Grünen-Pläne zu Kurzstreckenflügen Ein Verbot, das dem Klima nicht hilft

Quelle: imago images

Atmosphärenforschern zufolge sind Kurzstreckenflüge weit weniger umweltschädlich als oft vermutet. Zudem ließe sich das Fliegen nahezu vollständig klimaneutral machen, wenn die Politik den Weg ebnet.

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Grünen-Chefin Annalena Baerbock will, sollte sie ins Kanzleramt einziehen, auf die komplette Abschaffung von Kurzstreckenflügen hinarbeiten. SPD-Kandidat Olaf Scholz fordert einen Mindestpreis von 50 bis 60 Euro pro Flug. Und auch der niederländische Sozialdemokrat und EU-Klimakommissar Frans Timmermans bläst zur Attacke auf das Flugzeug, sagte gerade der Funke-Mediengruppe: „Niemand muss zehn oder zwölf Mal im Jahr fliegen.“ Wenn die Bürger sich auf eine Flugreise pro Jahr beschränkten, dann entstehe gar kein Problem, „weder für das Klima noch für das eigene Portemonnaie“.

In einer Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprach sich jüngst knapp jeder Vierte für eine Abschaffung der Kurzstreckenflüge aus. Etwa jeder Dritte möchte sie zudem mit einer Steuer verteuern und so unattraktiver machen. Gegen jegliche Veränderung waren 26 Prozent der Befragten.

Flugreisen zu ächten, ist inzwischen zu einer Art Mantra zahlreicher Klimapolitiker geworden. Dabei geht die Kritik an vielen Stellen ins Leere. Kurzstreckenflüge etwa sind deutlich besser als ihr Ruf. So beruht die Verteufelung des Verkehrsmittels Flugzeug zum Teil auf einer falschen Zahlenbasis. Zudem ist die Flugzeugbranche keineswegs veränderungsresistent. Es gibt zahlreiche realistische Wege, das Fliegen in den nächsten Jahren nahezu klimaneutral zu machen.

Unlauter schlecht gerechnet

Wie überzogen die Kritik ist, zeigt schon der direkte Vergleich der Klimabilanzen der einzelnen Verkehrsmittel. Laut Umweltbundesamt verursacht die Eisenbahn im Fernverkehr 38 Gramm CO2 pro Person und Kilometer – bei Inlandsflügen seien es 214 Gramm, also mehr als fünf Mal so viel. Geht man allerdings nur vom Spritverbrauch aus, verursacht ein Flug im Schnitt 107 Gramm. Das Amt verdoppelt den Wert mit der Begründung, dass die Abgase der Flieger Kondensstreifen erzeugen. Aus denen wiederum werden Schleierwolken, die das Klima stärker schädigen können, als das ausgestoßene CO2. 

Bei interkontinentalen Flügen in großer Höhe mag diese Rechnung aufgehen. Nicht aber bei vielen Inlandsflügen. Denn in niederen Höhen fallen die Außentemperaturen meist nicht unter minus 42 Grad. Erst ab dieser Temperatur aber kommt es überhaupt zur Bildung von langlebigen Kondensstreifen, sagt Robert Sausen vom Institut für Physik der Atmosphäre am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Sausen hatte mit seinen Forschungen die Grundlage für den vom Umweltbundesamt genutzten Multiplikator gelegt. Ihm selbst aber geht die Interpretation des Amts viel zu weit. „Der in den 1990er Jahren entwickelte Faktor sollte nur zeigen, dass da mehr ist als nur das CO2.“ Wie stark diese Effekte aber exakt sind, hängt laut Sausen stark davon ab, zu welcher Uhr- und Jahreszeit jemand fliegt, wo er fliegt, wie hoch er fliegt, welches Wetter gerade herrscht.

Fallen aber die  Kondensstreifen weg, entfällt auch die rechnerische Verdopplung des CO2-Ausstoßes – und schon steht das Flugzeug im Inlandsverkehr deutlich besser da, immerhin besser als das Auto (140 Gramm). Das bestätigte vor einer Weile auch eine Untersuchung der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Ihr zufolge liege der Spritverbrauch auf der längeren Kurzstrecke beim Flugzeug bei gut 4,2 Litern pro 100 Kilometer. Beim Auto, das im Schnitt mit 1,5 Passagieren belegt ist, seien es immerhin 6,1 Liter.

Grüner Sprit macht grüne Flieger

Hinzu kommt, dass sich auch der Flugverkehr durchaus für klimafreundliche Innovationen eignet. Flugbenzin, ein Kohlenwasserstoff, lässt sich nämlich aus Grünstrom, Wasser und CO2 aus der Umgebungsluft herstellen. Solch ein grünes Kerosin wäre komplett klimaneutral.

Tatsächlich arbeiten mehrere Unternehmen und Wissenschaftler hierzulande an genau dieser umweltfreundlichen Alternative. Einige Kilometer nördlich von Karlsruhe etwa, auf dem Gelände eines ehemaligen Kernforschungszentrums, das heute zum Karlsruher Institut für Technologie gehört. Eine Anlage des Schweizer Start-ups Climeworks filtert hier auf einem Container Kohlendioxid aus der Luft. Später fließt das Gas in einem Schlauch zum Nachbarcontainer, wo ein anderes Unternehmen es mit Wasserstoff zusammenbringt und so synthetischen Sprit erzeugt. Grüner Wasserstoff lässt sich per Elektrolyse herstellen, indem Wasser mittels Grünstrom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird.

Ähnlich wie beim E-Auto braucht eine solche Transformation Zeit, muss staatlich vorangetrieben werden: Denn das CO2 aus der Atmosphäre zu gewinnen, ist aufwendig: Auf etwa 2500 Teilchen Luft kommt nur ein Teilchen Kohlendioxid. Die Hersteller müssten also täglich mindestens zweieinhalb Milliarden Tonnen Luft bewegen und filtern, um auf die notwendige Menge Kohlenstoff zu kommen, die für den weltweiten Flugverkehr notwendig ist. Der Energiebedarf für die CO2-Filteranlagen, die dies schaffen, entspräche etwa dem 1,5-fachen Stromverbrauch Deutschlands. Und es bräuchte mehr als vier Millionen solche CO2-Filter etwa von Climeworks.

Das klingt erst einmal nach viel, aber Autos produziert die Menschheit rund um den Globus immerhin jedes Jahr 90 Millionen Stück. Fliegen würde zwar teurer werden, jedoch nicht exorbitant. Vor der Coronakrise etwa kostete ein Liter Flugbenzin rund 45 Cent, 2008 waren es auch schon mal um die 70 Cent. Das ist von den Preisen der klimafreundlichen Alternativen gar nicht mehr so weit entfernt: Climeworks hält 1,00 bis 1,50 Euro für machbar. Die Kosten der CO2-Rückgewinnung sind dabei ein wichtiger Preistreiber: Pro Tonne CO2 wird sie mit 100 bis 150 Euro zu Buche schlagen, wenn die Aggregate dafür in Masse produziert werden, kalkuliert Climeworks.

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