Hirn-Computer-Schnittstelle Der Gedankenhelm als Goldgrube

Bryan Johnson präsentiert den Prototypen seines Gedankenhelms im Loft seines Start-ups Kernel in Los Angeles.

Dieser Helm soll Gehirnaktivität auch ohne chirurgischen Eingriff präzise lesen können. Die ersten zehn Geräte stiftet der Erfinder für kreative Nutzungsideen – doch bald soll er nicht weniger als die Welt verändern.


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Bryan Johnson steht im Loft seines Start-ups Kernel in Los Angeles und hält einen weißen Helm für eine Weltpremiere in die Kamera. Die Plastikhaube wirkt wie aus einem Star-Wars-Film. Sie ist mit Lasern ausgekleidet. Sie pusten in kurzen Stößen infrarotes Licht durch die Schädeldecke ins Gehirn, machen so den Sauerstoffgehalt und zugleich winzige, die Neuronen anregende Ströme messbar. Letzteres via Magnetometer über gepulste Magnetfelder. So lässt sich die Gehirnaktivität aufzeichnen und – so zumindest das Versprechen – besser entschlüsseln. Als einstiger Software-Unternehmer, der sein Start-up Braintree für 800 Millionen Dollar an PayPal verkauft und mit Wagniskapitalgebern Investoren an Bord hat, weiß Johnson, dass er große Ziele verkünden muss.

Schon in drei Jahren, gibt er als Ziel aus, soll diese Gedanken-Kopfhaube namens Flow so selbstverständlich zur Grundausstattung von Menschen gehören, die gern ihren Körper vermessen und erkunden, wie heute Körperfettwaagen und Fitnesstracker. Nur dass sie statt Kilogramm, Kalorien, Schritten oder Schlafdauer das geistige Wohlbefinden ihres Trägers aufzeichnen und beeinflussen können. „Das hier“, sagt Johnson feierlich und hält den Helm hoch, „wird die Welt verändern.“ 


Er gehört damit zu einer Riege von Internet-Unternehmern, die so wie einst die Software von Computern nun die graue Masse unter der Schädeldecke hacken wollen und eine sogenannte Hirn-Computer-Schnittstelle etablieren, Fachjargon BCI (Brain-Computer-Interface). Es könnte die Vorstufe des Verschmelzens von Mensch und Maschine sein.

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Der prominenteste und – wie sollte es auch anders sein – zugleich radikalste dieser BCI-Zunft ist Elon Musk. Er will gleich direkt ins Hirn vordringen. Vor wenigen Wochen hat er das neueste Modell des Hirnimplantats seines Unternehmens Neuralink präsentiert. Dessen münzgroße Oberfläche wird in die Schädeldecke geklebt und seine haarfeinen Elektroden mit einem extra entwickelten Operationsroboter in die Oberfläche des Hirns genäht. Das Implantat soll unter anderem Gelähmten Bewegungsfähigkeit zurückgeben, Depressionen lindern, Sucht und Vergesslichkeit heilen.

Im Vergleich dazu wirkt die Vorgehensweise von Kernel-Chef Johnson zahm. Ursprünglich war er vor vier Jahren ebenfalls mit der Idee gestartet, mittels Implantat das Gehirn zu erkunden, hatte dafür bis zu 100 Millionen Dollar aus einem Vermögen reserviert und Neurologen, Ingenieure und Informatiker angeheuert. Ihn störte, dass die Möglichkeiten, um Gehirnaktivität zu messen und zu diagnostizieren, noch immer beschränkt seien, „obwohl wir im Daten-Zeitalter leben“. Das wäre, formulierte er, als ob sich ein Kardiologe einfach auf sein Gefühl verlässt, anstatt den Blutdruck und Cholesterinspiegel zu messen.

