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Geier werden zur bedrohten Art Fliegende Gesundheitspolizei mit schlechtem Image

Auf Safaris ist es eines der beliebtesten Fotomotive: Dutzende Geier stürzen sich auf einen Tierkadaver und fressen, bis nichts mehr übrig bleibt. Aber vielerorts stehen Geier mittlerweile vor dem Aussterben.

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Weißrückengeier in Tansania: In weiten Teilen der Welt ist die Zahl der Geier so dramatisch geschrumpft, dass sie aussterben könnten. Quelle: dpa

Madrid/Toledo Geier haben nicht unbedingt das beste Image, fehlt ihnen doch der stolze Habitus eines Adlers oder die elegante Flugtechnik eines Albatrosses. Zudem ernähren sie sich von dem, was andere ihnen übrig lassen: Mit starrem Blick auf die Erde kreisen sie über Tierkadavern, um sich zu gegebener Zeit auf das Aas zu stürzen und es zu verspeisen. „Gesundheitspolizei der Natur“ nennen Experten das.

Doch die fliegenden Gesundheitspolizisten mit dem zweifelhaften Image könnten bald zu einer Rarität werden: In weiten Teilen der Welt ist die Zahl der Geier so dramatisch geschrumpft, dass sie aussterben könnten. In Afrika und Asien etwa, wo die sogenannten Altweltgeier leben, sei ihre Zahl in den vergangenen Jahrzehnten um 95 Prozent zurückgegangen, hieß es vor wenigen Tagen bei einem Expertentreffen in der spanischen Stadt Toledo, bei dem ein Aktionsplan zur Rettung der Tiere ausgearbeitet wurde.

Von den insgesamt 23 Geierarten sind 16 global bedroht. Vier asiatische und vier afrikanische Arten werden auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) bereits als „kritisch bedroht“ geführt, darunter der Kappengeier, der Weißrückengeier, der Indiengeier und der Sperbergeier.

„Drastische Maßnahmen sind nötig, um dieser Notsituation zu begegnen“, sagte Iván Ramírez, Leiter des Bereichs Naturschutz von BirdLife in Europa und Zentralasien. „Es handelt sich nicht nur um ganz wundervolle Tiere, die unbedingt erhalten werden müssen, sondern auch um die Gesundheitspolizei unserer Ökosysteme.“

Warum sind Geier so wichtig? Greifvogelexperte Nick Williams erklärt die Zusammenhänge: „Geier sind dazu gebaut, die Erde von Tierkadavern zu säubern. Sie sind Aasfresser, und ohne sie würden andere Tierarten diese Aufgabe übernehmen oder die Kadaver würden einfach liegenbleiben.“

Das wiederum könnte ganze Ökosysteme destabilisieren und zudem zur Verbreitung von Krankheiten unter Tieren, aber auch Menschen beitragen. „Geier sind eine spektakuläre Komponente der Artenvielfalt des Lebensraums, den sie bewohnen“, so Williams.


Qualvoller Gifttod

Zur Ausrottung tragen mehrere Faktoren bei. Der bei weitem gewichtigste ist die – oft unabsichtliche – Vergiftung der Vögel. Geier nehmen etwa die Kadaver von vergifteten Hunden, Schakalen oder Hyänen auf, die vor allem in Afrika wegen der Gefahr, die sie für Haustiere darstellen, konsequent verfolgt werden. Oft stürzen sich gleich Dutzende Greifvögel verschiedener Arten auf ein verendetes Tier – und sterben dann selbst einen qualvollen Gifttod.

Aber auch Wilderer, die eigentlich Elefanten und Nashörner jagen, machen den Geiern zu schaffen. Diese wollen verhindern, von Wildhütern entdeckt zu werden – und über einem toten Elefantenbullen kreisende Geier könnten sie verraten. Deshalb präparieren sie die Tierkadaver mit Gift, um möglichst viele Geier gleichzeitig zu töten.

Auch die „traditionelle Medizin“ in Teilen Afrikas und Asiens trägt zum großen Geiersterben bei. Die Ausmaße seien erschreckend, schreibt der Naturschutzbund (Nabu) auf seiner Webseite und zitiert Mark Anderson, den Direktor von BirdLife Südafrika: „Seit der Fußballweltmeisterschaft 2010 wird das Hirn von Geiern von Wettbesessenen gegessen, um den Ausgang eines Fußballspiels vorhersagen zu können und so den Einsatz von Wettgeld zu generieren.“

Der neue Aktionsplan, der im Oktober in Manila verabschiedet werden soll, schlägt 100 Maßnahmen für die nächsten zwölf Jahre vor, mit denen die Geier gerettet werden sollen. Dazu gehören vor allem strengere Gesetze und eine bessere Überwachung ihrer Einhaltung.

Selbst in Europa sind Geier nicht sicher. So ist in Spanien und Italien – wo 80 Prozent aller europäischen Geier leben – seit einigen Jahren die Behandlung von Weidetieren wie Rindern und Schweinen mit dem Wirkstoff Diclofenac erlaubt. Das Medikament hatte Mitte der 1990er Jahre in Indien ein Geier-Massensterben verursacht: Fast 99 Prozent des Gesamtbestands wurde seinerzeit vernichtet.

Jetzt befürchten Experten Ähnliches in Europa. „Der Wirkstoff ist für Menschen ungefährlich, aber für Geier tödlich“, warnte Juan Carlos Atienza von SEO/BirdLife nach dem Treffen in Toledo. „Spanien ist das letzte Land in Europa mit einer hohen Dichte an Geiern und jetzt ist auch dies kein sicherer Ort mehr für sie.“ Atienza forderte die Regierung in Madrid auf, den Einsatz von Diclofenac umgehend zu unterbinden, zumal es geeignete unbedenkliche Alternativen gebe.

In Deutschland, wo unter anderem Bartgeier über dem Allgäu kreisen, ist das Präparat verboten. Dafür haben Gänsegeier, die gelegentlich in den deutschen Alpen vorkommen, ein Versorgungsproblem: Die Nutztierkadaver, auf die die Vögel angewiesen sind, werden meist von den Bergen gleich ins Tal transportiert und entsorgt. Zurück bleiben hungrige Geier, die auf der Suche nach Aas über den Alpen kreisen.

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