Keine Industrialisierung ohne Knolle Wie unsere Kartoffel den Fortschritt befeuert hat

Rad, Flugzeug, Glühbirne – als die wichtigsten Innovationen sehen Menschen technische Erfindungen. Dabei ist kein Fortschritt denkbar ohne die Ideenvielfalt bei der Essenszubereitung und die Industrialisierung kaum denkbar ohne die Kartoffel.

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Kartoffeln gibt es nicht nur in blassgelb. Wie ein Gemüse die Welt veränderte Quelle: dpa

Um etwas zu erfinden, benötigt man, wie Thomas Edison einst bemerkte "viel Fantasie und einen großen Haufen Schrott". Von beidem besitzt die Menschheit unerschöpfliche Mengen. Aber was war eigentlich die wichtigste Innovation unserer Geschichte? Man könnte Techniksoziologen oder Wirtschaftshistoriker beauftragen, sich an dieser Frage abzuarbeiten. Der britische Einzelhändler Tesco wählte einen anderen Weg: Er fragte das Volk. In einer Umfrage wollte das Unternehmen 2010 herausfinden, welche Erfindungen die Menschen für am wichtigsten halten.

Auf Platz eins wählten die über 4000 befragten Briten das gute alte Rad. Das Flugzeug belegte Platz zwei, gefolgt von Glühbirne (drei), Internet (vier) und Computer (fünf). Diese Erfindungen auf die vorderen Plätze zu wählen ist noch halbwegs nachvollziehbar, ebenso wie die hohe Wertschätzung für Telefon (sieben) oder Penicillin (acht). Dass jedoch das iPhone (neun) wichtiger ist als die Waschmaschine (dreizehn) kann nur jemand behaupten, der seine Hemden noch nie in einem siedenden Wäschezuber eingeweicht und danach mit bloßen Händen auf einem Waschbrett sauber geschrubbt hat. Es gibt andere derartige Befragungen, und stets schneiden Gadgets und Rechner dabei bestens ab. Das liegt daran, dass der Begriff Innovation für die meisten von uns synonym geworden ist mit Computern und Internet. Doch unser High-Tech-Flitz ist nicht nur Unfug, er ist sogar gefährlich: Unsere Siliziumobsession verstellt den Blick auf viele weitere interessante Erfindungen.

Keine Nahrungsmittel in den Top 100

Tom Hillebrand. (Zum Vergrößern bitte Anklicken)

Unser Essen. Wir sehen seine Existenz als so gottgegeben an wie die von Stühlen oder Streichhölzern. Aber unser Essen war nicht von Anfang an da, wir Menschen mussten es erst erfinden. Die Kombination aus Essen und Erfindergeist hat die Welt auf den Kopf gestellt. Vieles deutet darauf hin, dass dies auch in Zukunft so sein wird. In Tescos Top 100 der Erfindungen kommen keine Nahrungsmittel vor. Was dort seltsamerweise ebenfalls fehlt, ist das Feuer. Mit ihm wollen wir beginnen. Denn erst das Grillen hat uns zu Menschen gemacht.

Zur Person

Vermutlich war es zunächst die Wärme, die uns am Feuer anzog. Nachdem das Feuer seinen Schrecken verloren hatte, begannen wir, es zu domestizieren. Es dürfte bis etwa 125 000 vor Christus gedauert haben, bis sich das On-Demand-Feuer durchsetzte, das sich mit einem Stab oder Bogen jederzeit entfachen ließ. Das gemeinschaftliche Lagerfeuer war geboren. Dank des Feuers bekam Essen nun erstmals eine soziale Komponente. Nun versammelten sich unsere Vorfahren allabendlich, um am sorgsam gehüteten Lagerfeuer ihre Nahrung zuzubereiten.

Der Dinnertalk während dieser frühen Grillabende dürfte spärlich ausgefallen sein, denn die Affenmenschen konnten noch nicht sprechen; ihre Kieferpartien waren dafür zu grob. Erst durch das Weichkochen und Garen der Nahrung wurde der Mahlkiefer überflüssig und machte einer Mundpartie Platz, die uns das Sprechen ermöglichte. Ohne Feuer und ohne Kochen könnten wir folglich mit unseren iPhones nicht viel anfangen.

