
Das Problem ist so alt, wie die Gen-Analyse selbst: Seit immer mehr Erbanlagen für bestimmte Krankheiten bekannt sind, müssen sich Patienten darüber Gedanken machen, ob sie von diesen Krankheitsgenen überhaupt etwas wissen möchten. Und Ärzte müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie die Ergebnisse einer Genanalyse dem Patienten nicht nur erklären, sondern ihm im schlechtesten Fall auch schonend beibringen müssen, dass er die genetische Veranlagung einer Krankheit trägt, für die es möglicherweise noch keine Behandlungsmöglichkeiten oder gar eine Heilungschance gibt. Nicht immer ist das Ergebnis so eindeutig wie bei Anglina Jolie, die durch die Amputation beider Brüste ihr zuvor per Gentest diagnostiziertes Brustkrebsrisiko von 87 auf unter fünf Prozent reduzierte.





Nun potenziert sich das Problem erheblich. War die Sicht durch den gläsernen Patienten bisher noch milchig trüb, wird sie bald glasklar sein. Denn die Technik – die Sequenzierung des Erbguts – hat sich enorm weiterentwickelt. Was früher Jahre dauerte und zigtausende von Euro verschlang, geht heute so schnell, effektiv und preiswert, dass die sogenannte Totalsequenzierung bald in den klinischen Alltag halten wird. So soll in Heidelberg die Ganzgenomsequenzierung Patienten des Universitätsklinikums in Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) bald angeboten werden.
Maßgeschneiderte Therapie möglich
Damit ergibt sich einerseits die Chance, Patienten sehr individuell mit genau jenen Medikamenten zu behandeln, die bei ihnen auch wirklich helfen. Denn längst ist bekannt, dass bestimmte Gene dafür sorgen, dass Pillen beim einen besser, beim anderen schlechter – und beim nächsten überhaupt nicht wirken. Mit Hilfe der Totalsequenzierung rückt die seit langem von Forschern beschworene "personalisierte Medizin" in greifbare Nähe. Auch für viele medizinische Forschungsprojekte wird dieser Wissenszuwachs enorm hilfreich sein, um Krankheiten und ihre Wirkmechanismen zu verstehen – und bessere Therapien und Medikamente zu entwickeln.
Mensch 2.0 - Welche Techniken und Implantate uns besser leben lassen
Ein Mikrochip im Innenohr (38.000 Euro) lässt Taube wieder hören.
Hirnschrittmacher (ab 31.000 Euro) senden elektrische Impulse ins Gehirn, um epileptische Anfälle, das Zittern von Parkinson-Kranken und Depressionen zu heilen.
Ein Chip erfasst Nervenreize. Denkt ein Proband "Greifen", kann er eine Prothese fernsteuern.
Werden kleine Magnete unter die Haut der Fingerkuppen implantiert (200 Euro), können Menschen elektromagnetische Felder wahrnehmen.
Mit einer vollelektronischen Orthese (60.000 Euro) können Menschen gelähmte Gliedmaßen wieder benutzen.
Mikroelektronik in modernen Prothesen (30.000 bis 40.000 Euro) kontrolliert und steuert innerhalb von Millisekunden die Position des Kunstbeins beim Gehen, Rennen oder Treppensteigen.
Mit superleichten Karbonfedern (8.000 Euro) spurten Sportler besser als mit normalen Fußprothesen.
Implantate nahe dem Rückenmark (etwa 20.000 Euro) stoppen die elektrischen Nervensignale - und damit das Schmerzempfinden.
Elektronische Schrittmacher kontrollieren die Funktion von Magen, Blase und Darm (ab 14.400 Euro).
Der Brustmuskel wird in mehrere Segmente unterteilt, mit denen Arm und Kunsthand präzise gesteuert werden (60.000 Euro).
Schrittmacher (ab 5.100 Euro) und implantierbare Defibrillatoren (ab 15.500 Euro) halten geschädigte Herzen mit elektrischen Impulsen auf Trab.
Exakt geschliffene Kunststofflinsen (je 3.000 Euro) heilen den grauen Star. So erreichen viele Patienten anschließend 180 Prozent Sehschärfe.
Blinde können mit einem Computerchip (73.000 Euro ohne Operation), der in die Netzhaut implantiert wird, wieder sehen. Eine Kamerabrille überträgt Bilder zum Chip, der das Signal an den Sehnerv weiterleitet. Der Akku am Gürtel liefert den Strom.
Wie Ärzte, Wissenschaftler und Patienten allerdings mit der Verantwortung, die sich aus diesem Erkenntnisgewinn ergibt, umgehen sollen, wirft nach Ansicht der Heidelberger Forscher viele ethische und rechtliche Fragen auf, die noch völlig ungeklärt sind. Der Deutsche Ethikrat und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina - haben zwar schon grundsätzlich Stellung bezogen, aber ebenfalls eine weitere Klärung gefordert.
So haben sich Wissenschaftler der Universität Heidelberg und des Universitätsklinikums Heidelberg, des DKFZ, des EMBL und des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sowie der Universität Hannover zur EURAT-Projektgruppe zusammengetan. In einer 62-seitigen Stellungnahme mit dem Titel "Eckpunkte für eine Heidelberger Praxis der Ganzgenomsequenzierung" haben sie sehr umfassend erarbeitet, welche Konsequenzen sich aus dem neuen Wissen in medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht ergeben.