Innovationspreis Sieger Kategorie Mittelstand: Actuator Solutions - Muskeln aus Drahtseilen

Der Mittelständler Actuator Solutions hat Metallfäden mit Gedächtnis entwickelt. Damit schießen Handys schärfere Fotos.

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Schnellerer Fokus, schärfere Bilder – mit intelligenten Mikro-Drähten wollen Markus Köpfer (rechts, CEO Actuator Solutions) und Markus Gebhardt (Vorstand Alfmeier Präzision) den Handymarkt aufmischen. In Kameras von Smartphones spart ihre Technik gegenüber herkömmlichen Lösungen zwei Drittel an Gewicht, außerdem benötigt sie weniger Strom und Platz. Quelle: Dieter Mayr für WirtschaftsWoche

Es klingt wie Science-Fiction: Damit Urlaubsfotos oder Selfies scharf werden, genügt ein Draht. Aber ein besonderer, denn er kann sich wie ein Muskel zusammenziehen und ausdehnen. Etwa drei Mal dünner als ein menschliches Haar ist er, aber stark genug, um eine Tafel Schokolade mehr als eine Million Mal anzuheben. Das ist kein verspäteter April-Scherz, den Draht gibt es wirklich.

Und Markus Köpfer will ihn millionenfach in Handys verbauen. Der 47-jährige Ingenieur ist Geschäftsführer bei Actuator Solutions im fränkischen Gunzenhausen. Der deutsche Autozulieferer Alfmeier Präzision und der italienische Metallspezialist SAES Getters haben das Joint Venture 2011 gegründet. 2013 machte das Unternehmen mit 65 Mitarbeitern schon elf Millionen Euro Umsatz. „In einigen Jahren könnten es mehr als 100 Millionen sein“, hofft Köpfer.

Ermöglichen soll das ein Draht aus einer Formgedächtnislegierung: Je nachdem, wie stark das Metall erhitzt wird, zieht es sich zusammen; kühlt es ab, nimmt es wieder die alte Form an. Der Metallfaden aus Nickel und Titan behält quasi im Gedächtnis, welche Form er einmal hatte. Um ihn zu steuern, genügt es, Strom hindurchzuleiten. Dabei kann er um bis zu sieben Prozent seiner Länge schrumpfen.

Für die teils mikroskopisch kleinen Bauteile in Handykameras will Köpfer den Effekt nutzen, um per Stromimpuls die Kameralinse zu bewegen – und so das Bild scharf zu stellen. Vorteil der Konstruktion: „Unsere Technik ist zwei Drittel leichter, stromsparender und kleiner als die bisher genutzten Elektromotoren“, verspricht Köpfer. Im Herbst will ein Hersteller aus China die ersten Handys mit Gedächtnis-Draht im Objektiv auf den Markt bringen.

Gedächtnismetall in Autositzen

Erster Einsatzort war Daimlers S-Klasse 2005. Quelle: dpa/dpaweb

Die ausgefeilte Technik war nicht der einzige Grund für die Jury, Actuator Solutions mit dem Deutschen Innovationspreis zu prämieren. „Die Juroren hat auch begeistert, wie dem Unternehmen der Technologietransfer vom Autobau in den Smartphone-Markt gelungen ist“, sagt EnBW-Chef und Jurymitglied Frank Mastiaux. Denn unbekannt waren die Fähigkeiten der Gedächtnismetalle bisher nicht.

Vor zwölf Jahren begann der Actuator-Mutterkonzern Alfmeier aus dem bayrischen Treuchtlingen mit dem Metall zu experimentieren, erzählt Markus Gebhardt, Vorstand und Gesellschafter bei Alfmeier. Die Idee: In Autos könnte der Draht die Ventile steuern, über die sich die in Komfortsitzen eingebauten Luftkissen regeln lassen. Sie geben den Passagieren Halt in Kurven und haben eine Massagefunktion.

Erster Einsatzort war Daimlers S-Klasse 2005. Dort arbeiteten zuvor elektromagnetisch gesteuerte Ventile. Die aber waren lauter und nicht so genau wie die Alfmeier-Entwicklung. Und so arbeiten inzwischen mehr als zehn Millionen Ventile mit dem Gedächtnismetall in Autositzen deutscher Premiumhersteller, sagt Alfmeier-Vorstand Gebhardt.

Während Actuator Solutions zehn Millionen Euro in die Anpassung der Technik an die Handywelt steckte, gaben Wettbewerber die Arbeit mit Gedächtnismetallen auf: darunter Fiat, Continental und Bosch. Das habe ihnen einen Vorsprung von zehn Jahren beschert, glaubt Actuator-Chef Köpfer.

Er hat auch schon die nächste Idee, wie er sein Produkt einsetzen will: Bald schon soll der Draht nicht mehr nur Bilder in Handykameras scharf stellen, sondern sie auch stabilisieren, um verwackelte Aufnahmen zu vermeiden.

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