Die Karotte war nicht immer orange

Die Essensmacher
Antoine ParmentierGeboren 1737 in Montdidier, gewann er 1769 einen Preis für die beste Abhandlung über eine Gemüsesorte, die Brot ersetzen könnte. Sein Vorschlag: Kartoffelanbau. Der Kartoffelpüreeauflauf Hachis Parmentier wurde nach ihm benannt. Quelle: Gemeinfrei
König Ludwig XVI.Der König setzte modische Trends. Einer war eine violette Kartoffelblüte, die er am Revers trug, Gattin Marie-Antoinette trug gar ein Bouquet. Damit verhalfen beide der Kartoffel zu einem bis dahin undenkbar hohen Ansehen. Quelle: Gemeinfrei
Napoleon I.Soldaten müssen essen, auf langen Feldzügen war die Bereitstellung von Nahrungsmitteln eine der größten Herausforderungen. Kaiser Napoleon Bonaparte lobte einen Preis aus für denjenigen, der es schaffte, Speisen haltbar zu machen, damit die Soldaten langfristig versorgt waren. 12 000 Goldfranken betrug das Preisgeld. Die Soldaten mussten oft genug erleben, dass in den Dörfern, an denen sie vorbeikamen, die Lebensmittel knapp wurden. Quelle: Gemeinfrei
Justus von LiebigDie Landwirtschaft verdankt dem 1803 geborenen Chemiker das Superphosphat. Dieses entwickelte er in den Jahren 1846 bis 1849 in seinem eigenen Labor. Noch heute ist diese Art von Phosphatdünger das am häufigsten eingesetzte Düngemittel in der Landwirtschaft, im 19. Jahrhundert verhalf es den Bauern zu deutlich ertragreicheren Ernten. Quelle: Gemeinfrei
Nicolas AppertDas Verb "appertieren" ist dem Nachnamen des Franzosen entlehnt, der 1749 geboren wurde. Der gelernte Konditor beschäftigte sich früh mit der Frage, wie Nahrung haltbar zu machen sei. Einkochen und Einwecken gehen auf sein Konto, 1804 gründete er eine Konservenfabrik, von 1812 an nutzte er Weißblechdosen. Er ist auch der Erfinder der Konservenmilch. Quelle: Gemeinfrei
Daniel Peter Heute ist Bitterschokolade die Schokosorte der Stunde. Kinder aber lieben Milchschokolade, die sie auch dem 1836 geborenen Schweizer zu verdanken haben. Er gilt als ihr Erfinder, wenngleich in Dresden bereits 1839 Ähnliches gelang. Peter experimentierte zusammen mit Henri Nestlé, zunächst mit Milchpulver, doch erst mit Kondensmilch wurde sein Produkt ein Erfolg. Quelle: CHOCOSUISSE, Verband Schweizerischer Schokoladefabrikanten

Man könnte einwenden, Nahrungsmittel ließen sich nicht erfinden. Ein Maiskolben sah stets aus wie ein Maiskolben. Vielleicht haben wir Vegetabilien durch fortwährende Züchtung über die Jahrhunderte etwas widerstandsfähiger oder größer gemacht; aber doch wohl kaum erfunden? Tatsächlich ist alles, was wir essen, irgendwann erfunden worden – und zwar letztlich in der gleichen Weise wie die Dampfmaschine. Praktisch nichts von dem, was wir heutzutage zu uns nehmen, entstammt noch der Natur, auch wenn wir lieber das Gegenteil glauben möchten. Und dabei geht es nicht nur um Fertigpizzas oder Kunstkäse. Die Karotte ist eines der am offensichtlichsten von Menschenhand beeinflussten Nahrungsmittel, das man sich vorstellen kann. Man sieht es ihr an, und zwar wegen des knalligen Orange, in dem sie daherkommt.

Orange für Willem van Oranje

Ursprünglich waren Karotten weiß oder violett. Im 16. Jahrhundert kamen niederländische Pflanzenzüchter jedoch auf die Idee, Prinz Wilhelm I. die Karotte zu widmen, gewissermaßen als vegetabilen Orden für seine herausragenden Leistungen auf dem Gebiet des Katholikenmassakrierens. Die Monarchen-Möhre, welche den Gärtnern vorschwebte, sollte nicht einfach nur den Namen des Herrschers tragen, sondern diesem auch durch ihre Farbgebung huldigen. Wegen Willem van Oranje besitzt die moderne Möhre deshalb ihre unnatürliche Farbe.

