Globalisierung Verwandlung der Nachmacher

Neue Medikamente, Superbatterien oder Raumfahrttechnik: Mit hohem Tempo wandeln sich Schwellenländer wie China, Indien, Mexiko oder Brasilien von der Werkbank der Welt zu Innovationstreibern. In immer mehr Technologiefeldern setzen sie die alten Industriestaaten unter Druck.

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Ein Arbeiter bei Huawei. Die Schwellenländer holen immer schneller zum Westen auf. Quelle: Presse

Bisher hat sich Robert Lloyd immer herausgeredet, wenn Analysten ihn auf den wachsenden Erfolg des Konkurrenten Huawei ansprachen. Der Chef des globalen Geschäfts von Cisco, dem weltweiten Marktführer für Netzwerktechnik, stempelte den Angreifer aus China schlicht als Kopisten ab. "Wir sind innovativ, Huawei nicht", polterte Lloyd erst neulich wieder in einer Telefonkonferenz: "Imitation ist nicht Innovation."

Es wird Zeit, dass sich der 55-jährige US-Manager neue Argumente sucht. Denn tatsächlich hat sich Huawei binnen weniger Jahre vom asiatischen Nischenanbieter zum weltweit anerkannten High-Tech-Ausstatter gewandelt, der Cisco nun schon als Nummer zwei im Weltmarkt dicht auf den Fersen ist. Längst setzen etwa sämtliche deutschen Mobilfunker – auch – auf Netztechnik der Chinesen. Vodafone und E-Plus vertrauen Huawei gar den Ausbau ihrer extrem schnellen LTE-Funknetze an.

Nachmachen reicht nicht mehr

Und nun plant Konzern-Chef Ren Zhengfei gar den Angriff auf Apple und Samsung. Bis 2015 will er sein Handygeschäft massiv ausweiten und Huawei zum drittgrößten Hersteller der Welt machen.

Nachmachen, statt selbst entwickeln – einst die Devise vieler Unternehmen aus Wachstumsstaaten –, reicht da nicht mehr aus. Rund drei Milliarden Dollar, gut zehn Prozent des Umsatzes, investiert Huawei daher in neue Technologien. Gut die Hälfte der mehr als 140 000 Mitarbeiter arbeiten in Entwicklung, Design oder Forschung.

Patente statt Plagiate – darauf setzen immer mehr Unternehmen, nicht nur in China. Sie bauen bei der Eroberung der Weltmärkte auf eigene Innovationskraft statt stibitztes Wissen. Auch in Staaten wie Indien, Brasilien, Mexiko oder Südafrika haben Unternehmen und Regierungen erkannt: Nachhaltiges Wachstum braucht Innovation.

Mehr Patente aus China und Indien

Die Folge ist ein immenser Aufschwung von Forschung und Entwicklung in Ländern, die lange eher als Bildungswüsten galten: Indische Universitäten etwa bilden heute pro Jahr rund 500 000 Ingenieure und IT-Experten aus. Deutschland bringt es auf gerade mal 80 000. Und die Türkei erhöht ihre Forschungsausgaben seit 1997 jährlich um knapp sieben Prozent. Die USA dümpeln bei einem Prozent Wachstum. Schon kommendes Jahr werden nach einer Studie des britischen Wissenschaftsrates chinesische Wissenschaftler mehr Artikel publizieren als ihre US-Kollegen, Brasilien überholt Japan voraussichtlich 2020.

Auch bei Patenten schließen die Schwellenländer rapide zu den Weststaaten auf (siehe Grafik rechts). Die Technikexporte boomen. Neben die alten High-Tech-Zentren im Norden und Westen des Globus treten mit atemberaubender Geschwindigkeit neue technologische Hotspots im Osten und Süden.

Aufsteiger schließen zum Westen auf

Private Nachwuchsförderung Indische Unternehmen betreiben eigene Hochschulen – und bilden Zehntausende Studenten aus Quelle: Laif

Wenn Chinas Regierung in Suzhou das größte Nanotechnologiezentrum des Landes baut, indische Forscher in Neu-Delhi neue Malariamedikamente entwickeln und Unternehmen aus Mexiko weltweit Raumfahrttechnik wie Turbinenteile oder Verbundwerkstoffe absetzen, verändert das den weltweiten Atlas der Ideen und die Geografie des Wissens radikal. Für Holger Görg, Globalisierungsforscher des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, sind die Folgen klar: "In manchen Wissenschaftsfeldern und Hochtechnologien schließen die Aufsteiger rapide zum Westen auf." In Zukunft könnten sie diesen sogar überholen, so wie es Südkorea und Taiwan bei Unterhaltungselektronik und Halbleitertechnik schon gelang.

