Kernkraft Das lukrative Geschäft mit dem Atomausstieg

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3000 Tonnen radioaktiver Abfall

Während dieser Nachbetriebsphase, die bis zu fünf Jahre dauert, kann er bereits Gebäude und Anlagen außerhalb des Reaktors abbauen, die nie mit Strahlung in Kontakt geraten sind, etwa die Turbinen für die Stromerzeugung. Dabei anfallende Betonreste werden zerkleinert und dienen etwa als Schotter im Straßenbau, Metalle werden eingeschmolzen und wiederverwandt. Im Fall des Kraftwerks Stade nahe Hamburg, dessen Abriss bereits weitgehend abgeschlossen ist, waren das rund drei Fünftel der insgesamt fast 330.000 Tonnen Rückbaumasse. All das ist technisch wenig anspruchsvoll.

Herausfordernder sind die nächsten vier Phasen des Rückbaus, in denen es um die nuklearen Bereiche geht. In Stade dauerte deren Demontage rund zehn Jahre. Der Betreiber, die E.On Kernkraft, erwartet, dass am Ende 3000 Tonnen radioaktiver Abfall übrig bleiben, der extra gelagert werden muss – weniger als ein Prozent der gesamten Anlage.

Noch aktive und abgeschaltete Kernkraftwerke in Deutschland.

Damit es nicht viel mehr Strahlenmüll wurde, mussten die Arbeiter viele Tausende Tonnen an Rohren, Baumaterial und Maschinen so dekontaminieren, dass ihnen keine Radioaktivität mehr anhaftete. Während der gesamten Zeit musste das Reaktorgebäude überwacht und klimatisiert, die Luft gefiltert werden, damit keinerlei Strahlung die massive Schale aus Beton und Stahl verlässt.

In der zweiten und dritten Phase schaffen die Arbeiter im Inneren des kuppelförmigen Gebäudes Platz, in dem sie etwa große Wasserbehälter, die zur Kühlung dienten, demontieren oder die Führung der Brennstäbe. Mit einem mehrstufigen Reinigungsverfahren beseitigen sie anhaftende strahlende Partikel. Etwa mit Hochdruckreinigern, die radioaktive Stoffe mit einem enormen Druck von 3000 bar von der Oberfläche spülen, 30-mal mehr, als Geräte aus dem Baumarkt für die heimische Terrasse leisten. Oder sie schießen Stahlkies, eine Art Granulat aus Metall, mit fünf Bar auf die Oberfläche. Das Trommelfeuer fegt die obersten Schichten kontaminierter Bauteile restlos weg. Oder sie tauchen Gegenstände in ein Säurebad, die aggressive Chemikalie entfernt die oberste Schicht. In Würgassen und Stade kratzten patentierte, ferngesteuerte Betonfräsen des Baukonzerns Hochtief verstrahltes Oberflächenmaterial wie Butter ab.

Erst wenn ein Bauteil nach wiederholten Messungen nicht mehr strahlt, darf es entsorgt werden. Sonst muss es erneut den Dekontaminationskreislauf durchlaufen. Eine Sisyphusarbeit, die noch immer personalintensiv ist und Jahre dauert.

Erst in Deutschland, dann in der Welt

Je weiter sich die Arbeiter in der vierten Phase zum Reaktordruckbehälter, dem Herzstück eines Kernkraftwerks, vorkämpfen, desto mehr nimmt die Radioaktivität zu. Hier sind die Bauteile nicht mehr nur verschmutzt, sondern strahlen selbst. Irgendwann wird es für Menschen zu gefährlich. Deshalb müssen Maschinen die Komponenten zerlegen, die dann ins Endlager wandern. Ferngesteuerte Greifer halten die Rohre, Pumpen und Armaturen, mit Hochdruck-Wasserstrahlen oder mit Plasma, einem extrem heißem Gas, werden sie zerlegt.

Die Atomklagen der Energiekonzerne

Diese Geräte liefert etwa die hessische Nukem Technologies, eine Tochter der russischen Rosatom-Holding. Die Demontagen im Herz der Anlage laufen unter Wasser ab, das die Strahlung dämpft – was die Arbeiten aber noch schwieriger macht.

Die zerkleinerten schwach- und mittelradioaktiven Schrotte lassen sich dann vor Ort in mobilen Öfen zu kompakten Blöcken einschmelzen, wie sie die hessische ALD Vacuum Technologies baut. Der Vorteil: weniger Atommülltransporte.

Sind die am stärksten strahlenden Komponenten demontiert, beginnt die fünfte und letzte Phase. Arbeiter entfernen die letzten Bauteile, die bis zuletzt gebraucht wurden, etwa Kräne oder Lüftungsanlagen. Dann können sie die Gebäude abreißen.

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