Innovationspreis Wie Unternehmen auf bessere Ideen kommen

Viele Konzerne können beim Finden und Erschließen neuer Geschäftsideen nicht mit Mittelständlern und Startups mithalten. Was die Großen von den Kleinen lernen können.

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Direkt vom Land: Supermarktgründer Dawson umgeht die Handelsketten. Quelle: Haarala Hamilton - Innovation Stuntman

Irgendwann hatte Arthur Potts Dawson, britischer TV-Koch und Restaurant-Betreiber im Norden Londons, genug. Genug davon, dass immer mehr seiner kleineren Lebensmittelzulieferer vor den großen Lieferketten kapitulierten und reihenweise pleitegingen. Denn mit den lokalen Händlern drohte auch das Wissen über regionale Produkte, Bezugsquellen und Zubereitung verloren zu gehen.

Dawson beließ es nicht beim Ärger, sondern beschloss, "den Kreislauf wieder zu schließen und das Nahrungssystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen". Gegen die Marktmacht der Konzerne baut der heute 42-jährige Brite seit drei Jahren eigene Handelswege auf, die von kleinen Betrieben auf dem Land bis in die englische Hauptstadt reichen.

Parallel dazu entwickelte Dawson, ein Neffe von Rolling-Stones-Chef Mick Jagger, ein Geschäftsmodell, das dieses Konzept trägt: den People’s Supermarket. Wer für 25 britische Pfund Mitglied wird, bekommt Rabatt auf die Einkäufe, verpflichtet sich aber, vier Stunden im Monat unbezahlt im Markt zu arbeiten. Dafür bestimmt jedes Mitglied mit, was verkauft wird und woher die Waren bezogen werden. Heute prosperiert Dawsons Laden, getragen von der normalen Kundschaft – und mehr als 1.000 Teilhabern.

Mit seinem Projekt ist der Brite einer von immer mehr unkonventionellen Gründern, deren Startups zuvor unbefriedigte Bedürfnisse stillen. Sie wollen nicht nur Bestehendes durch ein Quäntchen mehr Effizienz oder PS verbessern. Sie schaffen Innovationen, die Menschen begeistern und die über den einfachen Nutzen neuer Produkte oder Technologien hinausgehen.

Deutsche Firmen investieren am meisten in Forschung
Ein Schild mit dem Infineon-Logo Quelle: dpa
Merck Quelle: AP
 In einer Spritzkabine werden die Pflanzen auf rotierenden Tellern durch die Anlage transportiert und mit Wirkstoff besprüht. Quelle: obs
Fahnen mit dem Continental-Logo Quelle: dapd
Das Logo des Softwareherstellers SAP Quelle: dapd
Eine Mitarbeiterin der Bayer Bitterfeld GmbH posiert in Bitterfeld mit einer Aspirintablette des Unternehmens in der Hand Quelle: dapd
Ein Arbeiter montiert im BMW-Werk in Muenchen das BMW-Logo auf eine Motorhaube einer 3er BMW-Karosserie Quelle: dapd

"Gestalter sozialer Systeme" nennen Stefan Scheer und Tim Turiak diesen Schlag mutiger Gründer in ihrem Buch "Innovation Stuntmen". Ihnen bloß weltverbesserische Romantik zu unterstellen greift zu kurz. Hinter jeder Idee stehen tragfähige Geschäftsmodelle. Sie sind nicht nur Vorbild für Startups, sondern auch für Konzerne und deren erstarrte Strukturen, glaubt Alexander Osterwalder. "Große Unternehmen haben das Experimentieren verlernt", sagt der Schweizer Strategieberater, zu dessen Kunden auch der Elektronikkonzern General Electric oder der Konsumgüterriese Procter & Gamble gehören.

Osterwalders Vorwurf an viele Konzerne: Sie sind nicht mehr wirklich innovativ, sondern machen bloß Bestehendes effizienter. "Bahnbrechend Neues entsteht so nicht." Unternehmen brauchten eine "duale Kultur, in der einerseits das bestehende Geschäftsmodell ausgeübt wird und die andererseits Raum für Experimente bietet". Die "Innovation Stuntmen" von Scheer und Turiak meistern das quasi intuitiv.

