Kernfusion Wer baut das erste Fusionskraftwerk?

Versuchsreaktor Jet in Großbritannien: Atome verschmelzen in einem viele Millionen Grad Celsius heißen Plasma (Illustration). In Zukunft sollen Kraftwerke damit Strom erzeugen. Quelle: UKAEA

Forscher melden einen beachtlichen Rekord bei der Kernfusion – und möchten Mitte der 2030er Jahre erstmals ein Kraftwerk simulieren. Start-ups wie Marvel Fusion aus München wollen schneller sein. Doch dafür müssen sie einige harte Probleme lösen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Das Experiment dauerte nur fünf Sekunden, doch für die Forscher am Versuchsreaktor Jet im britischen Culham bei Oxford ist es ein Durchbruch, auf den sie knapp 25 Jahre lang gewartet haben. Wie ein internationales Forscherteam am Mittwoch bekannt gab, hat der britische Fusionsreaktor einen neuen Rekord aufgestellt: Bei einem Experiment setzte er binnen kurzer Zeit einen Energieimpuls von 59 Megajoule frei – und verdoppelte damit einen Wert, den er schon im Jahr 1997 erreicht hatte.

Die entstandene Energie entspricht zwar nur der Leistung eines großen Windrads. Dennoch feiern die Forscher den Testlauf, der Ende 2021 stattgefunden hat, als Meilenstein. „Wir können damit zeigen, dass die Fusionsforschung große Fortschritte gemacht hat“, sagt Christian Linsmeier, Leiter des Jülicher Instituts für Plasmaphysik, dessen Forscher am Jet-Projekt beteiligt sind.

Nahezu unendlich saubere Energie

Kernfusion gilt als eine mögliche Lösung für die Energiekrise der Menschheit. Mit ihr entsteht heute schon permanent Energie – im Innern der Sonne. Dabei verschmelzen zwei Atomkerne zu einem – in der Sonne wird so aus Wasserstoffatomen Helium. Die Masse, die dabei verloren geht, wird in gewaltige Mengen Energie umgewandelt.

Forscher wollen das Prinzip nutzen, um in Kraftwerken auf der Erde Wärmeenergie und damit über Wasserdampf in Turbinen Strom zu erzeugen. Ein Kilogramm Fusionsbrennstoff enthält das Zehnmillionenfache an Energie im Vergleich zu einem Kilogramm Kohle oder Öl. Ein Fusionskraftwerk bräuchte im Jahr nur wenige hundert Kilogramm Brennstoff, würde keine Klimagase ausstoßen und rund um die Uhr Strom erzeugen.

Dieser Vision gehen inzwischen mehrere Dutzend Start-ups nach, die schon Ende des Jahrzehnts die ersten kommerziellen Reaktoren in Betrieb nehmen wollen, darunter etwa TAE Technologies in Kalifornien, Commonwealth Fusion Systems in Cambridge (USA) oder General Fusion in Kanada. Sie haben namhafte Investoren wie Microsoft-Gründer Bill Gates und Amazon-Gründer Jeff Bezos überzeugt und zuletzt mehrere Milliarden Dollar Wagniskapital eingesammelt.

Lesen Sie auch: Wie privat finanzierte Kernfusion die Energieprobleme der Menschheit lösen soll

Auch Marvel Fusion aus München hat vor wenigen Tagen eine erfolgreiche Finanzierungsrunde über 35 Millionen Euro bekannt gegeben. „Unser Ziel ist, in den nächsten zehn Jahren die Kommerzialisierung der Fusionsenergie zu demonstrierten“, sagt Heike Freund, Chief Operation Officer bei Marvel Fusion. 

Marvel-Managerin Heike Freund Quelle: PR

Schon oft haben Forscher versprochen, dass die Fusionsenergie bald reif sei – so oft, dass es in Wissenschaftskreisen schon ein geläufiger Scherz ist, Fusionskraftwerke lägen immer 30 Jahre in der Zukunft.