Zum größten Innovationssprung setzt China an, wo an unzähligen Orten Kräne und Bagger im wahrsten Wortsinn eine neue Forschungslandschaft erschaffen.

So auch in Suzhou, einer Vier-Millionen- Stadt 80 Kilometer westlich von Shanghai. Hier errichtet ein Heer von Bauarbeitern unter Leitung von Christian Bechtle vom deutschen Architektenbüro Henn derzeit das größte Nanotechnologiezentrum Chinas. Wenn Bechtle seine Besucher – umtost vom Baulärm und anrollenden Lastern – über das 140 Fußballfelder große Gelände mit seinen künstlichen Kanälen führt, kann er ihnen schon die ersten bis zu 25-stöckigen Glasbauten zeigen.

Milliarden Euro für Nano-Forschung

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung und die Technologie-Exporte im Vergleich.

Ab Herbst sollen dort chinesische und westliche Unternehmen und Wissenschaftler Nanoforschung betreiben. Die Technik, die winzige Metall- oder Kohlenstoffpartikel nutzt, gilt als einer der wichtigsten Zukunftsmärkte. Die Zwergmaterialien machen Flugzeuge stabiler, Autoteile leichter und Solaranlagen effizienter.

Um dieses Wissensfeld voranzutreiben, pumpte Chinas Regierung in den vergangenen Jahren Milliarden von Euro in die Forschung. Mit Erfolg: 2011 publizierten chinesische Wissenschaftler 20 Prozent mehr Artikel zum Thema als ihre US-Kollegen. Mit Forschungschancen in Suzhou will die staatliche Betreibergesellschaft nun auch deutsches Know-how werben.

Das, sagt Michael Schumann, der beim Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft Kontakte nach China und Suzhou herstellt, machten die Chinesen "hochprofessionell und mit viel Kapital". Insgesamt stellen sie mehr als eine Milliarde Euro zur Verfügung. Geld, das Einrichtungen wie Fraunhofer-Institute, Unternehmen und Startups anlocken soll, die daheim keine Finanzierung bekommen.

Auch deutsche Unternehmen profitieren

Wirkstoffsuche im Urwald. Labor des brasilianischen Kosmetikunternehmens Natura Cosméticos bei Sao Paolo. Quelle: Pressebild

Ähnlich agiert die chinesische Regierung auch bei Zukunftstechnologien wie der Stammzellforschung oder bei grünen Energien. Auch hier entstehen Wissensparks, flankiert durch üppige Förderung und die Ansiedlung von Entwicklungsabteilungen ausländischer Konzerne.

Von solchen Kooperationen profitieren auch deutsche Unternehmen. So beschäftigt der Chemieriese Bayer in seinem Materialforschungslabor in Shanghai 160 vor allem chinesische Wissenschaftler, die an neuen Kunststoffen arbeiten. 40 Patente hat die Bayer-Außenstelle bisher entwickelt. Darunter eine Spezialbeschichtung, die es ermöglicht, Windräder in sandsturmgeplagten Wüsten einzusetzen. Bayer gewinnt neue Kunden und stärkt zugleich Chinas Innovationskraft.

Neben ausländischen Konzernen treiben aber auch immer mehr chinesische Unternehmen eigene Innovationen voran – wie das von Cisco-Vize Lloyd attackierte Huawei. Während die Forschungsbudgets europäischer und US-Konzerne seit 2009 um ein Prozent schrumpften, erhöhten chinesische Konkurrenten ihre Etats um 40 Prozent. Darunter Computerhersteller wie Lenovo, der schon 2005 mit dem Kauf von IBMs PC-Sparte Aufsehen erregte, oder der Batterie- und Autobauer BYD.

Investoren-Werbung mit Akku-Cocktail

Dessen Chef Wang Chuanfu setzt auf ungewöhnliche Methoden, um Partner von der Innovationskraft seiner Produkte zu überzeugen. So trank er im Beisein eines Technikexperten des US-Investors Warren Buffett in einer BYD-Fabrik einen Schluck Batterieflüssigkeit. "Gut schmeckt es nicht", sagte Wang und verzog das Gesicht. Aber der Akku-Cocktail auf Eisen-Phosphat-Basis sei völlig ungefährlich und umweltfreundlich. Und er sei nur halb so teuer wie die etablierte Lithium-Ionen-Technik.

