Kleinste Veränderungen werden messbar „Radarsatelliten könnten illegale Rodungen verhindern“

Alberto Moreira ist Direktor des Instituts für Radartechnik und Hochfrequenzsysteme des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Quelle: Presse

Mit Radarsatelliten lassen sich Erdverschiebungen millimetergenau beobachten. Radartechnik-Experte Alberto Moreira erklärt, ob dadurch der Dammbruch in Brasilien vorhersehbar gewesen wäre – und wie illegale Rodungen im Amazonas verhindert werden können.

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Die Erde ist ständig in Bewegung, sie hebt und senkt sich. Das kann natürliche Gründe haben, aber auch menschengemacht sein. Die möglichen Folgen: Erdrutsche, einstürzende Brücken oder sogar eine versinkende Stadt, so wie Indonesiens Hauptstadt Jakarta. Nicht selten sterben bei diesen Ereignissen Menschen. Doch mittlerweile gibt es kleine Helfer im All: die Radarsatelliten. Mit ihnen lassen sich Erdverschiebungen sogar millimetergenau beobachten. Alberto Moreira ist Direktor des Instituts für Radartechnik und Hochfrequenzsysteme des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und erklärt, was mit der Technik bereits möglich ist.

WirtschaftsWoche: Herr Moreira, vor einem Jahr brach in Brasilien nahe der Kleinstadt Brumadinho ein Staudamm ein. Hätte man dieses Unglück mittels Satellitenüberwachung verhindern können?
Alberto Moreira: Mit dem heutigen Stand der Technik und mit den verfügbaren Satelliten nicht. Die derzeitigen Satelliten fliegen nicht so häufig über ein Gebiet hinweg, wie wir das gerne hätten. Um einen solchen Dammbruch vorherzusagen, bräuchte man idealerweise mehrere Aufnahmen am Tag. Denn nur dann kann man eine Veränderung in den Bildern mit der geforderten Auflösung sehen. Derzeit fliegen die Satelliten nur alle zwei bis sechs Tage über die gleiche Position. Das ist zu wenig, um solche Unfälle und Katastrophen vorherzusehen. Zudem gibt es keine Dienstleister, die alle gefährdeten Gebiete in einem Land wie Brasilien kontinuierlich beobachten.

Aber theoretisch hätte man zumindest ein Absinken des Dammes auf den Radarbildern erkennen können?
Ja, mit Radarsatelliten kann man sogar Verschiebungen im Millimeterbereit beobachten. Und das aus 600 Kilometern Entfernung! Das kann hilfreich sein, um etwa Erdrutsche, Vulkanausbrüche oder Erdbeben vorhersagen zu können. Es geht allerdings um die Abschätzung der Gefahr eines solchen Ereignisses, eine Vorhersage des genauen Zeitpunkts ist sehr schwierig.

Wie werden die Satelliten denn bereits eingesetzt?
In Europa laufen erste Projekte. Dabei wird beispielsweise versucht, Erdrutsche frühzeitig zu erkennen. Große Teile der Schweiz sind dafür anfällig, in Italien starben durch sie in den vergangenen 50 Jahren durchschnittlich 50 Menschen pro Jahr. Mit der Technik könnten rechtzeitig Gegenmaßnahmen getroffen und Gebiete evakuiert werden.

Gibt es eine solche Gefahr auch in Deutschland?
Nein, nicht so sehr. Hier sind eher Gebiete ein Problem, die sich etwa durch den Bergbau oder durch die Bildung von Hohlräumen im Untergrund absenken. Letzteres kann durch einen Rohrbruch oder auf natürliche Weise durch das Wegspülen von Erde und Gestein durch Grundwasserfluss entstehen. Auf einem Radarsatellitenbild würde man mehrere hundert rote Punkte an den Orten sehen, an denen sich die Erde mehrere Millimeter pro Jahr absenkt.

Sind Erdbewegungen von wenigen Millimetern denn überhaupt ein Problem?
Nehmen wir das Beispiel Staufen im Breisgau. Eine Geothermiebohrung unter dem Rathaus führte dort dazu, dass sich überall in der Stadt Risse auftaten. 270 Gebäude wurden durch sie beschädigt, über 100 sogar schwer. Es hat mehrere Jahre gedauert, bis sich die Erdverschiebungen im historischen Stadtkern beruhigt haben.