Blick durch die Kundenbrille

Wie es gelingt, den Blick offen zu halten, statt im Tagesgeschäft betriebsblind zu werden, hat der US-Innovationsberater Rowan Gibson weltweit untersucht. Speziell deutsche Unternehmen, kritisiert er, konzentrierten sich oft "nur auf Produktentwicklung, statt das Spektrum von Kosten-, Management- und Dienstleistungs- bis Geschäftsmodell-Innovation auszuschöpfen".

Das zu ändern ist auch Ziel des Deutschen Innovationspreises, den die WirtschaftsWoche zusammen mit Accenture und Evonik vergibt.

"Lenses of Innovation"

Die besten Bilder der Preisverleihung 2013
Außenansicht Bayerischer Hof Quelle: Nicole Richter
Empfang zur Verleihung des Innovationspreises 2013 Quelle: Nicole Richter
Sabine Neumann und Christoph Großmann Quelle: Nicole Richter
Roland Tichy und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler Quelle: Nicole Richter
Jonglage-Künstler Till Pöhlmann Quelle: Nicole Richter
Tom Buhrow Quelle: Nicole Richter
Die Preisträger des Deutschen Innovationspreises 2013 Quelle: Nicole Richter

Um den Blick zu weiten, empfiehlt Gibson den Unternehmen daher, verschiedene Perspektiven – sogenannte "Lenses of Innovation" – zu nutzen, um Kundenbedürfnisse und Geschäftschancen systematisch neu zu betrachten:

"Der Nutzer ist die Quelle der Innovation", sagt Frank Piller, Professor für Innovationsmanagement an der RWTH Aachen, "vor allem der frustrierte." Das gilt für die Sekretärin und spätere Unternehmerin Bette Nesmith Graham, die Tipp-Ex erfand, ebenso wie für Promi-Koch Dawson.

Von kreativen Kunden und erfahrenen Fachleuten zu profitieren war für Unternehmen noch nie einfacher: Über virtuelle Wissensplattformen öffnen sie ihre Forschungslabore nach außen. Die Web-Site Ideaconnection.com sammelt solche Beispiele: vom Pharma-Konzern Boehringer Ingelheim, der über das Forum Kaggle mehr als 800 externe Wissenschaftler gewonnen hat, um nach einem Algorithmus für die Veränderlichkeit von Molekülen zu forschen. Oder dem Spielzeughersteller Lego, der Bastler auf der Plattform Cuusoo Produktideen veröffentlichen und von der Community bewerten lässt.

Auch die Deutsche Bank nutzt unterschiedliche Wissensquellen. "Man kann Innovation nicht verordnen", sagt Gerlinde Siebert, die den Bereich Product Innovation im Privatkundengeschäft leitet, "aber das Klima dafür schaffen.“" Regelmäßig veröffentlicht das Management auf einer Info-Plattform für Mitarbeiter aktuelle Fragen. Zum Beispiel wie sich Kreditvergabe und soziale Medien miteinander verknüpfen lassen. Und um herauszufinden, wie Finanzprodukte für junge Menschen aussehen sollen, befragen Mitarbeiter die potenziellen Kunden zum Beispiel direkt auf dem Uni-Campus oder in der U-Bahn.

Fachgrenzen sprengen

Lange prägte vor allem in den USA der erfolgreiche Einzelkämpfer das Bild vom Innovator. Doch dieser Champions-Gedanke ist heute überholt. Innovationsforscher Piller beschreibt den modernen Innovator als "Orchestrator", der für das beste Ergebnis verschiedene Experten zusammenbringt.

Fünf Jahre lang erforschte der schwedische Architekt Wilhelmson das Wachstum von Slumgebieten in Ländern der Südhalbkugel. Deren Bewohner leben in teils katastrophalen Hygiene-Verhältnissen. In den Armenvierteln der indischen Millionenmetropole Mumbai etwa kommt auf 500 Einwohner eine öffentliche Toilette. Moderne Abwassersysteme würden illusorische Investitionen erfordern.

Auf der Suche nach Alternativen sammelte Architekt Wilhelmson Forschungsergebnisse, sprach mit Agrarwissenschaftlern und Ingenieuren und entwickelte schließlich ein Produkt namens Peepoo. Es ist eine Art High-Tech-Tütentoilette, die unter anderem Harnstoffpulver enthält, das Krankheitserreger vernichtet. Außerdem ist die Tüte völlig kompostierbar. Löst sie sich auf, entsteht ein wirksamer Dünger.