Noch ist die Energiebilanz im Minus

Doch die Gründer glauben, dass die nötigen Teile für den praktischen Einsatz der Technologie nun endlich zusammenkommen. „Die Erfolgsmeldungen aus der Wissenschaft und dem privaten Sektor häufen sich“, sagt Marvel Fusion-Managerin Freund. „Die Fusionsenergie ist wahrscheinlich deutlich näher, als wir das bisher alle dachten.“

Die Herausforderung besteht darin, zwei Atomkerne, die sich naturgemäß stark voneinander abstoßen, miteinander zu verschmelzen. Dazu müssen die Forscher erst einmal große Mengen Energie einbringen – und den Brennstoff auf extreme Temperaturen erhitzen und mitunter hohe Drücke erzeugen, wie sie sonst nur im Innern von Sternen herrschen. 

Gelingt die Verschmelzung, kann die Fusionsreaktion am Ende erheblich mehr Energie erzeugen, als eingespeist werden muss. Der Jet-Reaktor in Großbritannien, ein sogenannter Tokamak, konnte das zwar noch nicht erreichen, aber immerhin nun zeigen, dass die Fusion im Prinzip funktioniert und in größerem Stil getestet werden kann. 

Jet nutzt als Brennstoffe Deuterium und Tritium, zwei Varianten von Wasserstoff. In einer Vakuumkammer geformt wie ein Schwimmreifen wird das Gas stark erhitzt. So entsteht ein Plasma, in dem die Elektronen sich frei zwischen den Atomen bewegen können.

Der Jet-Reaktor Quelle: UKAEA

Eine Schwierigkeit besteht darin, das Plasma stabil und heiß zu halten – darum darf es etwa nicht die kühleren Reaktorwände berühren. Die Forscher nutzen gewaltige Magnetspulen, um das heiße Plasma in der Schwebe zu halten und wie in einem unsichtbaren Käfig einzusperren.

Beim jüngsten Versuch erreichte der Jet-Reaktor Temperaturen von 150 Millionen Grad Celsius. Dafür mussten die Forscher die bisherige Reaktorwand, gefertigt aus Kohlenstoff, austauschen. „Es kam zu chemischen Wechselwirkungen, die Wand ist erodiert“, sagt Forscher Linsmeier. Stattdessen ist nun eine metallische Wand aus Beryllium und Wolfram eingebaut.

Mit dem Superlaser Atome verschmelzen

Die Gründer von Marvel Fusion aus München wollen einen anderen Weg gehen als die Tokamak-Forscher: Sie nutzen extrem energiereiche Laserimpulse, nur Sekundenbruchteile lang, um die Fusion von Atomen anzutreiben. „Wir schießen mit dem Laser auf ein Treibstoffkügelchen“, sagt Managerin Freund. Der Treibstoff besteht, anders als beim Tokamak-Verfahren, aus Protonen und Bor.

Andere Forscher sehen diesen Ansatz jedoch kritisch. „Die Wahrscheinlichkeit, dass genug Reaktionen stattfinden, ist bei der Verschmelzung von Protonen mit Bor-11-Kernen um den Faktor 100 geringer als bei Deuterium und Tritium“, sagt der Jülicher Forscher Linsmeier. „Es braucht viel höhere Temperaturen oder Drücke – das ist schwer zu bewerkstelligen.“

Marvel Fusion will das Problem mit einer neuartigen Nanotechnik lösen, mit der der Treibstoff auf atomarer Ebene speziell strukturiert wird. „Damit können wir sehr effizient die Laserenergie in die Treibstoffkügelchen einbringen und dadurch die Fusion anregen“, sagt Managerin Heike Freund. So sollen die Temperaturen gesenkt werden, bei denen die Fusion in Gang kommt. 

Das Start-up baut auf Fortschritten in der Laserforschung auf, vor allem einer Technik namens Chirped Pulse Amplification, mit der Laserimpulse von sehr hoher Intensität erzeugt werden können. Für die Entdeckung haben die Wissenschaftler Donna Strickland und Gérard Mourou im Jahr 2018 den Nobelpreis erhalten. Mourou ist nun wissenschaftlicher Berater bei Marvel Fusion.

So stellen sich die Gründer von Marvel Fusion die Energiegewinnung der Zukunft vor: Herzstück ist ein Fusionsreaktor, den es noch zu entwickeln gilt. Quelle: PR

Von der Theorie in die Praxis ist es noch ein weiter Weg. „Ein Laser, wie wir ihn brauchen werden, ist noch nie gebaut worden“, sagt Freund. „Aber jede einzelne Komponente, die dafür nötig ist, wurde schon experimentell nachgewiesen.“ Im vergangenen Herbst konnten Forscher des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien einen Erfolg mit Lasertechnik vermelden, bei dem ein Fusionsreaktor 70 Prozent der eingespeisten Energie wieder lieferte.

