Gwynne Shotwell Die Frau, die uns zum Mars bringt

Gwynne Shotwell leitet das Raumfahrtunternehmen SpaceX als Chief Operating Officer. Quelle: Bloomberg

Elon Musk kassiert die Anerkennung für den gelungenen Transport der Astronauten zur Weltraumstation, doch das Lob gebührt auch Gwynne Shotwell. Sie führt das Tagesgeschäft von SpaceX, bleibt dem Rampenlicht aber lieber fern.

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Die Frau mit der blonden Mähne erntet rasenden Applaus auf dem Ideenfestival Skoll World Forum in Oxford vor zwei Jahren. Zum ikonischen Bowie-Song „Is there Life on Mars?“ zeigt sie Bilder von begeisterten Zuschauern, die dem Lift-Off einer SpaceX-Rakete staunend zusehen. „Wir arbeiten mit dem Bausteinprinzip“, erklärt Gwynne Shotwell. „Wir haben mit einem kleinen Launch-System angefangen, Little Falcon One, und haben es ein paar Mal fliegen lassen, sind dann zu einem größeren Fahrzeug gewechselt, der Falcon 9, und haben wiederum drei Falcon9s zusammengeklebt, um Falcon Heavy zu haben. Das nächste Projekt wird die Big Falcon sein, das Vehikel, das Menschen zum Mars befördert.“

Wie sie es darstellt, klingt es ganz einfach. Und genau das ist wohl die Geheimwaffe der 56-jährigen Ingenieurin, die das Raumfahrtunternehmen SpaceX als Chief Operating Officer leitet. Gründer Elon Musk liefert die große Vision – aber es ist Shotwell, die bereits zehn Launches auf SpaceX-Raketen an die Satellitenindustrie verkauft hatte, als es noch keinerlei Beweis gab, dass die Raketen des kalifornischen Start-ups es überhaupt in die Erdumlaufbahn schaffen würden.

Dass das Unternehmen aus Los Angeles jetzt als erstes Privatunternehmen zwei Astronauten in ihrer Dragon-Kapsel zur Weltraumstation ISS gebracht hat, ist zu großen Stücken ihr Verdienst. Das Magazin „Forbes“ zählte Shotwell im vergangenen Jahr zu den Top 100 der einflussreichsten Frauen der Welt und gab ihr Platz 55 – noch vor Popstar Beyonce Knowles und Klimaaktivistin Greta Thunberg. Shotwell ist eine extrem private Person – sie gab im Verlauf ihrer Karriere weniger als eine Handvoll Interviews.

Shotwell ist das Gesicht von SpaceX, das Zuversicht kommuniziert, auch wenn es gerade schwierig läuft. Quelle: Bloomberg

„Gwynne ist wie eine Brücke zwischen Elon Musk und dem Rest des Unternehmens“, sagt Hans Koenigsmann, der als Chefingenieur von SpaceX für die Raketenstarts verantwortlich ist. „Wenn Elon sagt, dass wir zum Mars fliegen, dann ist sie es, die uns sagt, was genau wir tun müssen, um wirklich dahin zu kommen.“ Der Deutsche, der bei dem kleinen Start-up Microcosm mit Shotwell zusammengearbeitet hatte, stellte sie 2002 Elon Musk vor, zu dessen Start-up er kurz zuvor als vierter Mitarbeiter gewechselt war. Musk machte Shotwell zwei Wochen später zu Mitarbeiterin Nummer sieben. Koenigsmann: „Es bedarf einer ganz besonderen Person, um bei SpaceX die Vision, die Technik und das Geld auf die richtige Weise zusammenzubringen. Und Gwynne ist diese Person.“

Elon Musk ist für seine großen Versprechungen samt unrealistischen Zeitvorgaben bekannt. Bei seinem Elektroauto-Unternehmen Tesla, das er direkt und ohne COO neben sich führt, sorgt das regelmäßig für Nächte, die in der Fabrik durchgearbeitet werden, und eine heftige „Hire and Fire“-Mentalität. Manche Mitarbeiter werden im Affekt entlassen, nur um später wieder eingestellt zu werden.

