Gesundheit Investoren wetten auf Partydrogen als Medizin

Ist die Gesellschaft, sind vor allem Ärzte und die Pharmabranche bereit, ehemalige Partydrogen als heilbringende Medikamente zu akzeptieren? Quelle: Getty Images

Weil es bei Psychopharmaka an Innovationen mangelt, gelten Zauberpilze und Ecstasy plötzlich als Hoffnungsträger im Kampf gegen Depression und Sucht – und sie werden spannend für Investoren mit starken Nerven.

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Die versteckte Kamera an Bord der Yacht filmte, wie das Callgirl das bestellte Heroin erst für sich aufzog und es dann ihrem Klienten spritzte, einem Google-Spitzenmanager. Der anschließende Überdosis-Tod des fünffachen Familienvaters im November 2013 im Hafen von Santa Cruz und der Prozess wegen fahrlässiger Tötung warfen ein Schlaglicht auf die Schattenseiten des Silicon Valleys. Eine Kultur, die auf schier unerreichbare Ziele setzt und diese zelebriert: Drogen, Sucht, Burnout, Depression, Selbstmord, Panikattacken – weil die Finanzierung wackelt, weil das Produkt floppt; oder einfach auf der Suche nach dem nächsten Kick.

Eine gefährliche Mischung, die durch soziale Isolation und den Kontrollverlust im Homeoffice während der Coronapandemie noch toxischer geworden ist. Das Silicon Valley reagiert in typischer Manier: Mehr als fünf Milliarden Dollar steckten Investoren allein 2021 in Start-ups, die sich auf mentale Gesundheit fokussieren, fast das Doppelte vom Jahr zuvor. Unternehmen wie Lyra Health, gegründet von Ex-Facebook-Finanzchef David Ebersman (900 Millionen Dollar) oder BetterUp (600 Millionen Dollar) offerieren das Vermitteln von „Weltklasse“-Therapeuten und Coaches, kombiniert mit persönlichen Einsichten und Übungen für das bessere Ich. Auf der anderen Seite stehen Gründer, die neuartige Medikamente für Therapien gegen Depression und Sucht entwickeln wollen.

Carsten Maschmeyer kennt den Kreislauf aus Arbeitssucht, Burnout, Schlafstörungen, Tabletten-Missbrauch und Depression genau. Der Investor ist einer der wenigen, der ganz offen darüber spricht. Selbst seinen Aufenthalt in einer Klinik spart er nicht aus. „Ich hatte große Angst davor, hirnkrank zu werden, bleibende Schäden davonzutragen“, erzählt Carsten Maschmeyer im „Chefgespräch“-Podcast mit WirtschaftsWoche-Chefredakteur Beat Balzli. Und wie er das „große Glück“ gehabt habe, als behandelnden Arzt Florian Holsboer zu bekommen, den langjährigen Chef des Münchner Max-Planck-Institutes für Psychiatrie in München. Der habe ihn geheilt.

Hören Sie hier das Podcast-Gespräch mit Carsten Maschmeyer in voller Länge.

Aus der Höhle der Löwen ins Chefgespräch: Carsten Maschmeyer spricht über seine schwierige Kindheit, den umstrittenen Finanzvertrieb AWD, echten Gründergeist und seinen größten persönlichen Fehler.
von Beat Balzli

Als echter Unternehmer hat Maschmeyer ein Geschäft daraus gemacht. Mit dem international renommierten Experten für die Therapie von Depressionen, Angststörungen und Stress gründete er 2014 die Firma HMNC Brain Health. Das H und M steht für Holsboer und Maschmeyer, das NC für Neurochemie. Das Münchner Unternehmen hat seitdem 32 Millionen Dollar eingesammelt, darunter vom Family Office der Verlegerfamilie Jahr und dem Investmentbanker Guntard Gutmann.

Geschäftszweck ist, genetische Tests zu schaffen, um die schweren Depressionen von Patienten besser zu klassifizieren und ihnen auf dieser Basis die besten herkömmlichen Medikamente zu verordnen. Und für jene, bei denen traditionelle Antidepressiva nicht anschlagen, neue Wirkstoffe zu entwickeln. Wie etwa bei HMNCs Ketabon Projekt, das den Einsatz von Ketamin gegen schwere Depressionen untersucht.

