Gewalt-Studie Der Mensch ist von Natur aus gewaltbereit

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Seit 100 Jahren nimmt Gewaltbereitschaft ab

Anschließend ermittelten die Forscher, wie verbreitet innerartliche Gewalt unter Menschen sein sollte, wenn man nur die Stellung im Stammbaum – und somit die Verwandtschaft zu anderen, mehr oder weniger gewaltbereiten Arten – berücksichtigt. Demnach sollten ebenfalls etwa zwei Prozent aller Todesfälle auf Mord und Totschlag zurückzuführen sein – ein Wert, der sich mit Angaben zu gewaltsamen Todesfällen in prähistorischen menschlichen Gesellschaften decke, berichten die Forscher.

Sie hatten dazu unter Berücksichtigung von 600 Studien ermittelt, wie verbreitet Gewalt in menschlichen Populationen seit etwa 50.000 Jahren gewesen ist. Diese Zahlen seien mit einiger Unsicherheit behaftet, schränken die Forscher ein. Das Ausmaß tödlicher Gewalt schwankte zwischen einzelnen Zeitabschnitten stark. Sie lag zunächst entsprechend der phylogenetischen Untersuchung bei etwa zwei Prozent, nahm dann zeitweise erheblich zu. In der Moderne, seit etwa 100 Jahren, nahm die Gewaltbereitschaft innerhalb der Gesellschaft stark ab.

Vermutlich beeinflussten Kultur und ökologische Bedingungen die Gewaltbereitschaft. Auch die Organisation in einem Staat – und damit die Übergabe des Gewaltmonopols an den Staat – lasse die Zahl der Tötungsdelikte sinken, berichten die Wissenschaftler.

„In der Frühzeit war die Menschheit so gewaltbereit, wie man es angesichts der gemeinsamen evolutionären Geschichte der Säugetiere erwarten würde“, schreiben die Forscher. „Dieser Anteil prähistorischer tödlicher Gewalt ist nicht unveränderlich, sondern hat sich mit dem Fortschreiten unserer Geschichte verändert, meist im Zusammenhang mit der soziopolitischen Organisation der menschlichen Gesellschaft. Das legt nahe, dass Kultur das phylogenetische Erbe tödlicher Gewalt regulieren kann.“

Die Studie nähere sich einer philosophischen Frage mit evolutionsbiologischen Methoden, kommentiert Mark Pagel von der University of Reading die Studie. Nämlich der Frage, ob der Mensch von Natur aus gewalttätig sei, wie vom Philosophen Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert vermutet. Oder ob vornehmlich die Umgebung und die gesellschaftlichen Bedingungen die Gewaltbereitschaft des Menschen bestimmen, wie Jean-Jacques Rousseau ein Jahrhundert später postulierte.

Die Studie liefere gute Gründe dafür, anzunehmen, dass der Menschen von Natur aus gewalttätiger ist als die meisten anderen Säugetiere. Dies decke sich mit anthropologischen Untersuchungen, die Jäger und Sammler-Gemeinschaften als in „ständigem Kampf befindlich“ beschrieben. Hobbes habe Rousseau einen schweren Schlag versetzt, ihn aber noch nicht ganz ausgeknockt, schreibt Pagel.

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