Bei SpaceX dagegen funktioniert Shotwell wie eine Firewall zwischen dem egozentrischen Gründer und den Mitarbeitern. „Wir brauchen Menschen, die ihre Arbeitsmenge selbst regulieren und darauf achten, ihre Aufgaben stets zu vereinfachen, statt regelmäßig mit 70- oder 80-Stunden-Wochen den Helden zu spielen. Das ist auf lange Sicht nicht durchzuhalten“, sagte Shotwell einmal dem Frauenmagazin „Marie Claire“. Sie selbst zog ihre beiden Kinder während ihrer 18-jährigen Karriere bei SpaceX groß. Heute findet sie alle paar Wochen Zeit, um mit ihrem Mann Robert, einem Nasa-Ingenieur, ein Wochenende auf ihrer Ranch in Texas zu verbringen.

Während Tesla oft von Musks Twitter-Kapriolen direkt betroffen ist, schirmt Shotwell SpaceX auch hier ab. Gegen Tesla ermittelte die US-Börsenaufsicht SEC wegen Preismanipulation aufgrund von Musks Tweets, SpaceX dagegen verteidigt Großaufträge von der Regierung. „Ich führe das Unternehmen so, wie ich denke, dass Elon will, dass ich es führe“, sagte Shotwell gegenüber Musks Biographen, Ashlee Vance: „Er trifft die großen Entscheidungen. Es ist geradezu irritierend, wie oft er richtig liegt, aber das heißt nicht, dass er immer Recht hat.“ Zum Beispiel wollte Musk vor ein paar Jahren die Entwicklung von Falcon Heavy einstellen. Shotwell sprintete zu dem Konferenzraum, um ihn zu erinnern, dass die Luftwaffe der USA bereits eine Fahrt auf dieser Rakete gekauft hatte.

Shotwell gilt als „People-Ingenieur“ – denn sie ist alles andere als introvertiert. Die Butter lässt sie sich nicht vom Brot nehmen. Sie habe eine scharfe Zunge und einen feurigen Charakter, so wie Musk, schreibt Vance - aber sei bereit, die Rolle der Beschwichtigenden zu übernehmen. Musk kommuniziert seine extrem ambitionierten Zeitpläne oft an SpaceX-Kunden. Shotwell muss dann im Nachhinein erklären, warum alles doch viel länger dauert: „Der größte Tag in meiner Karriere bei SpaceX ist, wenn wir nicht den Start für einen Kunden verschieben müssen“, sagte Shotwell dem Magazin „Via Satellite“.

Shotwell wuchs als mittlere von drei Töchtern in den Vororten von Chicago auf, ihre Mutter eine Künstlerin, ihr Vater Neurochirurg. Immer gute Noten, immer hübsch, Teil der Cheerleader-Gruppe. Kein Nerd - aber immerhin auch die Tochter, die zu Hause den Rasen mähte und den Basketballkorb zusammenschraubte, berichtet Buchautor Vance. Als Drittklässlerin fragte sie bei einer Autofahrt, wie ein Motor funktioniere – und ihre Mutter kaufte ihr ein Buch dazu. „Von da an faszinierten mich Motoren, Gänge und Differentialgetriebe.“ Shotwell machte einen Abschluss in Ingenieurwesen und in angewandter Mathematik.

Die inspirierende Ingenieurin

Nach der Uni begann sie in einem Trainee-Programm beim Autobauer Chrysler, fühlte sich in dem Umfeld aber nicht wohl. Im Oktober 1988 heuerte sie bei der Aerospace Corporation an, einer Organisation, die die US-Raumfahrtbehörde Nasa und die Air Force in ihrem Raumfahrtprogramm berät. Zehn Jahre blieb sie dort, aber die langsamen Abläufe im Raumfahrtgeschäft begannen sie zu ermüden. Sie wechselte zu einem Raumfahrt-Start-up namens Microcosm, traf dort Koenigsmann – der Rest ist Geschichte.