Siemens und Trumpf machen mit

Auch das Marvel-Fusion-Team führt Experimente an Versuchsanlagen in den USA und Japan durch. Für die Weiterentwicklung der Lasertechnologie haben die Gründer vor wenigen Tagen Partner aus der Industrie gewonnen: Der Energiekonzern Siemens Energy will Marvel Fusion beim Kraftwerksbau unterstützten, der Laserspezialist Trumpf bei der Entwicklung der Lasertechnologie.

Dennoch gehen die Meinungen darüber auseinander, wie aussichtsreich der Ansatz von Marvel ist. So stieg im Jahr 2020 nicht nur Investor Skion von BMW-Erbin Susanne Klatten aus dem Start-up aus, sondern auch der damalige Chefwissenschaftler Markus Roth, der inzwischen mit einem eigenen Start-up, Focused Energy in Darmstadt, eine andere Technologie weiterentwickelt.

Auch an den ambitionierten Zeitplänen der Fusions-Start-ups weltweit hegen Forscher Zweifel. Wenn viele Milliarden Dollar teure Forschungsprojekte jahrzehntelang keinen Fusionsreaktor bauen konnten – warum sollten es kleine Unternehmen in weniger als zehn Jahren schaffen?

„Wir gehen viele Aufgaben parallel an, haben starke Partner und setzen auf neueste Fortschritte in der Wissenschaft auf“, sagt Managerin Freund. Im Jahr 2028 will das Start-up einen Demonstrationsreaktor in Betrieb nehmen und beweisen, dass die laserbasierte Fusion funktioniert. 

Ein Gigawatt auf einem Fußballfeld

Für den kommerziellen Start dürften Start-ups wie Marvel Fusion hunderte Millionen oder Milliarden Euro an Kapital benötigen. Und selbst wenn die Technologie marktreif werden sollte, müsste sich noch zeigen, ob es auch einen Markt für die Technik gibt. 



Solarkraftwerke werden schließlich immer preiswerter und sind heute schon die preiswerteste Form der Energieerzeugung. Preislich werde Marvel Fusion mithalten können, versichert Heike Freund, vor allem, wenn Solarstrom aus dem Süden etwa nach Deutschland transportiert und gespeichert werden müsse.

Fusionskraftwerke dagegen könnten rund um die Uhr arbeiten – und bräuchten erheblich weniger Platz als die Solarenergie. „Fusionskraftwerke können auf der Größe eines Fußballfelds ein Gigawatt herstellen“, sagt Freund. So viel wie ein großes Kohlekraftwerk also. „Große Industrieunternehmen könnten massenhaft preiswerte Energie direkt vor der Haustür erzeugen.“

Iter soll erst ab 2035 starten

Die Forscher der Jet-Reaktors, der gerade den Energie-Weltrekord gebrochen hat, geben sich deutlich konservativer. Sie hoffen erst einmal auf den deutlich größeren Nachfolger, den internationalen Fusionsforschungsreaktor Iter, der gerade in Frankreich gebaut wird.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Iter, wohl um die 22 Milliarden Dollar teuer, soll 2025 den Forschungsbetrieb aufnehmen. Erst zehn Jahre später, 2035, soll er die volle Leistung erbringen – und dann zeigen, dass Fusionskraftwerke im Prinzip funktionieren. „Iter ist darauf ausgelegt, minutenlang zehnmal mehr Energie zu erzeugen als man für den Betrieb braucht“, sagt der Jülicher Forscher Linsmeier.

Strom erzeugen könnte Iter, ein bloßer Forschungsreaktor, dann immer noch nicht. Ein funktionsfähiges Kraftwerk müssten die Ingenieure daraus erst noch entwickeln.

Mehr zum Thema: Verpönte Branchen wie Atomkraft, Öl, Waffen oder Tabak bieten Anlegern enorme Kurschancen – sofern sie die richtigen Papiere kaufen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%