Ein Jahr nach Start legte er den invasiven Weg ad acta, vor allem wegen der nötigen Zulassungen der Aufsichtsbehörden und den mit chirurgischen Eingriffen verbundenen Risiken. „Das wird mindestens weitere sieben bis zehn Jahre dauern“, meint Johnson zu Musks Griff unter die Schädeldecke. „Wir wollen jetzt loslegen.“

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Wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der in seinen Laboren im Silicon Valley an einer ähnlichen Haube forschen lässt, hofft Johnson, auch von außen mittels besserer und miniaturisierter Messelektronik feinere Signale abgreifen und mittels Rechenkraft rascher verarbeiten zu können. Anders als Zuckerberg, der mittels Lichtwellen und Blutzirkulation Wörter und ganze Sätze entziffern will, die so nicht mehr ins Smartphone getippt, sondern nur noch gedacht werden müssen, will Johnson „das Denken“ allgemein offenlegen. Ihm geht es darum, zu erkunden, „warum wir Dinge tun, die wir tun“. Um etwa vor Denkfehlern und Vorurteilen zu warnen. Oder bei Konzentrations- und Lernschwächen sowie dem besseren Entspannen zu helfen. Noch wirkt das alles esoterisch und erinnert an die Stirnbänder des kanadischen Start-ups Muse, die das Meditieren spielerischer machen und so erleichtern. Ein Video zeigt Johnson wie er mit dem Helm im Wohnzimmer sitzt, sein Erinnerungsvermögen am Computer trainiert, via Gehirnwellenanalyse die richtige Musikmischung um Relaxen eingespielt bekommt und subtil daran erinnert wird, zu diesem Zeitpunkt lieber die Finger von Snacks zu lassen, um seine Diät nicht zu gefährden.

„Die Licht und Magnetimpulse sind völlig ungefährlich“, versichert die Neurowissenschaftler Katherine Perdue, die das Programm betreut.

„Das ist wie eine Goldmine“

Es sind allerdings die naheliegendsten Dinge, die nicht gerade bahnbrechend anmuten. Johnson gibt das offen zu. Er möchte das weitere Unternehmer und Wissenschaftler sich Gedanken machen, was man mit den Daten aus dem Helm Sinnvolles und Nützliches machen kann. Sein Geschäftsmodell ist, die Hardware zu liefern und damit eine Plattform zu bauen, auf der andere Gründer und Wissenschaftler mit ihren Anwendungen und Ideen aufsetzen können.

„Wir wollen eine Community starten, ähnlich wie einst der Appstore von Apple und das iPhone das Entwickeln von interessanten Anwendungen inspirierte“, sagt er.

Dafür hat er die Entwicklung eines Prototyps finanziert und fünfzig der Helme produzieren lassen. Zehn Helme will er kostenlos an die Leute mit den kreativsten Ideen verschenken. Die anderen 40 Helme kosten 5000 Dollar pro Stück. Der Wettbewerb startet am ersten November und steht weltweit offen. Ab Januar sollen die Helme nebst Software und Spezialcomputer ausgeliefert werden.

„Zu erkennen, wenn man gute und schlechte Tage hat und warum das gerade so ist, das wäre bestimmt ein Hit“, schlägt David Boas vor, Professor für Biomedizintechnik am Boston University Center for Systems Neuroscience, vor. Boas, der in seinem Lab Messtechniken für Gehirnsignale studiert und entwickelt, ist begeistert. Ein Gerät in dieser Größe, Fähigkeiten und Preis sei derzeit am Markt einzigartig, meint er.

Joy Hirsch, Professorin für Psychiatrie und Neurowissenschaften an der medizinischen Schule der Universität Yale ist ebenfalls hingerissen. Viele Leute würden abwinken und denken, dass solch eine Schnittstelle zum Gehirn noch Jahrzehnte entfernt sei, dabei sei inzwischen so viel möglich. „Wir erfassen damit nur einen Teil des Gehirns, aber schon das ist wie eine Goldmine“, sagt Hirsch.

Das Gold muss allerdings noch gehoben werden. Nachdem Johnson bereits 54 Millionen Dollar aus seinem Vermögen investiert hat, ist kürzlich Kapital aus dem Silicon Valley in Höhe von 53 Millionen Dollar dazugekommen, unter anderem von Sun-Microsystems-Mitgründer Vinod Khosla. „Bryan und sein Team bauen die nächste globale Plattform der Vernetzung auf, in dem Fall über Gehirnschnittstellen“, erwartet der prominente Wagnisfinanzierer.

Große Worte.


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Auch wenn Johnson sein Unternehmen nach eigenem Bekunden ganz bewusst in Los Angeles angesiedelt und gerade nicht im Silicon Valley, kann auch er sich nicht dem Größenwahn des Hightech-Tals entziehen. Auch wenn das vielleicht einige Wissenschaftler vor den Kopf stößt, genau wie Musks vollmundige Versprechungen mit Neuralink. Aber die Begeisterung und das Selbstvermarkten gehören halt dazu, wenn man kühne Pläne umsetzen will.

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