Homeoffice „Wer sich jetzt nicht darauf einstellt, der wird nicht überleben“

Homeoffice-Fan: Aaaron Levie, Gründer und Chef des Cloudanbieters Box. Quelle: PR

Bei Box darf jeder Mitarbeiter in Zukunft von jedem Ort der Welt arbeiten. Konzernchef Aaron Levie glaubt, dass der Cloud-Anbieter so effizienter und erfolgreicher ist. Er selbst muss sich einer neuen Aufgabe stellen.

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Es ist nicht so, dass nicht auch Aaron Levie um die Nachteile des Homeoffice wüsste. Neulich zum Beispiel sei ihm ein Käfer ins Auge geflogen. So etwas, erzählt der Gründer und Chef des Cloudanbieters Box, sei ihm in einem Besprechungsraum noch nie passiert. „Ich dachte, ich erblinde.“

Trotzdem ist sich der 34-jährige sicher: Nicht nur vom Büro, sondern von jedem beliebigen Ort der Welt aus zu arbeiten, ist eine gute Sache. So gut, dass er dies den 2000 Mitarbeitern seines Unternehmens auch weiterhin ermöglichen will, selbst wenn die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen vorüber sind. Box reiht sich damit in die Riege von Techkonzernen, die ihren Belegschaften nun ähnliche Freiheiten gewähren. Auch Twitter und Facebook haben bereits angekündigt, dass ihre Mitarbeiter nicht ins Büro zurückkehren müssen.

Das ist selbst für die Techbranche, in der man sich stets betont locker gibt und sich zudem mit all den digitalen Tools auskennt, die das mobile Arbeiten erst möglich machen, ein gewisser Sinneswandel: Als Marissa Mayer vor sieben Jahren als Chefin bei Yahoo antrat und zuerst einmal alle zurück ins Büro beorderte, zeigte sich eben auch, dass manche die Freiheiten des mobilen Arbeitens allzu sehr ausgenutzt hatten. Einige hatten etwa an eigenen Projekten getüftelt, statt an denen, für die sie bezahlt wurden – andere waren sogar lieber surfen gegangen.

Levie aber ist überzeugt, dass es bei Box besser denn je laufe, seit alle im Homeoffice sind. „Wir sind effizienter“, betont er. „Und wir arbeiten besser über Grenzen hinweg, sowohl unter Kollegen als auch mit unseren Kunden. Wir kommen uns näher.“

Inspiration vom anderen Ende der Welt

Es gebe weniger Meetings und weniger Ablenkungen, die Pendelei oder Dienstreisen, um sich mit Geschäftspartner abzustimmen, fielen weg. „Deshalb können wir unsere Softwareupdates sogar schneller machen.“ Zugleich sei der Kreis derjenigen, mit denen seine Kollegen neue Ideen entwickeln, größer geworden. „Früher sind die Leute spontan zu jemandem an den Schreibtisch gelaufen, um sich auszutauschen“, erzählt Levie. „Das ist ein ziemlich kleiner Kreis.“ Jetzt beobachte er, dass die Kollegen sich genauer überlegen, bei wem sie sich Anregungen holen könnten – und dann auch mal jemanden am anderen Ende der Welt anpingen.

von Konrad Fischer, Rüdiger Kiani-Kreß, Nora Schareika

Seit mehr als zwei Monaten hat auch Levie selbst keinen Fuß mehr in sein Büro in Redwood gesetzt. Egal ob Brainstorming unter Kollegen oder Deals mit Kunden – alles läuft über Zoom, Slack und all die anderen digitalen Tools. Nun sitzt er in seiner Wohnung und schaut wieder einmal in seine Webcam, obwohl es bereits spät ist. Hinter ihm der untere Rand eines Gemäldes, von dem allerdings nur eine schwarze Kritzelei auf weißem Grund zu erkennen ist. Auch unter seinen Augen zeichnen sich dunkle Ringe ab, hin und wieder greift er zu einer Dose Cola.

