Innovationspreis Die spannendsten Innovationen des Jahres geehrt

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Preisträger Großunternehmen: MTU Aero Engines

Egon Behle, Chef des Münchner Turbinenherstellers MTU Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

MTU hat ein Flugzeugtriebwerk entwickelt, das halb so laut ist wie herkömmliche Antriebe und 15 Prozent Sprit spart.

Egon Behle hob mit 14 Jahren zum ersten Mal ab, lange bevor er Auto fahren durfte – in einem Segelflugzeug. Die frühe Leidenschaft fürs Fliegen mündete in einem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik und bestimmte auch Behles berufliche Karriere: Heute ist der 57-Jährige Vorstandschef des Münchner Turbinenherstellers MTU Aero Engines.

In dieser Funktion ist dem Ingenieur klar, dass der Markterfolg moderner Triebwerke vor allem von zwei Kriterien abhängt: Sie müssen sparsamer und leiser werden. Spritschluckende Jets lassen sich nicht mehr wirtschaftlich betreiben, und laute Maschinen bekommen an vielen Flughäfen in Zukunft immer seltener Landegenehmigungen.

Die schnell laufende Niederdruckturbine, die in die neueste Triebwerksgeneration PW 1000G von Pratt & Whitney eingebaut wird, setzt da neue Maßstäbe. Sie reduziert die Lärmentwicklung um die Hälfte und senkt den Verbrauch um rund 15 Prozent. Das spart künftig auf dem Flug von München nach London in einer A320neo eine halbe Tonne Kerosin gegenüber dem Vorgänger A320. Überdies sinken die Instandhaltungskosten um 20 Prozent.

So viel Fortschritt begeistert die Juroren des Innovationspreises. Sie setzten das Triebwerk auf Platz eins in der Kategorie Großunternehmen. Frank Riemensperger, Deutschland-Chef der Unternehmensberatung Accenture, findet große Worte: „Das gleicht einer Revolution für die Luftfahrtindustrie. Profitieren werden davon Hersteller, Kunden und lärmgeplagte Anwohner von Flughäfen gleichermaßen.“

Den Effizienzsprung schaffen die MTU-Ingenieure, indem sie zwischen dem Fan, der vorn die Luft ansaugt und beschleunigt, und der Turbine ein Getriebe schalten. Es ermöglicht, dass Fan und Turbine in einem optimalen Drehzahlbereich arbeiten – der Fan langsam, die Turbine schnell.

In der Flugzeugturbine wird damit die Drehzahl des vorderen Schaufelkranzes von der hinteren Niederdruckturbine entkoppelt, die somit effizienter laufen kann. Die niedrigere Drehzahl des Fans senkt den Verbrauch und das Geräuschniveau.

Als Pratt & Whitney 2005 mit der Entwicklung des Getriebefan-Triebwerks begann, „sah kaum jemand den Bedarf für diese Technologie“, erinnert sich Behle. Jetzt zahlt sich die Weitsicht aus. Denn Fluggesellschaften wie die Lufthansa müssen ständig mehr Geld für Sprit und Lärmschutz ausgeben.

Proteste gegen Fluglärm

Zwar treibt das Dröhnen der Jets Flughafenanwohner schon seit Jahren auf die Barrikaden. Wegen ihrer Proteste müssen inzwischen nachts rund 530 Flughäfen weltweit den Flugverkehr unterbrechen – gut doppelt so viel wie Ende der Neunzigerjahre. Und die Zahl steigt. Am Flughafen Frankfurt protestieren Anwohner gegen die neue, fünfte Landebahn. In Berlin drohen 600 Millionen Euro Mehrkosten für Lärmschutz den Airport-Neubau endgültig unbezahlbar zu machen. In München stoppte die Furcht vor mehr Lärm den Bau der dritten Startbahn ebenso wie in London. In Zürich, Tokio und Los Angeles kämpfen Flughäfen mit ähnlichen Problemen.

Deshalb war das MTU-Flüstertriebwerk auch ein Star der letztjährigen Branchenmesse im südenglischen Farnborough. „Wir haben alle nicht damit gerechnet, dass der Flugzeughersteller Airbus so schnell auf das neue Triebwerk setzen würde“, sagt Behle. „Jetzt werden wir unter anderem die neue A320neo ausrüsten.“

Die Lufthansa hat als eine der ersten Fluggesellschaften 30 neue A320neo bestellt. Für die Schweizer Konzerntochter Swiss orderte sie zudem 30 Maschinen der C-Serie von Bombardier, die ebenfalls mit dem sparsamen Triebwerk ausgerüstet sind.

Obwohl bisher noch kein Flugzeug mit der neuen Antriebstechnik im regulären Linienverkehr fliegt, haben MTU und Pratt & Whitney bereits Aufträge für 3500 Aggregate. „Wenn das zum Entwicklungsstart jemand vorhergesagt hätte, wir hätten es nicht geglaubt“, sagt Behle. Nach Bombardier, Mitsubishi, dem russischen Flugzeugbauer Irkut und Airbus hat sich auch der brasilianische Flugzeughersteller Embraer, der viertgrößte der Welt, für die Technik entschieden.

Vom geplanten Hochfahren der Serienproduktion werden auch die deutschen MTU-Werke profitieren. Für Airbus stellen die Bayern in München erstmals selbst komplette Triebwerke her. In Hannover ist eine Endmontage des PW 1100G geplant.

MTU-Chef Egon Behle, der das Unternehmen Ende 2013 auf eigenen Wunsch verlässt, ist zuversichtlich, dass MTU auch dank des neuen Triebwerks den Umsatz bis 2020 verdoppeln kann – von drei auf sechs Milliarden Euro.

Die Entwickler MTU und Pratt & Whitney sehen ihre Triebwerksfamilie jedoch erst am Anfang. Sie wollen die Technik nicht nur auf die größeren Triebwerke für Langstreckenflugzeuge wie den Airbus A380 übertragen. Sie arbeiten auch an noch leiseren und sparsameren Antrieben.

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