoskelette oder Flugzeugsimulatoren, aber auch zunehmend Produkte aus der Unterhaltungsindustrie wie Computerspiele oder kleine Roboter via Gehirn-Computer-Schnittstelle gesteuert werden.
Querschnittsgelähmte in den USA konnten sogar mit Hilfe eines gedankengesteuerten Roboterarms selbstständig aus einer Flasche trinken oder Schokolade essen. Insgesamt 150 Unternehmen tummeln sich weltweit in der Branche. US-Marktforscher erwarten für das Jahr 2020 über 1,4 Milliarden Dollar Umsatz in diesem Feld.
Langer Weg bis zum Massenprodukt
Nach insgesamt 15 Monaten Studie mit wöchentlich drei Sitzungen gelangen Proband Ian Burkhart insgesamt sechs verschiedene Handbewegungen, wie Hand öffnen und schließen, Gegenstände wie ein Glas oder eine Kreditkarte packen und festhalten oder Knöpfe für ein Videospiel drücken.
Wie fein sich Bewegungen via Gedanken steuern lassen, ist aktuell auch Gegenstand des EU-Forschungsprojekts "MoreGrasp" (deutsch: Mehr Griff), das von der TU Graz koordiniert wird. Im nächsten Jahr sollen ähnliche Tests wie in Ohio mit rund 15 Patienten starten. Anders als die Amerikaner setzten die Grazer Forscher allerdings auf nicht-invasive Technik, also auf Elektroden, die auf dem Kopf liegen, anstatt ins Hirn verpflanzt zu werden.
Die gemessenen Signale sind durch die Dämpfung der Schädeldecke zwar deutlich schwächer als durch implantierte Elektroden. Die riskante OP, die Blutungen oder Infektionen zur Folge haben kann, wird so aber umgangen. "Außerdem stößt das Gehirn die Fremdkörper nach einiger Zeit ab, sie verlieren ihre Funktion", erklärt Gernot-Müller Putz von der TU Graz die Nachteile der eingepflanzten Elektroden.
Langwierige Testphasen nötig
Dass der Weg hin bis zu einem Massenprodukt noch weit ist, weiß Studienautor Chad Bouton: "Wir sind noch am Anfang mit der Entwicklung unter Laborbedingungen". So ist wie bei allen andern Vorstößen zum Thema Gedankensteuerung beispielsweise unklar, wie robust die Technik im Alltag ist. Hinzu kommt, dass bisher vor jeder Anwendung individuelle, langwierige Einstellungs- und Testphasen nötig sind.
Noch in diesem Sommer wollen die Forscher mit einem zweiten Probanden in Versuche gehen.
Trotz vieler bestehender Hürden und Einschränkungen ist Studienteilnehmer Ian Burkhart glücklich. "Ich habe viel mehr Hoffnung für die Zukunft. Ich weiß jetzt aus erster Hand, dass es Ansätze in Forschung und Technologie gibt, die mein Leben irgendwann besser machen können", sagt er.