Aus

Erstellte man eine Liste der wichtigsten Erfinder der Geschichte, landete auf Platz eins möglicherweise nicht Vint Cerf, der Vater des Internets und auch nicht Henry Ford – sondern Antoine Parmentier, der Wegbereiter der Kartoffel. Verglichen mit der Wirkung der Knolle auf unsere Gesellschaft, nehmen sich die Folgen von iPhone oder Auto geradezu bescheiden aus. Warum? Weil es nicht die Dampfmaschine war, die die Industrialisierung möglich machte. Es war die Kartoffel.

Keiner wollte die Kartoffel

Kolumbus hatte die Knolle mit nach Europa gebracht. Aber zunächst wollte sie niemand essen. Abergläubische Menschen meinten, Kartoffelverzehr führe zu Lepra. Und selbst weniger hysterische Zeitgenossen wie der französische Philosoph Denis Diderot ließen kaum ein gutes Haar an ihr: "Egal, wie man sie zubereitet", schrieb er in seiner "Encyclopédie", "die Wurzel schmeckt nach nichts, außer nach Stärke." Dass sie Krankheiten verursache, hielt er für Unsinn. Aber man könne "sie nicht als Genuss bezeichnen... sie ist für jene, die lediglich am Nährwert interessiert sind." Außerdem dürfe der Kartoffelesser nichts gegen schlimme Blähungen haben, so Diderot. Denn sie sei äußerst "windig".

Frühes Marketing

Die Kartoffelkönige und ihr Reich
Kartoffeln sind wegen einer verspäteten Ernte deutlich teurer geworden. „Die Preise sind so hoch wie seit Jahrzehnten nicht“, sagte Marktanalyst Christoph Hambloch von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) der „Mitteldeutschen Zeitung“. So würden die Erzeugerpreise für Frühkartoffeln bei 65 Euro pro 100 Kilogramm liegen. Vor einem Jahr lagen sie zu dieser Zeit bei 25 Euro. Die Verbraucher in den Supermärkten müssen entsprechend tiefer in die Tasche greifen. Nach AMI-Erhebungen kostete ein Kilogramm Ende Juni im Schnitt 1,42 Euro - 50 Prozent mehr als vor einem Jahr. Der Grund: Wegen des kalten und nassen Wetters im Frühjahr wurden die Knollen verspätet gepflanzt. Die Ernte läuft jetzt erst an.Werfen Sie im Folgenden einen Blick auf den deutschen Kartoffelmarkt: Quelle: dpa
37700 Kartoffelbauern ernteten 2012 in Deutschland 10,6 Millionen Tonnen Kartoffeln, rund zehn Prozent weniger als im Vorjahr. Die Anbaufläche schrumpfte um acht Prozent. Quelle: dpa
56 Prozent der Kartoffeln stammen aus Niedersachsen. Allein die Kartoffel verarbeitenden Betriebe in Deutschland wie etwa Hersteller von Pommes frites und Chips setzten 2012 rund 1,6 Milliarden Euro um. Quelle: dpa
Zwei Kartoffelzüchter beherrschen fast die Hälfte des Marktes: Rund 40 Prozent des deutschen Saatguts stammen aus Züchtungen von Norika und der Böhm-Gruppe. Gemeinsam mit Nordkartoffel betreibt Böhm die Firma Europlant, die Saatgut bei Züchtern einkauft und an die Bauern verkauft. Quelle: dpa/dpaweb
Die Kartoffelprinzessin Manuela Rippin Quelle: dpa
3,5 Millionen Tonnen der jährlichen Kartoffelernte wird zu Chips, Pommes oder Flocken verarbeitet. 3,0 Millionen Tonnen gehen in die Stärkeindustrie, wo sie zu Kleister, Nahrungshilfsstoffe oder pharmazeutischen Produkten weiter verarbeitet werden. 1,7 Millionen Tonnen gehen für den Frischverbrauch in den Einzelhandel. 0,6 Millionen Tonnen werden als Pflanzkartoffeln verwendet. Quelle: Invision for Ruffles
Deutschland exportierte 2012 rund 1,9 Millionen Tonnen Kartoffeln ins Ausland. Mit 1,1 Millionen Tonnen wird davon ein Großteil in die Niederlande verkauft. Quelle: dpa

