In ständiger Alarmbereitschaft Warum die Militärforschung in Israel so erfolgreich ist

Israelische Soldaten fliegen eine Drohne. Quelle: REUTERS

Die Bundeswehr orientiert sich bei ihrer Suche nach jungen Gründern und innovativer Militärtechnik an den USA und Israel. Dort gilt das Militär als Start-up-Brutkasten und Karriereturbo erster Güte. Eine Recherchereise in den Nahen Osten zeigt: es ist für den Bund noch ein weiter Weg.

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„Hey, du da!“, der ältere Busfahrer springt behände auf und stellt sich dem Fahrgast in den Weg. „Der Koffer kommt hier nicht in den Fahrgastraum“, herrscht er den jungen Mann in T-Shirt und Baseballkappe auf Englisch an, „steigen Sie wieder aus und packen Sie ihn bitte in den Kofferraum.“ Er verstehe keinen Spaß, wenn es um die Sicherheitsvorkehrungen gehe, sagt der Fahrer, der sich nur langsam wieder beruhigt. „Drei Kollegen waren schon in Bussen mit Attentätern. Das muss ich nicht haben.“

Eine Vorschrift in Israel besagt, dass Koffer und größere Taschen nicht bei den Fahrgästen bleiben dürfen – man hofft, dass Bomben weniger Opfer fordern, wenn sie nur im Kofferraum hochgehen. Sofort waren zwei junge Soldaten zur Stelle, als der Fahrgast – offenbar ein Tourist, der kein Ivrit verstand – auf die erste Ansage des Fahrers nicht reagierte.

Boaz, 22, und Dalit, 21, sind zwar nicht im Dienst, sondern auf dem Weg zu ihren Familien, hätten aber notfalls eingegriffen, sagen sie. „In Israel sind wir immer ein bisschen panisch“, sagt Dalit, „jeder rechnet ständig mit dem Schlimmsten.“ Die Israel Defence Forces, kurz IDF, ist omnipräsent in dem kleinen Land mit nur rund 8,4 Millionen Einwohnern. In Tel Avivs und Haifas Straßen sieht man zu jeder Tages- und Nachtzeit Scharen junger Leute in den sandfarbenen Uniformen der IDF. In Jerusalem, einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand, sowieso.

„Wie ein Wachhund im Halbschlaf, immer ein Ohr hochgestellt“, sei die israelische Gesellschaft seit der zweiten Intifada, sagt Soldatin Dalit, die eigentlich Medizin studiert. Aber der Wehrdienst ist Pflicht in Israel, auch für Frauen. Die können zwar, anders als Männer, den Dienst an der Waffe verweigern. Doch viele junge Leute machen aus der lästigen Pflicht eine Tugend: Sie melden sich freiwillig für fünf bis acht Jahre und versuchen, in einer der legendären Eliteeinheiten unterzukommen.
Vor allem, wer an der Ben-Gurion-Universität oder an der TU in Haifa einen Computer- oder Ingenieurstudiengang belegt, hat die legendäre Einheit 8200 im Auge: Sie gilt als Karrieresprungbrett und als Brutkasten für Hightech-Start-ups. Bis vor neun Jahren bestritt die IDF die bloße Existenz der 8200. Heute findet man Hinweise auf „8200er“, wie ihre Veteranen sich nennen, offen in den LinkedIn-Profilen vieler israelischer Unternehmer.

Der Erfolg des Militär-Inkubators ließe sich auch kaum noch verheimlichen: So gut wie alle israelischen Hightechfirmen wurden von ehemaligen 8200er-Soldaten oder Soldatinnen gegründet. Der Navigationsdienst Waze (von Google gekauft), der IT-Sicherheitsgigant CheckPoint Software, AudioCodes und ICQ sowie der Sensor-Hersteller MobilEye sind die bekanntesten.

Die Einheit, die rund 5000 Zeitsoldaten stark sein soll – genaue Zahlen hält die IDF geheim – spuckt pro Jahr etwa 100 neue Hightech-Gründer aus; sie hat Israel fast im Alleingang zum Hotspot der Hightech- und Start-up-Welt gemacht: Nirgendwo sonst ist pro Kopf mehr Risikokapital in Umlauf; das kleine Land verzeichnet die meisten Firmengründungen pro Kopf, hat die meisten IT-Experten relativ zur Einwohnerzahl und die meisten Firmen an der US-Technologiebörse Nasdaq nach den USA und China.
Wie genau funktioniert die Einheit 8200? Was macht ihre Veteranen wirtschaftlich so erfolgreich? Die Anfänge reichen bis in die Dreißigerjahre zurück, als jüdische Aufklärer arabische Telefonate abhörten; nach 1948 bestand sie vor allem aus Kryptologen. Den ägyptischen Funk-Code soll sie im Sechstagekrieg an einem Nachmittag entschlüsselt haben, so die Legende. Heute beschäftigt die 8200 vor allem Netzwerkspezialisten und Hacker. Sie soll den berüchtigten Stuxnet-Virus programmiert haben, der 2010 im Iran die Steuersoftware eines Atomkraftwerkes lahmlegte, das im Verdacht stand, waffenfähiges Uran anzureichern.

Wer in die 8200 will, durchläuft ein aufwendiges Screening, das bereits am Gymnasium beginnt. Vor allem Schüler mit guten Noten in Mathematik, Informatik und Physik nimmt der Aman, der Geheimdienst der Armee, ins Visier. „Viele bekommen nicht einmal mit, dass sie gescreent wurden“, erzählt Svet Cohen, Reservistin der Armee. „Sie werden eines Tages zu Hause angerufen und zur Aufnahmeprüfung eingeladen.“

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