Buffett investierte. Mittlerweile bringen die BYD-Akkus Elektroautos mit einer Ladung 250 Kilometer weit – vergleichbare Modelle aus dem Westen machen bereits nach etwas mehr als der Hälfte schlapp.

Ähnlich massiv setzt Indien auf den Aufbau seiner Innovationskraft. Dort blicken Politiker, Forscher und Unternehmer besonders auf die Felder Software und Medikamentenentwicklung.

Um Innovation in seinem Land voranzutreiben, muss sich Pradip Bhatnagar erst durch das gar nicht innovative Verkehrsnetz von Neu-Delhi kämpfen. Über mit Autos überfüllte Straßen, vorbei an heiligen Kühen fährt der 61-Jährige zu einem hochmodernen Laborkomplex in einem Vorort der Hauptstadt, wo 1200 Wissenschaftler forschen. Hier leitet Bhatnagar die Entwicklung neuer Medikamente für Ranbaxy, Indiens größten Pharmahersteller.

Das erste in Indien entwickelte Medikament

Die Unternehmer der Globalisierung
America MovilCarlos Slim: Der GünstlingDass der Mexikaner Carlos Slim zum reichsten Mann der Welt und zum Global Player in der Telekommunikation aufsteigen konnte, hat er der Regierung in Mexico City zu verdanken. Als die staatliche Telefongesellschaft Telmex 1990 privatisiert wurde, bekam sein Konsortium den Zuschlag – zum Schnäppchenpreis von 1,8 Milliarden Dollar. Auch danach konnte er sich auf staatliche Schützenhilfe verlassen: Wettbewerber wurden kaum zugelassen, sogar die Gesprächsgebühren durfte der Telekomunternehmer ungestört erhöhen. Mit den Monopolgewinnen finanzierte der Günstling der Regierenden eine beispiellose Expansion in Mittel- und Südamerika: Bis auf Costa Rica, Venezuela und Bolivien ist America Movil in allen Ländern vertreten. Mit knapp 250 Millionen Kunden gehört das Unternehmen zu den größten Mobilfunkbetreibern weltweit und hat sogar die Deutsche Telekom überholt. Jetzt wagt Slim den Sprung nach Europa. Er hat den Aktionären des holländischen Telekomkonzerns KPN ein Übernahmeangebot für knapp 28 Prozent der Anteile unterbreitet. Auch in Österreich, bei Telekom Austria, will Slim seinen Anteil von derzeit vier Prozent aufstocken. Dass der Mexikaner sich überhaupt nach Europa traut, ist nach Ansicht von Telekom-Chef René Obermann auch die Schuld der europäischen Regulierungsbehörden. Sie hätten mit dem Absenken der Mobilfunkentgelte den Aktien der europäischen Telekom-Konzerne geschadet − und damit Slims Offerten erst ermöglicht. Quelle: dpa
Lakshmi Mittal Quelle: dpa
Fred Curado Quelle: dpa
Terry Gou Quelle: dapd
Ren Zhengfei Quelle: AP
Chung Mong-koo Quelle: REUTERS
Shi Zhengrong Quelle: Pressebild

Bisher stellte der Konzern Kopien patentfreier Medikamente her, sogenannte Generika. Anfang 2012 aber präsentierte Bhatnagar die Eigenkreation Synriam; das erste je in Indien entwickelte Medikament. Es bekämpft Malaria, an der laut Weltgesundheitsorganisation eine Viertelmilliarde Menschen im Jahr erkranken. Mit weniger als einem Euro kostet eine Synriam-Tablette die Hälfte bisheriger Produkte. Auch westliche Forscher hatten ihren Wirkstoff Arterolane zuvor untersucht. Doch sie gaben auf, während Bhatnagars Team die Forschung zu Ende führte.

Auch bei Software treiben weltweit tätige indische IT-Schmieden wie Infosys und Wipro Innovation und Ausbildung von Fachkräften voran. So unterhält Infosys in der südindischen Stadt Mysore eine eigene technische Hochschule mit 10 000 Studenten – ebenso viele wie die Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Infosys ist damit Vorbild für viele ähnliche, unternehmensfinanzierte Ausbildungsstätten.

Indien exportiert neue und erschwingliche Produkte

Aber indische Unternehmen setzen nicht nur auf Hochtechnologie. Sie glänzen auch mit sogenannter "frugaler Innovation", sprich Low- statt High-Tech. Das sind keine Billigversionen bestehender Produkte, sondern Eigenentwicklungen für Märkte in armen Ländern, für die Produkte westlicher Konzerne zu teuer sind.