Für ein völlig neuartiges, optisch wenig ansprechendes Produkt war das eine Menge schlechte Publicity. Es sah bereits so aus, als ob der Neuerwerb aus Amerika ein Flop würde. Doch dann kam Parmentier. Der französische Pharmazeut hatte sich schon seit Längerem mit dem Nährwert von Gemüsen beschäftigt. Dass er jedoch den der Kartoffel kennen- und schätzen lernte, war keine ganz freiwillige Entscheidung. Der Militärapotheker geriet 1756 in preußische Kriegsgefangenschaft. Internierten feindlichen Soldaten pflegte man schlimmsten, praktisch ungenießbaren Schweinefraß vorzusetzen – und das war damals vor allem die nach landläufiger Meinung für den menschlichen Verzehr ungeeignete Kartoffel. Wochenlang setzten die Preußen Parmentier auf Knollendiät. Dabei stellte der Apotheker fest, dass die Kartoffel weitaus weniger übel war, als ihr Ruf, im Gegenteil: Obwohl der Franzose sich fast ausschließlich von Kartoffeln ernährte, konnte er keinerlei körperliche Mangelerscheinungen feststellen.

Am 20.Juni erschient Hillebrands neuster Krimi. (Zum Vergrößern bitte Anklicken) Quelle: PR

Kaum heimgekehrt, machte er sich daran, die Kartoffel neu zu erfinden. Damals wie heute lösen Innovationen in der Regel nur dann Revolutionen aus, wenn sie mit guter PR-Arbeit für das noch unbekannte Produkt einhergehen. Antoine Parmentiers Kartoffelmarketing taugt da bis heute als Lehrbuchbeispiel: Der Apotheker veranstaltete VIP-Kartoffeldinner für die Pariser High Society, um seinem Produkt mehr Glamour zu verleihen. Der Apotheker kreierte zudem das wohl erste Testimonial der Wirtschaftsgeschichte: König Louis XVI. bürgte für die neue Speise, indem er eine violette Kartoffelblüte am Revers trug, auch seine Gattin Marie-Antoinette zeigte sich mit einem Bouquet. Die Kartoffel wurde so in Versailles zum letzten Schrei.

Die ersten Raubkopierer

Nachdem er den Hochadel in der Tasche hatte, wandte sich Parmentier dem weitaus renitenteren gemeinen Volk zu, das sich der Knolle immer noch standhaft verweigerte. Er versuchte, den Bauern den Mund wässrig zu machen, und setzte dazu auf eine Mischung aus Geheimniskrämerei und Indiskretion, wie sie Steve Jobs kaum besser hätte inszenieren können: Außerhalb von Paris ließ Parmentier Kartoffelfelder anlegen. Tagsüber wurden diese von Soldaten bewacht, was die Bevölkerung annehmen ließ, dort befinde sich etwas Wertvolles. Nachts zogen die Truppen ab. Die Bauern schlichen sich im Schutze der Dunkelheit auf die Felder und stahlen die Knollen. Und siehe da: Geklaut schmeckten sie viel besser. Parmentier hatte diesen Mundraub einkalkuliert. Mehr noch: Er wusste, dass die Knolle sich bei steigender Nachfrage rasant verbreiten würde, so rasch wie heutzutage das Viralvideo einer tanzenden Katze. Denn Kartoffeln sind ein bisschen wie Daten: Sie lassen sich beliebig oft kopieren. Die diebischen Bauern taten genau das. Aus den Mundräubern auf den Kartoffelfeldern wurden so die ersten Raubkopierer.

Innovationen benötigen häufig eine komplementäre Technologie, die ihnen nach der ersten Initialzündung eine rasante Verbreitung sichert – im Falle des Internets erfüllte der Web-Browser diese Funktion, beim Auto war es die asphaltierte Straße. Die Komplementärtechnologie zur Kartoffel war der Guano. Vogelkot, das klingt aus heutiger Sicht nicht nach High Tech. Doch als der Deutsche Justus Liebig die erntesteigernde Kraft des Guano im Jahr 1840 entdeckte, war Kunstdünger noch unbekannt. Das feinkörnige Gemenge aus verschiedenen Phosphaten und Nitraten ließ Pflanzen explosionsartig wachsen, viel schneller als andere natürliche Dünger.