Erste Feldversuche, um die Produktakzeptanz genauso bei Muslimen in Bangladesch wie bei Nomaden in Somalia zu testen, wurden durch Spenden finanziert. Das Geschäftsmodell für sein Unternehmen Peepeople fand Wilhelmson in der sozialen Wirklichkeit der Slums: Geschulte Verkäuferinnen vertreiben die Tütentoilette nach dem Prinzip der Tupper-Partys. Die Nutzer bekommen Pfand zurück, wenn sie die Tüten an einer der zahlreichen Sammelstellen abgeben. Der Dünger wiederum wird günstig an Bauern verkauft.

Stuntmen unter den Innovatoren

Weder Produkt noch Vertrieb entwickelte Wilhelmson im Alleingang. Er zog Unternehmen wie BASF und Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam oder die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zu Rate. "Innovationen haben nur eine Chance", sagt Buchautor Scheer, "wenn Offenheit besteht, über Fach-, Hierarchie- und Unternehmensgrenzen hinweg."

Glaubenssätze Hinterfragen

Auf Trends zu reagieren und Kundenbedürfnisse zu erfüllen erfordert immer auch die Bereitschaft, Bewährtes hinter sich zu lassen. Und im Extremfall als Unternehmen sogar das Gegenteil von dem zu tun, was man lange erfolgreich gemacht hat: Cola ohne Koffein, Bier ohne Alkohol und Süßigkeiten ohne Zucker verkaufen. Oder Mobilität statt Autos.

"Ihr seid verrückt! Sollten wir uns nicht darauf konzentrieren, Autos zu bauen?" Wolfgang Gruel erinnert sich gut an die Reaktionen auf die Idee zum Carsharing bei Daimler. Vor sechs Jahren entstand dort der Bereich "Business Innovation". Direkt Konzernchef Dieter Zetsche unterstellt und mit der Aufgabe, Wachstumsbereiche neben dem Kerngeschäft aufzuspüren. Der Leihwagen-Dienst Car2Go ist das bekannteste Projekt, das daraus entstanden ist.

Heute ist Gruel Produktmanager bei Daimler Mobility Services, wo auch das Projekt Moovel angesiedelt ist. Eine App für Kunden, die kein Auto mehr brauchen, sondern via Smartphone lieber Alternativen nutzen, vom Leihwagen bis zur Straßenbahn. "Die Frage ist: Will man sein Geschäftsmodell selbst untergraben und an der Zukunft basteln oder es anderen überlassen?", sagt Strategieberater Osterwalder.

Dem Unternehmen Cewe Color ist der Komplettumbau gelungen: Als um die Jahrtausendwende die Digitalfotografie ihren Siegeszug antrat, krempelte der einstige europäische Marktführer der Entwicklung von Filmrollen seine gesamte Wertschöpfungskette um. Heute ist Cewe in Europa Marktführer bei Fotobüchern.

Erfolgsmuster übertragen

Manchmal lassen sich mit bewährten Strategien auch völlig neue Geschäftsfelder erschließen. Fujifilm etwa ist ins Kosmetikgeschäft eingestiegen: Kollagen, einst Hauptbestandteil der heute kaum noch gefragten Fotofilme, pflegt auch die Haut. Was Filme vor dem Verblassen schützte, soll nun gegen Falten wirken.

Und die ehemalige Profi-Volleyballerin Katie Salen hat die Faszination des Spiels auf eine neue Form der Unterrichts übertragen. Mit Spiel- und Bildungsforschern konzipierte sie in New York die neuartige Schule QuestToLearn. Dort stehen zwar auch Mathe, Englisch oder Geschichte auf dem Stundenplan. Gelehrt aber wird nach den Prinzipien des Spiels. Schüler erhalten keine Noten, sondern erklimmen Stufen an Expertise. Lehrer tüfteln den Unterricht mit Spieledesignern aus. Und die Jugendlichen entwickeln zu Lerninhalten eigene Spiele. Sie planen, verwerfen, bauen um – und lernen so den positiven Wert des Scheiterns und dass es nie nur eine Lösung gibt.

Mit Erfolg: Bei den in den USA üblichen Schulvergleichen hat die Schule des Spiels bisher überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Ein Vorbild, sicher auch für die erwachsenen Stuntmen unter den Innovatoren.

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