Das Betäubungsmittel wurde ursprünglich bei Operationen eingesetzt. In mehreren Studien konnte aber nachgewiesen werden, dass es nicht nur gegen Alkohol- und Heroinsucht erfolgreich angewandt werden kann, sondern auch bei behandlungsresistenter Depression. Im Frühjahr 2019 erteilte die US-Arzneimittelbehörde FDA einem von Johnson & Johnson produzierten Ketamin-Nasenspray die Zulassung. Seit Februar 2021 ist es in der EU mit dem Markennamen Spravato zugelassen, darf aber wie in den USA nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden. Der Zulassung war ein jahrelanges Ringen vorausgegangen. Denn die Linderung scheint an den rauschartigen Zuständen zu liegen, an den Halluzinationen, die oft Glückszustände hervorrufen und positive Gedanken fördern. Zu hoch schien die Gefahr, dass die Mittel missbraucht werden. „Es ist so ähnlich, wie wenn man einen Computer neu startet“, beschreibt Jerrold Rosenbaum, Direktor des Zentrums für Neurowissenschaften der Psychedelika am Massachusetts General Hospital und Professor für Psychiatrie an der Harvard-Universität die Prozesse im Hirn.

Die Psychopharmaka-Entwicklung tritt seit Jahrzehnten auf der Stelle, obwohl sich die mentale Gesundheit weiter verschlechtert. Die Pharmakonzerne konzentrieren sich auf große Anwendungen, vor allem Krebsmedikamente: viele Patienten, hoher medizinischer Bedarf und Aussicht auf satte Gewinne. Laut dem Marktforschungsunternehmen Predence Research wurden im vergangenen Jahr mit Krebsmedikamenten 136 Milliarden Dollar umgesetzt. Der weltweite Markt für Antidepressiva wird auf 28 Milliarden Dollar geschätzt.

Klassische Antidepressiva wirken nur beschränkt, oft gar nicht. Patienten müssen lange experimentieren, bis sie die richtige Dosierung gefunden haben. Bei bis zu einem Drittel der Patienten, so Studien, schlagen die Mittel überhaupt nicht an. Das sind ungefähr 100 Millionen von den 320 Millionen Menschen, die weltweit unter schweren Depressionen leiden.

Fast 30 Jahre lang hat Hanscarl Leuner Menschen mit LSD und Psilocybin therapiert. Substanzen, in die gerade Start-ups investieren – während der deutsche Forscher ins gesellschaftliche Abseits gedrängt wurde.

Derweil ist lange bekannt, dass Psychedelika wie Ketamin, DMT (Ayahuasca), LSD, Psilocybin („Magic Mushrooms“) oder MMDA (verwandt mit MDMA (Ecstasy)) psychische Leiden lindern können. Es gibt Hunderte Studien darüber. Vor allem in den 50er- und 60er-Jahren forschten viele Universitäten an dem Thema. Das kam zu einem abrupten Stopp, als US-Präsident Richard Nixon 1970 in seiner Kampagne gegen Drogen nahezu alle bewusstseinsverändernden Stoffe streng regulierte. Die Vereinten Nationen zogen in ihrer Konvention über psychotrope Substanzen nach. Damit begann eine jahrzehntelange, staatlich verordnete, Eiszeit.

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Ende der 90er-Jahre tasteten sich Forscher vorsichtig wieder an die Psychedelika heran, weil sie nach Alternativen für Antidepressiva, Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen suchten. Psilocybin wurde an todkranken Patienten getestet, um ihre Angst vorm Sterben zu mindern. Mittlerweile gibt es wieder Forschungszentren. Darunter sind das von Harvard-Professor Rosenbaum und eins an der renommierten Johns-Hopkins-Universität, das 2019 durch 17 Millionen Dollar Spenden gestartet wurde, die unter anderem von Silicon-Valley-Unternehmern kamen.

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