Die Kartoffel machte Weltreiche

Wo es Essen ohne Gentechnik gibt
Verbraucher wollen keine Gentechnik. Etwa 83 Prozent der deutschen Verbraucher lehnen nach einer Forsa-Umfrage (Juni 2012) gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Ein Grund, warum es hierzulande kaum Lebensmittelhersteller gibt, die Zutaten aus Gen-Pflanzen direkt verarbeiten. Nicht ganz so erfreulich schaut es hingegen bei tierischen Artikeln wie Fleisch, Eiern und Milch aus, denn 80 Prozent der Gen-Pflanzen landen am Ende im Tierfutter. Quelle: dpa
Die Umweltorganisation Greenpeace präsentiert in ihrer neuen Broschüre „Essen ohne Gentechnik“ die Ergebnisse einer spannenden Untersuchung. Die Experten haben getestet, ob Markenhersteller bei tierischen Produkten Gen-Pflanzen im Tierfutter einsetzen und zeigen, welche Supermarktketten auf Produkte ohne Gentechnik setzen. Quelle: dpa
Platz 1: AlnaturaDer südhessische Bio-Händler Alnatura schneidet am besten ab. Hier werden nur Produkte aus biologischer Produktion verkauft, die frei von Gentechnik sind. Die Naturkostkette vertreibt auch Bio-Lebensmittel unter einer eigenen Marke, die auch in Partnerschaft mit anderen Händlern wie dm, Tegut und Budni verkauft werden. In der ökologischen Landwirtschaft sind Gentechnik in Lebensmitteln oder im Tierfutter sowie chemisch-synthetische Spritzmittel tabu. Auch die Tierhaltung erfolgt nach strengeren Kriterien und Kontrollen. Quelle: dpa
Platz 1: DennreeDer Bio-Großhändler Dennree, der seinen Hauptsitz im Nordbayrischen Töpen hat, teilt sich den ersten Platz mit Alnatura und setzt ebenfalls keine Gen-Pflanzen ein; auch in der Tierfütterung nicht. Mit einem Umsatz von 420 Millionen Euro hat Dennree im vergangenen Jahr ein zweistelliges Wachstum von 12,8 Prozent erreicht. Das 1974 gegründete Unternehmen gilt als Bio-Pionierunternehmen und startete damals mit vier Bio-Milchprodukten in den Handel. Inzwischen sind täglich gut 200 firmeneigene Lkws unterwegs, um über 1.300 Naturkostfachgeschäfte in Deutschland, Österreich, Luxemburg und Südtirol/Italien mit inzwischen über 11.000 Artikeln zu beliefern. (Foto: Dennree GmbH) Quelle: PR
Platz 2: TegutDie deutsche Supermarktkette Tegut legt viel Wert auf Bio-Ware und Produkte ohne Gentechnik. Kunden, die in einem Tegut-Markt einkaufen, erkennen das an dem Logo auf den Produkten. Die Firma hat als erste Kette ihre Eigenmarken bei Milch, Sahne, Schmand und Joghurt mit dem „Ohne Gentechnik“-Siegel ausgezeichnet und betreibt sogar eine eigene Fleischerei für Schweineprodukte. Unter der Eigenmarke „LandPrimus“ garantiert Tegut eine gentechnikfreie Fütterung. Andere Eigenmarken, bei deren Herstellung auf Gentechnik verzichtet wird, sind „tegut...Bio“, „Herzberger Bäckerei“ und „Rhöngut“. Außerdem alle Eiermarken. Quelle: dpa
Platz 3: Aldi NordBio-Lebensmittel vom Discounter sind beliebt und müssen nicht mehr teuer sein. Inzwischen gibt es auch bei Aldi eine Menge Natur-Lebensmittel. Im Greenpeace-Ranking landet Aldi Nord auf dem dritten Platz, weil der Konzern seit zehn Jahren bei der Geflügelfütterung auf Gentechnik verzichtet. Nur bei Schweine- und Rindfleisch könnte das Engagement wohl noch etwas mehr sein. Mit „Gut Bio“ bietet Aldi Nord eine Eigenmarke an, bei deren Herstellung auf den Einsatz von Gentechnik verzichtet wird - das gilt auch für alle Eiermarken. Bei Hähnchen- und Putenfleisch sind es die Marken „Bauernglück“ und „Farmfreude“. Quelle: dpa
Platz 4: Aldi Süd Identisch sieht es bei dem Discounter Aldi Süd aus, der ebenfalls mit zusätzlichen Bio-Produkten mehr Kunden in seine Filialen locken will. Vor zehn Jahren hat sich das Unternehmen bei der Geflügelfütterung von Gentechnik verabschiedet. Nachholbedarf besteht jedoch noch bei Schweine- und Rindfleisch. Aldi Süd hat mit der Eigenmarke „bio“ ein garantiert gentechnikfreies Produkt im Regal. Außerdem sind alle Eiermarken gentechnikfrei. Quelle: dpa