Noch immer kein Lagerkoller

Er beteuert, dass sich bei ihm noch immer keine Zoom-Müdigkeit eingestellt habe. Im März, als die Ausgangsbeschränkungen gerade erst erlassen wurden, dachte er, dass seine Stimmung vielleicht in der ersten Aprilwoche kippen würde. Nun breche bald der Juni an, und er habe noch immer keinen Lagerkoller. „Der Mensch ist ziemlich anpassungsfähig.“

Es liege, sagt Levie, eine gewisse Ironie darin, dass ausgerechnet die Unternehmen, die all die technischen Tools bauen, um seinen Job auch unterwegs zu erledigen, bislang nicht immer konsequent damit arbeiteten – sondern sich im Silicon Valley oder anderen Tech-Hubs wie etwa Berlin oder Tel Aviv konzentrierten.

Lohnkosten sparen

Für sein eigenes Unternehmen ergebe sich mit der Möglichkeit, von jedem beliebigen Ort der Welt zu arbeiten, eine enorme Chance: „Wir können die besten Talente zu uns holen – und eben nicht nur diejenigen, die gerade ein Visum bekommen.“ Langfristig werde das „einen ziemlich grundlegenden Wandel mit sich bringen, auch in anderen Branchen.“ Wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter in mehr Regionen rekrutieren könnten, werde die Belegschaft vielfältiger. „Und damit kreativer, innovativer und resilienter“, wie Levie betont. „Diversity bedeutet auch, seine Überlebenschancen zu steigern.“ Denn eine Belegschaft, in der verschiedene Ethnien, Geschlechter, Altersgruppen oder sozialen Schichten vertreten seien, erkenne globale Trends schneller und könne sich in Kunden aus unterschiedlichen Kulturen besser einfühlen. „Auch wenn das für mich bedeutet, dass ich dann wohl endlich mal eine andere Sprache als Englisch lernen muss“, ergänzt Levie.

Für die Techkonzerne, die ihren Leuten nun neue Freiheiten gewähren, geht es dabei letztlich auch um Kosten: Gerade im Silicon Valley sind die Preise für Mieten und alle Annehmlichkeiten des Lebens enorm gestiegen – und damit auch die Gehälter, die die Konzerne ihren Angestellten zahlen müssen. Ein Programmierer auf den Philippinen oder eine Marketingverantwortliche in Mailand ist billiger. Box hat außerhalb seiner Zentrale im kalifornischen Redwood weitere Büros in den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Japan, Australien - und in München. Die Gehälter werden nicht nur, aber auch von der Region und den lokalen Bedingungen bestimmt, in denen jemand für das Unternehmen arbeitet.

Dass mit Twitter und Shopify ausgerechnet zwei Techkonzerne ihren Mitarbeitern das Homeoffice als dauerhaften Arbeitsplatz anboten, die auch die Dienste von Box nutzen, könne doch kein Zufall sein, twitterte Levie vor ein paar Tagen. Im eigenen Unternehmen sehe er ja, wie gut sie auf diese neue Arbeitswelt vorbereitet waren. Wer seine Dokumente in der Cloud ablegt, muss eben nicht erst Aktenordner ins Homeoffice schleppen. Das zeigt sich auch in den Zahlen, die Box in der Nacht zu Donnerstag vorgelegt hat: Im Vergleich zum Vorjahr konnte der Cloudanbieter seinen Umsatz im ersten Quartal, in dem auch die weltweiten Einschränkungen durch die Coronapandemie fallen, um 13 Prozent auf 183,6 Millionen US-Dollar steigern. Zudem gewann das Unternehmen neue Kunden wie die Nasa, die Stadtverwaltung von Berkeley oder die Nationalbank von Kanada.

von Matthias Hohensee, Mareike Müller, Thomas Kuhn

„Gerade kleinere Unternehmen gibt diese digitale Arbeitswelt die Möglichkeit, schneller zu sein“, betont Levie. Nicht nur der Arbeitsplatz, sondern genauso ihre Beziehung zu den Kunden und die Logistikkette, müssten Unternehmen digitalisieren. Auch das lehre die aktuelle Krise: Unter den Handelsketten haben jene, die diese Investitionen angegangen seien, sogar Kunden gewonnen. Andere hingegen seien pleite gegangen. „Wer sich jetzt nicht darauf einstellt, der wird nicht überleben.“


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