Bei SpaceX zeigt sie früh Verkaufstalent: Noch bevor SpaceX überhaupt eine Rakete in die Erdumlaufbahn schoss, gelang es ihr, zahlreiche Kunden für Raketenstarts zu gewinnen und sogar einen Vertrag mit der Nasa zu bekommen, eine Raumfähre zur Versorgung der Raumstation ISS zu entwickeln.

Sie ist die Frau, die Lösungen findet, wenn etwas nicht vorangeht. Etwa, als SpaceX so weit war, seine erste Rakete ins All zu schießen und dafür einen Weltraumbahnhof suchte, der bezahlbar war. Shotwell und ihr Kollege Hans Koenigsmann hängten eine Weltkarte an die Wand und fuhren den Äquator ab, wo Raketen beim Start besonders viel Schwung der Erddrehung mitbekommen. Sie stießen auf das Kwajalein-Atoll im Pazifik, wo das US-Militär lange Jahre Raketentests durchführte. Shotwell machte einen Colonel aus, der dort stationiert war, und schrieb ihm eine E-Mail. Drei Wochen später erhielt SpaceX die Zusage, dort seine Rakete zu testen.

Nach außen ist sie auch das Gesicht von SpaceX, das Zuversicht kommuniziert, auch wenn es gerade schwierig läuft. Und Rückschläge gab es in der Geschichte von SpaceX viele. Als 2016 eine Rakete auf der Startrampe explodierte, sitzt sie zehn Tage später auf dem Podium der wichtigsten Konferenz der Satellitenbranche in Paris, schwarzes Kostüm, hochhackige Schuhe, die einzige Frau zwischen lauter Männern, und strahlt Zuversicht aus: „Was immer das Problem ist - wir werden es finden und wir werden es beheben.“ Und erntet brandenden Applaus.

Gegenüber dem Magazin „Marie-Claire“ gibt Shotwell zu, wie schwer es war, nach dieser Katastrophe die Contenance zu bewahren: „Schon bei der Explosion der Falcon 9 im Juni 2015 weinte ich, und ich bin niemand, dem schnell die Tränen kommen.“ Bei der Explosion im September 2016 verbrannte ein 200-Millionen-Dollar teurer Satellit, der zum Teil Facebook gehörte: „Das war noch schwieriger zu verkraften, weil noch mehr auf dem Spiel stand. Nach diesem Versagen war ich keine gute Chefin. Ich hatte weniger Geduld. Und ich zeigte wohl auch mehr Angst als sonst.“

Dass Shotwell sich auf der Bühne stets modebewusst und weiblich kleidet, ist eine Art Kopfnicken an eine Ingenieurin, die ihr als Teenager auf einer Podiumsdiskussion am Illinois Institute of Technology Ende der Siebzigerjahre zeigte, dass Weiblichkeit und Ingenieurwesen zusammengehen können. „Ich ging nach dem Vortrag zu ihr auf die Bühne und sprach sie auf ihr Outfit an. Und auf ihre Arbeit. Und ich verließ den Saal mit dem Gefühl, dass ich auch Ingenieurin werden könnte“, erinnert sich Shotwell. „Ich weiß nicht, ob ich sie überhaupt angesprochen hätte, wenn sie sich nicht so modisch gekleidet hätte.“

Die inspirierende Ingenieurin hat sie nie wieder ausfindig machen können. Aber heute will sie selbst mehr Frauen ins Ingenieurwesen bringen. Bei SpaceX sind auch nur 15 Prozent der Ingenieure weiblich – trotzdem sieht Shotwell eine kulturelle Veränderung. Auch ihre Tochter Anna studiert im Ingenieurs-Programm von Stanford: „Heute gelten Nerds als cool – meine Tochter und ihre Freunde nennen sich stolz „Nerd Nation“.

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