Und so stellte die Kombo aus Knolle und Kot die Welt auf den Kopf. Von 21 Millionen Hektolitern im Jahr 1815 stieg die französische Kartoffelernte bis 1840 um über 400 Prozent auf 117 Millionen. Die Nahrungsmittelproduktion Europas verdoppelte sich. Dank der Kartoffel wurden die Europäer erstmals seit über 1000 Jahren satt. Nur dank ihr war in der Folge die Industrialisierung möglich, nur dank ihr konnten England und Frankreich im 19. Jahrhundert zu Großmächten aufsteigen. Friedrich Engels nannte die Kartoffel deshalb "den wichtigsten aller Rohstoffe, die eine geschichtlich umwälzende Rolle spielten".

Mais mit Features

Doch die nächsten Umwälzungen sind bereits voll im Gang. Es könnten gewissermaßen die Basistechnologien des Lebensmittelmarktes sein, die sich demnächst grundlegend verändern. Um beim Vergleich mit digitalen Innovationen zu bleiben: Was in den kommenden 10 bis 15 Jahren in der Lebensmittelbranche ansteht, ist so grundlegend wie der Wechsel vom Akkustikoppler zum DSL-Anschluss. In den USA wurde im vergangenen Jahr erstmalig ein neuartiger Mais namens Smartstax gepflanzt. Das vom Agrotechkonzern Monsanto genetisch modifizierte Getreide ist mit nicht weniger als acht sogenannten "Events" bestückt, Resistenzen gegen Unkraut, Schädlinge oder zu hohe Feuchtigkeit. Wenn der Landwirt etwas benötigt, kann man Features hinzufügen.

Neue Features? Klingt ein bisschen nach Softwareindustrie. Der Smartstax-Mais funktioniert nach demselben Prinzip. Die Basistechnologie ist seit inzwischen über einem Jahrzehnt auf dem Acker, das Genom ist im Rechner. Weitere Addons und Plugins zur Pflanze hinzuzufügen ist ein Kinderspiel. Nur nicht in Europa. Hier gibt es massive Vorbehalte gegen genetisch veränderte Organismen (GMOs). Auch wenn uns das vielleicht nicht schmeckt: Europa könnte zum Schluss nichts anderes übrig bleiben, als die Waffen zu strecken. Denn durch die GMO-Revolution wird sich unser Essen radikal verbilligen.

Billigeres Fleisch zu produzieren ist auch das Ziel von Mark Post. Sollte der Forscher von der Universität Maastricht erfolgreich sein, könnte das die Lebensmittelbranche ebenfalls umkrempeln. Post züchtet In-Vitro-Fleisch, in der Petrischale wachsende Muskelmasse. Bisher sind es nur kleine graue Brocken, die in rosafarbener Lösung schwimmen. Ob diese Fleischkulturen jemals wie echte Steaks aussehen (und schmecken) werden, ist noch ungewiss. Retortenfleisch mag uns heute widerlich erscheinen. Sieht man jedoch von dessen kulinarischer Fragwürdigkeit ab und betrachtet die wirtschaftlichen Faktoren, dann erscheint es vorstellbar, dass solches Frankensteinfleisch eine der Lebensmittelrevolutionen der nicht allzu fernen Zukunft ist. Analog-Chicken-Nuggets mögen uns heute noch widerlicher erscheinen als den französischen Bauern vor 300 Jahren die Kartoffel. Aber vielleicht wartet das Zuchtfleisch nur auf einen cleveren Unternehmer, der es zum revolutionären neuen Produkt macht. Mit dem richtigen Marketing – oder mit der richtigen Panade.

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