Wie genau funktioniert so eine Radaranalyse mittels Satelliten?
Der Radarsatellit sendet einen Impuls aus elektromagnetischen Wellen zur Erde. Dort werden sie zum Satelliten reflektiert. Dieser Vorgang wiederholt sich ein paar 1000 Male pro Sekunde. Die empfangenen Radarechos werden zu einer Bodenstation übertragen, gespeichert und dann findet eine aufwendige Signalverarbeitung mit schnellen Rechnern statt. So erreichen wir eine Auflösung im Meterbereich und das auch bei Wolken und Regen. Es gibt keine andere Technologie im Weltall, die das kann. Um Verschiebungen im Zentimeter- oder Millimeterbereich im Radarbild zu sehen, benötigt man allerdings sehr viele Aufnahmen des gleichen Gebiets.

Wie werden dann Verschiebungen sichtbar?
Das Radar sendet elektromagnetische Wellen mit einer Wellenlänge von beispielsweise drei Zentimetern. Stellen Sie sich vor, Sie schmeißen einen Stein ins Wasser. Die entstehenden Wellen ähneln der Rückstreuung des Radarsignals zum Satelliten. Wenn sich die Erde einen Millimeter senkt oder hebt, sehen sie das als kleinste Verschiebung der Wellen in den Daten. Dann könnte man die entsprechenden Stellen warnen, die dann noch zusätzliche Bodenmessungen vornehmen müssten.

Und diese Technik funktioniert überall?
Nein, bisher ist das nur bei festen Gebäuden oder trockenen Gebieten ohne oder mit geringer Vegetation möglich. Denn Pflanzen wachsen ständig und würden so die Werte verfälschen. Mit langwelligen Radarsystemen, zum Beispiel mit 24 cm Wellenlänge, könnte man hingegen durch die Vegetation „schauen“, sogar bis in den Boden hinein. Dann lässt sich diese Technik mit Radarsatelliten überall einsetzen.

Welche Grenzen hat die Technik sonst noch?
Die Anzahl der Satelliten im All. Zudem fehlt die 3D-Fähigkeit der Satelliten. Der TanDEM-X-Satellit aus Deutschland, der vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum gemeinsam mit Airbus entwickelt wurde, ist der erste dieser Art. Momentan arbeiten wir auch an einem Projekt mit längerwelligen Radarsystemen. Damit können wir dann auch in die Vegetation eines Regenwaldes eindringen und beispielsweise die Rodungen im Amazonas überwachen, sie sogar verhindern.

Im Vorhinein verhindern? Wie soll das gehen?
Mit dem Satellitensystem könnten wir eine Tomografieaufnahme des Waldes machen. Ähnlich einer Computertomografie. So werden die verschiedenen Schichten des Waldes sichtbar. Bei Rodungen entfernen die illegal tätigen Holzfäller zunächst die untere Vegetation. Das ist der erste Hinweis darauf, dass dort bald gerodet wird. Darauf könnte man die zuständigen Behörden aufmerksam machen und sie könnten einschreiten.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro könnte dann das Ausmaß der illegalen Rodungen nicht mehr leugnen?
Genau.

Nun gibt es ja auch bereits einige Start-ups, die für ihre Dienste Radaranalysen nutzen.
Ja, das stimmt. Die greifen häufig auf die frei zugänglichen Satellitendaten aus dem Copernicus-Programm zu. Das ist ein von der Europäischen Kommission und Europäischen Weltraumorganisation ESA gegründetes Erdbeobachtungsprogramm. Allerdings bieten diese Start-ups ihre Dienstleistungen nur vereinzelt Unternehmen oder Behörden an, sie überwachen noch nicht ein ganzes Land wie Brasilien.

Mittlerweile schickt eine Handvoll Unternehmen, darunter Iceye aus Finnland, eigene Satelliten ins All. Was halten Sie davon?
Diese Radarsatelliten sind wesentlich kleiner, es sind sogenannte Minisatelliten. Die sind deutlich billiger in der Produktion. Mit ihren Systemen, die künftig aus insgesamt 16 Satelliten bestehen wird, sind sie in der Lage, sämtliche Orte der Erde im Stundentakt zu beobachten. Allerdings können die Minisatelliten nur ganz kleine Flecken der Erdoberfläche einfangen.

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