So hat etwa die Chemiesparte des Mischkonzerns Tata neue Wasserfilter entwickelt. Sie nutzen einen Materialmix aus der Asche von Reisschalen sowie Silber-Nanopartikeln, um Trinkwasser von Bakterien und Viren zu reinigen. Die Geräte kosten mit 24 Dollar nicht mal ein Drittel westlicher Filter. Inzwischen exportiert Indien derart innovative, aber erschwingliche Produkte im Wert von 70 Milliarden Dollar, vor allem nach Vietnam und Bangladesch.

Längst eifern auch andere aufstrebende Länder der asiatischen Aufholjagd nach und prägen den globalen Forschungsatlas. In Brasilien etwa schlagen sich Biotechnologen des Kosmetikherstellers Natura Cosméticos mit Macheten durch den Amazonasdschungel und ersteigen mit Bergausrüstung Wipfel von Riesenbäumen. Ihr Ziel: wirksame pflanzliche Rohstoffe, auf deren Basis sie neue Pflegeprodukte entwickeln. Dafür landete der Konzern auf Platz acht der "Forbes"-Liste der innovativsten Unternehmen weltweit, vor westlichen Konkurrenten wie Beiersdorf und L’Oréal.

Afrika und Mexiko feiern Erfolge

Die größten deutschen Arbeitgeber in China
Knorr-Bremse Quelle: Screenshot
Heraeus Quelle: Foto: Heraeus
Henkel Quelle: Pressebild
Evonik Quelle: Pressebild
Bertelsmann Quelle: dapd
Schenker Quelle: dapd
Freudenberg Quelle: Pressebild

Auch Mexiko greift an. So investierte die dortige Raum- und Luftfahrtindustrie in den vergangenen 20 Jahren laut der US-Beratungsagentur ICF AeroStrategy mehr in neue Produktionsstätten als die USA oder Russland: 33 Milliarden Dollar. Heute exportieren knapp 200 mexikanische Unternehmen Technik – von Turbinenteilen bis zu Werkstoffen für Flugzeugrümpfe und -flügel – im Wert von mehr als drei Milliarden Dollar pro Jahr.

Und selbst afrikanische Hochtechnologie feiert Erfolge. So entwickelte Sasol, eines der größten südafrikanischen Unternehmen, eine hocheffiziente Technik, um Erdgas in Flüssiggas und Diesel umzuwandeln. Der US-Energieriese Chevron vertreibt diese Konverter vom Kap weltweit.

Bei all den Fortschritten aber, die den Aufsteigern in jüngster Zeit gelangen – Kritiker warnen vor blinder Euphorie. Trotz einzelner Spitzenleistungen herrsche in der wissenschaftlichen Breite noch Aufholbedarf. Und nicht jede national bejubelte Innovation könne international bestehen.

Innovation mit Pannen

Mitunter gelingt das nicht mal im eigenen Land: So schaffte es China zwar, einen hochmodernen Schnellzug zu bauen. Der aber entgleiste voriges Jahr kurz nach der Jungfernfahrt. Und die spektakuläre Explosion eines Batteriepacks verpasste erst Ende Mai den Ambitionen des Autobauers BYD einen herben Dämpfer.

Zudem bedeutet Masse noch nicht Klasse. So bringt das indische Universitätssystem zwar pro Jahr knapp zwei Millionen Akademiker hervor. Aber nur ein Viertel von ihnen sei, so die Unternehmensberatung McKinsey, so gut ausgebildet wie ihre westlichen Kommilitonen.

Doch so berechtigt die Einwände sind: Der englische Globalisierungsexperte James Wilsdon warnt vor falscher westlicher Arroganz. Er ist überzeugt, dass "Forscher und Unternehmer, die zu Tausenden aus dem Westen in ihre Heimatländer zurückströmen, bald einen enormen Qualitätssprung auslösen". Der Trend sei schon sichtbar. So unterstützten beispielsweise indische IT-Experten aus dem amerikanischen Silicon Valley in ihrer Heimat die Gründung von Startups, die bereits 200 Milliarden Dollar an Umsatz generierten.

Manager im Westen, die die Umbrüche auf dem Atlas der Ideen ignorierten, drohten daher den Anschluss auf dem Weltmarkt zu verlieren, prophezeit Wilsdon.

Ein Grund mehr also für Cisco-Vize Lloyd, sich bald eine neue Antwort auf den Angriff von Huawei auszudenken.

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