Es ist ein leuchtender Glaskasten, der aus Maximilian Lössls Küche eine Miniaturfarm macht. Neben Kühlschrank, Spülmaschine und Herd steht das Gerät, da, wo sonst Mülleimer oder Putzmittel ihren Platz finden würden. Stattdessen strahlen im Inneren des Lichtschranks grelle LED-Leuchten, die Temperatur ist exakt regelbar, und in eine Nährstofflösung getunkt, gedeihen roter Basilikum, Radieschen und Salatköpfe.
Was der Agrarökonom Lössl da in seiner Küche treibt, ist der Versuch, eine erst völlig überbewertete und inzwischen stark in Zweifel gezogene Innovation doch noch zu retten. Es ist erst ein paar Jahre her, da galt Vertical Farming als einer der Megatrends der Ernährung. Statt Felder zu überdüngen und Gemüse stundenlang in Lkws durch die Landschaft zu fahren, sollten die Städter einfach selbst ihr Gemüse anbauen. Die Idee klang toll, doch in der Praxis waren die vertikalen Bauernhöfe bisher ein kompletter Reinfall: zu teuer die Technik, zu hoch die Kosten für den Unterhalt. Und so blieb es bei der fixen Idee. Bisher
Als Maximilian Lössl vor sechs Jahren Dickson Despommier, einen US-Biologen und Autor des Buches „The Vertical Farm“, traf, war er begeistert von dessen Vision: riesige Gemüsegärten, in denen Pflanzen unter Kunstlicht wie im Hochregallager gestapelt wachsen. Despommier überredete Lössl, im holländischen Den Bosch zu studieren, weil es da den führenden Forschungsbereich zum Thema gibt. Es folgte ein Leben im Zentrum des Hypes: Noch im Studium gründete Lössl die internationale Association for Vertical Farming, in der heute 300 Unternehmen organisiert sind, darunter Konzerne wie Philips und Microsoft. Sie alle wollen künftig an vertikalen Gärten verdienen. Investoren etwa im Silicon Valley und in Asien glaubten gar, dass diese Gärten irgendwann das Grünzeug vom Acker und aus dem Gewächshaus verdrängen. Wagniskapitalgeber wie der Softbank Vision Fund pumpten allein im vergangenen Jahr mehr als 270 Millionen Dollar in die Vision. Und in Hamburg eröffnete die erste deutsche vertikale Großfarm.
Längst aber hinterfragen Kritiker, ob sich riesige vertikale Farmen rechnen. Exorbitante Stromkosten, gewaltige Technikinvestitionen und hohe Löhne in den Metropolen setzen den Betreibern zu. Das US-Ernährungsportal Civil Eats rechnet vor: Wenn ein Pfund konventioneller Grünkohl bei Walmart 1,33 Dollar koste, koste die gleiche Menge aus der vertikalen Farm in New Jersey 14,18 Dollar. Von der Wirklichkeit eingeholt, hat der Internetkonzern Google inzwischen ein eigenes Projekt gestoppt. Und auch der größte US-Anbieter FarmedHere musste 2017 dichtmachen.
Sechs Jahre nach seinem Treffen mit Visionär Despommier glaubt Lössl zwar noch immer, dass sich vertikale Gemüsegärten mancherorts rentieren können. Rund um Wüstenstädte wie Dubai beispielsweise. Nicht aber in Deutschland. Statt sich also in den Wettbewerb mit Supermarktgemüse zu stürzen und eine Großfarm zu starten, gründet er das Start-up Agrilution. Das kreierte eine vertikale Miniaturfarm. Von Ende des Jahres an gibt’s den Lichtschrank zu kaufen, für 2500 Euro.
Im Visier hat Lössl wohlhabende, ernährungsbewusste Großstädter, die keinen Gemüsegarten besitzen und trotzdem das Erfolgserlebnis suchen, eigene Lebensmittel herzustellen. Dafür ist sein Lichtschrank mit LED-Lampen ausgerüstet, die das komplette Sonnenlichtspektrum, aber auch Teile davon wiedergeben können. Das Gerät heizt, kühlt und bewässert die Schubladen. Der Käufer muss nur eine der vorgefertigten Matten von Agrilution einlegen, in denen Samen und Nährstoffe stecken. Wann das Grün essbar ist, erfährt er aus einer App. Später will Lössl, in dessen Firma auch Tengelmann Ventures und der Leuchtenbauer Osram investiert haben, das Nespresso-Prinzip anwenden. Statt Kaffeekapseln verkauft er Saatmatten. Den Schrankpreis will er unter 800 Euro drücken.
Lössl ist nicht mehr der Einzige, der hierzulande an einer vertikalen Minifarm arbeitet. Anders als das Gerät aus München soll der Lichtschrank des hannoverschen Start-ups Neofarms mit normalen Samen funktionieren, wird dafür allerdings 6500 Euro kosten und erst in zwei Jahren marktreif sein. In den Schrank will Neofarms die Wurzeln mit feuchtem Nährstoffnebel umgeben, statt sie im Wasserbad zu versorgen. Anders als in den Großfarmen sei das Licht nicht violett, sondern weiß. Die Pflanzen wirkten so appetitlicher, sagt Neofarms-Gründer Maximilian Richter.
Ein Problem der Minifarmen bleiben die Stromkosten, da der klassische Treibhauseffekt als Wärmequelle ausfällt. Das Neofarms-Gerät verbraucht Strom für einen Euro am Tag. Trotzdem glaubt Lössl, dass die Schränke in die Küche von morgen gehören. Supermarktgemüse sei, selbst wenn es aus einer vertikalen Großfarm stammt, seit Stunden tot. Frisch sei nur das aus dem Lichtschrank.